Kritik:Tritt ein mit Grausen

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Orffs "Astutuli" wird in Andechs zum lärmigen Ärgernis

Von Egbert Tholl, Andechs

Fährt man von München nach Andechs, dann erlebt man jedes Mal einen magischen Augenblick: Man kommt aus dem Wald, der Blick weitet sich und dann liegt er da, der Heilige Berg. Knubbelig und doch erhaben, ein Solitär in der Landschaft, aber auch ein Sehnsuchtsort für Biertrinker und Wallfahrer. Nun, im Sommer, richten sich hierauf noch ganz andere Sehnsüchte, die der Kunst, und viele sind da, die in den Florian-Stadl strömen, am Fuße des Bergs. Was keiner von ihnen ahnt: Sie betreten das Tor zur Hölle.

Nein, Orffs "Astutuli" ist kein Spiel von den letzten Dingen. Die Hölle ist hier eine sehr irdische. Im Stück geht es um eine ziemlich dämlich gezeichnete Dorfgemeinschaft, die Besuch vom Gagler erhält, von einem reisenden Zauberkünstler also, der den Dörflern ein paar unsichtbare Geister vorführt. Des Zauberers Trick ist die Behauptung, nur die Klugen könnten seine Geister sehen, mithin beschwert sich keiner über das Nichts, er wäre ja dann blöd. In der Folge zieht der Gagler dann die Dorfbewohner im Stile von "Des Kaisers neue Kleider" über den Tisch, doch irgendwie sind am Ende alle glücklich und froh, der Bürgermeister wird im Amt bestätigt; und alles kann so weiter gehen wie bislang.

Für Regisseur Markus Everding ist das Stück von 1953 auch eine Parabel über die Verführbarkeit der Massen. Doch wieso stellt er diese dann mit hanebüchener Blödheit auf die Bühne? Dumme zu verführen ist keine Sensation. Dazu pflügen sich die armen Schauspieler durch Orffs Kunstbairisch, als ginge es steile Schotterfelder hinab. Der Gagler selbst etwa, dargestellt von Josepha Sophia Sem, ist ein ganz grober Lackl, dem jede, aber wirklich jede Nuance von Verführungsfähigkeit abgeht - die arme Frau Sem muss hier herumfuhrwerken, als ginge es darum, 20 Ochsen in einen Pferch zu bringen und nicht mit Kunststücken zu überwältigen. Grässlich reden eigentlich alle hier - wenn das für Orff Bairisch ist, dann muss er es gehasst haben.

Dazu gibt es Musik, fast reines Schlagwerk, und offenbar hat der Dirigent Christian von Gehren sich in seinem Leben zu viel mit Orffscher Schlagwerkkunst beschäftigt und ist darüber schwerhörig geworden. Jedenfalls wird hier auf Blech gedroschen, dass es eine Qual und finsterste Belästigung ist - da ist sie, die Hölle, von der man eingangs noch nichts ahnte.

Zwischenzeitlich kommt einem der Gedanke, das Ganze ist autobiografisch, in zweierlei Hinsicht: Everding wird grob, weil er Andechs wohl verlassen muss. Und Orff meinte sich selbst mit dem Stück. 1995 schrieb der renommierte Musikforscher Michael H. Kater in den Vierteljahresheften für Zeitgeschichte über Orff: "Er hat sich angepasst. Niemals nur im entferntesten Nationalsozialist, manipulierte er Menschen und Ideen, um ungestört schaffen zu können, sich die lästige Politik fernzuhalten und möglichst schadlos in einem Unrechtssystem durchzukommen, von dem er sich mit immer teurerer Münze hatte kaufen lassen."

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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