Kritik:Top von Barock zu Hip Hop

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Lässig begeben sich Forsythes Tänzer auf Zeitreise zur Wiege des Balletts am Hof des Sonnenkönigs. (Foto: Bill Cooper)

Großer Start: William Forsythe beim Festival Dance

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Was soll danach noch Größeres kommen? Ein solch defätistischer Gedanke beschlich einen, als sich die sechs Tänzerinnen und Tänzer nach 100 intensiv verdichteten Tanzminuten im Carl-Orff-Saal verbeugten. "A Quiet Evening of Dance" ist die grandiose Eröffnungslektion der 16. Ausgabe des Festivals Dance. Und das, obgleich William Forsythes Reflexion über die Ursprünge des Balletts als höfische Kunst speziell im ersten Akt auf die Bereitschaft eines fortgeschrittenen Tanzbetrachters setzt zu höchster Konzentration, und ja, auch Geduld. Denn bis auf Vogelzwitschern und ein lakonisches Klavierstück aus den "Nature Pieces for Piano" von Morton Feldman - Stille. Eine Stille, in der man Phase für Phase lernt, auf jede kleinste sichtbare Geste zu lauschen.

In diesen, seinen jüngsten Choreografien setzt Forsythe seine Forschungen über das Ballett fort. Seine ebenso minimalistischen wie spielerischen Untersuchungen sind speziell den beiden ehemaligen Tänzern der Forsythe Company Jill Johnson und Christopher Roman auf den Leib choreografiert. Und dabei ist es wiederum Roman, der alle Blicke auf sich zieht. Formbewusst, klar, elegant lässt er seine Arme tanzen, winkelt und rundet sie in überraschenden Drehungen und Neigungen und lenkt dabei die Aufmerksamkeit auf jedes einzelne Gelenk. Stück für Stück wandern die Bewegungen durch die Tänzerkörper hinunter zu den Füßen. Bis endlich im "Epilogue" dieses ersten spartanischen Teils Rauf "Rubber Legz" Yasit sich den Bühnentänzern anverwandelt und demonstriert, dass die Synkopen des B-Boying dem barocken Kontrapunkt ziemlich ähneln können.

Sein Auftritt ist der perfekte Übergang zum zweiten, bekömmlicheren, weil auch lässig-beschwingten Akt zu Musik von Jean-Philippe Rameau, wo das kleine Ensemble wiederum hauptsächlich in Pas de deux, in Hemden, Hosen und langen, bunten Handschuhen demonstriert, wie aus höfischen Tänzen eine Bühnenkunst erwuchs, deren Kodizes sich mühelos zeitgemäß durch andere Tanzformen wie Hip-Hop anreichern und erneuern lassen.

Mit Vogelgezwitscher will Kat Válasturs schachbrettartiges Bewegungsarrangement fürs Ballettensemble des Gärtnerplatztheaters in üppigen Barockkostümen an Forsythe anknüpfen. Es versendet sich in plakativer Einfallslosigkeit. Daina Ashbees und Eisa Jocsons Ad-hoc-Beiträge haben diesem Festival-"Minutemade" auch nichts Wesentliches hinzuzufügen. Zum Ende dieses ersten Dance-Wochenendes: "Toni Is Lonely" von Jasmine Ellis, eine aufwendige Koproduktion mit dem Residenztheater im Marstall. Die ersten zehn Minuten gaben dank der vier gestrichenen, geklopften und gezupften Kontrabässe den vier Tänzern und dem einzigen Schauspieler einen tollen Groove vor. Leider vergeblich.

© SZ vom 20.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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