Kritik:So weich, so klar

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"Dafür sind Freunde da": Frontmann Hartmut Engler (links) bittet Cherry Gehring - seit 14 Jahren im Pur-Background - zum Duett. (Foto: Stefan M. Prager)

Deutschlands Supersoftrocker "Pur" mit Support von außen in der ausverkauften Olympiahalle

Von Michael Zirnstein, München

Die Zugabe naht. Schöner kann es nicht sein. Doch als Keyboarder Ingo Reidl mit Stakkato-Streicher-Sound der Deutschen Eigenloblied "Auf uns" startet und Sänger Hartmut Engler schon ein "Wer friert uns diesen Moment ein . . ." ausstößt, erhebt einer aus dem Publikum seine Stimme: "Hey, halt, halt!" Hat da wirklich einer den Schneid aufzumucken gegen Hartmut "aber herzlich" Engler, mögen sich die wenigen kritischen Geister unter den 13 000 Fans in der Olympiahalle denken. Also so: Mögen Pur sich in eigenen Hits von "Lena" bis "Ein graues Haar" einkuscheln, aber an der neuen Nationalhymne sollen sie sich nicht vergreifen! Doch natürlich ist jeder Streit in einem Pur-Konzert fern: Der große Typ, der von den Stehplätzen aus die Rundbühne inmitten der Halle entert, ist Andreas Bourani, der Schöpfer von "Auf uns" selbst, und er möchte gar nicht stören, sondern nur mitspielen.

In diesem auf der "Purnee" 2015/16 einmaligen Herzstillstand-Moment wird das Fernsehformat "Sing meinen Song" real. Xavier Naidoo hatte sich in Südafrika für seine "Tauschkonzerte" eine Selbsthilfegruppe der von den Feuilletons verschmähten Mainstreammusiker zusammengesucht, die sich in mehreren Sitzungen gegenseitig ihrer Bedeutung versicherten und Freunde wurden. So auch der Augsburger Bourani und der Bietig-Bissigheimer Engler, der sich selbst immer als "uncool" empfand, was sich aber dank Naidoo ein wenig geändert habe, wie er jüngst sagte.

Von Coolness ist in den Duetten - nach "Auf uns" folgt Purs "Abenteuerland" - nichts zu merken: Engler rudert mit den Armen, reißt die Augen auf und hopst stets etwas zu hoch aus lauter Freude, mit Freund Bourani spielen zu dürfen. Der hält Mimik und Gestik im Zaum, wenn er auf dem Teleprompter spickt - so geht lässig! Auf cool machte vorher auch der zweite Ehrengast vom Tauschkonzert, der tätowierte Daniel Wirtz mit Nasenring und Vollbart, der mit Englers Ode an die Mutter eine Nummer eins gelandet hat. Es tut immer gut, wenn Englers Ego ein Gegengewicht bekommt.

Jetzt darf man aber nicht ungerecht werden. Die softeste Rockband des Landes ("du bist nicht hart im Nehmen, du bist beruhigend weich") gibt sich Mühe, Kante zu zeigen. Der neue Jungspund Frank Dapper darf ordentlich in die Basedrum deppern, die Gitarristen Martin Ansel und Rudi Buttas huldigen Rock-Idolen wie Beatles oder Van Halen, Ansel sieht mit Strickmütze eh längst wie The Edge von U2 aus und klingt auch so clean. Während Diskursrocker wie Tocotronic gerade das deutsche Schmuselied für sich entdecken und Sido davon rappt, eine Pusteblume zu werden, fügt Engler dem vertrauten Pur-Dreisatz "sorgen, trösten, Mut machen" im neuen Album "Achtung" ein ungewohntes Stilmittel hinzu: die Attacke. "Der Arsch ist heiß, das Herz ist kalt" singt er krass, womit aber nicht die eine Besucherin an "angezündete Furze" erinnernden Feuerblitze gemeint sind, sondern verhärmte Mitbürger. "In Sorge um ihr Vaterland / gedeiht ihr Menschenhass", singt Engler in "Neue Brücken". Und ruft: "Nicht mit uns!" Wer solch kämpferische Klarheit bei einigen Pop-Kollegen vermisst, den bedienen Pur gut. Nur so übertheatralisch wie Englers "Er ist wieder da"-Maskerade in Nazi-Mantel und -Schirmmütze zu "Bis der Wind sich dreht" ("Ich leb in vielen Herzen / Fest verankert im Zorn / durch jeden Türkenwitz / Wird ein Stück von mir geboren") muss es auch nicht gleich sein.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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