Kritik: Pop:Der Posenkavalier

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Die britische Band "The 1975" in der Tonhalle

Von Stefan Sommer, München

Wie ein schmachtender Teenager in einer Bravo-Fotolovestory presst er das gefangene Bouquet roter Rosen wild gegen seine Jünglingsbrust. Matt Healy, der Sänger der Popband The 1975, streicht sich mit geschlossenen Augen die schweren Locken aus dem Gesicht und wiegt den Oberkörper sacht vor und zurück, als würde er mit den Blumen im Arm dem verliebt-kreischenden Publikum in der ausverkauften Tonhalle schüchtern den Eröffnungstanz seines Abschlussballs darbieten.

Matthew "Matty" Healy, eine Figur wie aus einer Sturm-und-Drang-Schmonzette, ist der eindrucksvolle Frontmann und das hüftkreisende Testosteron-Zentrum einer der international erfolgreichsten Bands der vergangenen Jahre. Als Erstgeborener der britischen TV-Legende Denise Welch ist er seit Kindestagen Objekt der Yellow-Press und das, was andere Prominenten-Kinder auf Sinnsuche vielleicht gerne wären: selbst ein glaubwürdiger Popstar mit Popstaraura, Popstarstimme und vermutlich einem Popstarbankkonto - ohne Vorstrafe. Denn bereits mit dem zweiten Album "I Like It When You Sleep, for You Are So Beautiful Yet So Unaware of It" standen The 1975 aus Manchester gleichzeitig auf Platz eins der Charts in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, Taylor Swift posierte auf Instagram mit ihrem Band-Shirt, und seit April 2017 hat Healy dazu das für einen Mann seines Selbstverständnisses und Erfolgs recht gefährliche 27. Lebensjahr überstanden.

Viele Songs der Band verhandeln mit exhibitionistischer Zeigefreude sein Heranwachsen zur popkulturellen Figur und die düsteren Stunden eines Lebens in größter medialer Öffentlichkeit. Herz-Schmerz-Hits wie "Girls", "The Sound" oder das fantastische "Somebody Else" funktionieren auch live bei ihrem starken Auftritt in der Tonhalle. Der clevere, doch oftmals zu glatte Popsound der Briten arbeitet am Samstagabend mit Referenzen an Achtziger-Ikonen wie INXS, The Smiths oder Prince - in Healys großem Versprechen von Liebe ist er aber nur Beiwerk.

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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