Kritik:Feiern mit Mutti

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Frivol bis friedlich: Sarah Connor im Deutschen Theater

Von Michael Zirnstein, München

Zwei Szenen, die nicht zusammenpassen wollen. Zuerst die: Sarah Connor singt "Kommst du mit ihr", ein toll polterndes Lied über den Sex ihres Ex, mal stampft sie wütend, mal umtänzelt sie lasziv die drei Chor-Sängerinnen. "Mann, war ich da wütend", erklärt sie das Eifersuchtsstück. Das Publikum im ausverkauften Deutschen Theater rast, singt einfach weiter und stachelt Connor an, das Lied zu wiederholen. Sie tut's, von Anfang bis Ende, eine ehrlich erbettelte Zugabe mitten im Konzert. Das sei ihr in ihrer 15-Jährigen Karriere noch nie passiert. "Ihr seid verrückt!"

Dann die Szene bei der letzten geplanten Zugabe: Connor singt zum mahnenden Abschied "Augen auf!", ein Lied, in dem sie den Blick von der sogenannten Flüchtlingswelle umlenkt zu der viel beängstigenderen Welle aus Wut- und Gewaltbürgern. Schon vor einem Jahr habe sie das "aus der Perspektive einer Mutter von drei Kindern" geschrieben. Auf die Rückseite des Klaviers werden in die Finsternis dramatische Wolkenhimmel und Meerestosen projiziert, kurz flimmert das millionenfach im Internet geklickte Foto des in Bodrum angespülten toten Buben Aylan Kurdi auf, "krieg deinen Arsch endlich hoch", singt Connor, spontan brandet Applaus auf.

Wie geht das zusammen, die mütterliche Sorge und der lüsterne Zorn? Noch vor ein paar Jahren wäre das richtig peinlich gewesen, wie vieles in ihrer Fettnapf-Stafette aus durchsichtigen Fummeln, verbrühter Hymne, medialer Selbstentblößung und Soulpop-Nümmerchen wie "Let's Get Back To Bed, Boy" (die sie hier in einem Medley knackig, ulkig, retro-chic abfeiert). Connor selbst ertrug's nicht mehr, will mit über 30 "was Anständiges" machen. Sie hat zu ihrer bombigen Stimme nun eine "geile Band" (wirklich: Thorsten Goods, Mathias Bublath und Felix Lehrmann brillieren sonst eher im Jazzclub Unterfahrt), sie hat Tip-top-Liedermacher wie Peter Plate von Rosenstolz (was die neuen Songs schlageresker, aber nicht schlapper macht), und sie textet nun in ihrer "Muttersprache" (das Album ist seit 17 Wochen in den Top-Ten) und selbst, wie sie öfters betont. Ob bei der besten Freundin Pille ("Insel"), dem eigenen Begräbnis ("Die Welt ist schön"), dem Sohn ("Wie schön du bist") - ihr "Ich" ist die Brücke. Bei allem Kalkül kommt das zutiefst von Herzen herüber - und ist daher nicht mehr peinlich.

© SZ vom 21.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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