Kritik:Klassisches Maß

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Hansjörg Albrecht mit Bachs Weihnachtsorarorium I - VI

Von Barbara Doll, München

Das Kleid: ein gold-rot-violettes Stoffgewitter. Die Schuhe: goldene Kleopatra-Sandalen. Der Auftritt: majestätisch. Nach Simone Kermes' Erscheinung zu schließen, müsste in der Philharmonie Händels "Israel in Egypt" erklingen - wüsste man nicht, dass im Advent kaum ein anderes Oratorium gegeben wird als Bachs zur Weihnacht geschriebenes.

Bevor Enoch zu Guttenberg das Werk am Vorweihnachtsabend exerziert, treten traditionell Hansjörg Albrecht und der Münchner Bach-Chor am vierten Advent mit allen sechs Kantaten zum Weihnachtslobpreis an. Im Gegensatz zu Guttenbergs Expressionswucht herrscht bei Albrecht das klassische Maß vor. Er versteht es, die fast dreistündige Strecke in eine Zusammenschau von innerer und äußerer Bewegung zu gliedern und die zentralen Ausdrucksmomente zu verdichten. Streng und höchst präzis führt er vom Cembalo aus; im Bach Collegium München hat er einen aktiv mitgestaltenden Partner, wunderbar beredt, leicht und geläufig. Auch Christoph Eglhuber an der Theorbe und Organist Peter Kofler freut es offensichtlich, dem großen Werk knackig Struktur zu geben. So entsteht Klarheit zwischen den Stimmgruppen und Akteuren. Den Chor - intonationssicher und kompakt im Klang - dämpft Albrecht und hält ihn zu Transparenz, Wärme, klarer Artikulation an.

Wort und Klang sollen unprätentiös die heilsame Botschaft transportieren, und freilich muss Manches herausstechen - der Bachtrompetenglanz, das fugierte Geigenduett. Etwas zu scharf und schrill sticht aber auch Simone Kermes' Sopran heraus. Zu ihren knallbunten Barock-Pop-Programmen mag dies bestens passen, im Weihnachtsoratorium wirkt das krass Affekthafte eher irritierend als berührend. Später zeigt sie auch Zartheit und Kraft ihrer tiefen Register. Altistin Anne-Carolyn Schlüter startet etwas fragil und bietet dann hingebungsvoll phrasierte Arien. Bariton Christian Immler überzeugt mit Charisma und flexibler, klarer Tongebung. Von Martin Petzolds introvertierter Evangelisten-Figur geht ein besonderer Reiz aus: Der helle, klare Tenor erzählt so eindringlich wie thomaskantorhaft streng. Und wie im magischen Schlusschoral alles in Liebe und Sanftmut aufgeht, ist natürlich hinreißend.

© SZ vom 22.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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