Kritik:Jubel zum Abschied

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Als Brünnhilde eine der prägenden Sängerinnen dieser Opernfestspiele: die beeindruckende Nina Stemme in der "Götterdämmerung". (Foto: Wilfried Hösl)

Opernfestspiele München: Mit der "Götterdämmerung" entlässt Kirill Petrenko die Wagner-Fans in haltloser Begeisterung in die Nacht des Blutmonds

Von Egbert Tholl, München

Den meisten Zuschauern im Nationaltheater ist vermutlich bewusst, dass dies die letzte "Götterdämmerung" gewesen sein wird, die Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper dirigiert hat. Zwar ist er noch zwei Jahre voll und eines so halb im Amt in München, aber wenn Petrenko den "Ring" wiederaufnimmt, probt er so akkurat und aufwendig, dass er dafür eine Neuproduktion abgeben müsste. Das geht sich aber nicht aus in der Planung für die nächsten Jahre, und deshalb wird der "Ring" jetzt erst einmal eingelagert. Nun stehen nach knapp sechs Stunden die Musikerinnen und Musiker des Bayerischen Staatsorchesters und Petrenko selbst auf der Bühne des Nationaltheaters und nehmen die Ovationen des stehenden Publikums entgegen, Ovationen, die selbst für Petrenko, der schon oft gegen eine Jubelwand prallte, wenn er scheu durch den Spalt des Vorhangs schlüpfte, außerordentlich sind. Und völlig gerechtfertigt.

Was jede einzelne Instrumentengruppe dieses Orchesters zu leisten im Stande ist, ist absolut fabelhaft, die Hörner, das Blech, die einen weiten Klangraum ausmalenden Streicher und Holzbläser - alles ist so, wie man es sich erträumt. Petrenko nimmt dann diesen Wundermalkasten beherzt zur Hand und zaubert daraus eine leuchtende, aufwühlende Klangerzählung. Da müssen sich die Sängerinnen und Sänger durchaus durchbeißen. In den ersten "Ring"-Teilen war Petrenko stets aufs Sorgsamste darauf bedacht, ja nicht die Sänger mit der Musik zu überdecken. In der "Götterdämmerung" fordert er stärker das absolute Recht der Musik ein.

Die Wiederaufnahme und damit der letzte Zyklus des "Rings" unter Petrenko werden zum bestimmenden Erlebnis der diesjährigen Opernfestspiele. Natürlich, da war doch der "Parsifal", sängerisch und musikalisch umwerfend, aber doch gelähmt von der Arbeitsverweigerung der Regie und der arg überschaubaren Fantasie des Bühnenbilds. Da war die Opernwerkstatt, die ein Gegenmodell zur ewigen Wiederholung der immergleichen Repertoire-Klassiker aufzeigte und bei allen erhellenden und erregenden Momenten auch klar machte, dass man noch viel daran arbeiten muss, die Trutzburg des Opernkanons zwingend zu erobern. Und da war die zweite Premiere, Haydns "Orlando", ein mit maximalem szenischen und filmischen Aufwand realisierter Ulk inklusive zweier toller Schauspieler, aber mehr als ein - eher gemächlicher - Ulk halt nicht.

So bleibt der "Ring" haften. Und erinnert man sich an ihn von der "Götterdämmerung" her, so ist es die fabelhafte, spielfreudige Nina Stemme als Brünnhilde, die alles überwölbt, mit ihrer Kraft zur Rührung, der eleganten Wucht ihrer Stimme. Die Besetzung ist nicht in Gänze so überzeugend wie etwa in der "Walküre", die Gibichungen sind Popanze, Anna Gabler (Gutrune) spielt sehr schön und singt am Ende ergreifend, Markus Eiche und Hans-Peter König, Gunther und Hagen, fehlt die letzte Wucht. Stefan Vinke bleibt, bei aller stimmlichen Kraft, zu sehr ein naiver Siegfried-Trottel, als dass sein Fall eine Höhe hätte. Zauberhaft die Rheintöchter (Hanna-Elisabeth Müller als Woglinde!), freudig gestaltend die Nornen. Trotz der Macht der Musik tritt Andreas Kriegenburgs Inszenierung mit ihrer an sich gut ersonnenen Kapitalismus-Kritik über die lange Strecke auf der Stelle. Aber doch ist es eben die Musik, die das vergessen macht. Draußen glimmt der Mond dunkelrot.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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