Kritik:Begegnungen, Trennungen

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Fast gelungen: "Bolero", ein Tanzabend in Regensburg

Von Eva-Elisabeth Fischer, Regensburg

Provinz, was heißt das schon? Und was heißt das für Tänzer und Tänzerinnen? An den meisten kleinstädtischen Mehrspartenhäusern arbeiten längst schon ehrgeizige Choreografen, die für ein eigenes Repertoire ihre kleinen internationalen Tanz-Kompanien sorgfältig zusammenstellen mit landesweit konkurrenzfähigen Tänzern. Wer in Regensburg tanzt, könnte dies ebenso in Nürnberg oder am Münchner Gärtnerplatztheater tun. In Regensburg leitet der Japaner Yuki Mori die dritte Sparte, der sein Handwerk in Neumeiers Schule des Hamburg Balletts lernte und in seiner Zeit in Hannover beim Ausdruckstanz-geprägten Stephan Thoss seine Handschrift entwickelte. Mori arbeitet mit zehn hoch motivierten Tänzerinnen und Tänzern. Die wollen natürlich möglichst viel tanzen, weshalb sie nicht nur in den aktuellen Uraufführungen wirklich alle besetzt sind. Bei derart kleinen Ensembles ist es Usus, dass bei allen Stücken die Anzahl der Tänzer Priorität hat. Krank werden darf dann allerdings niemand.

Yuki Mori überschreibt den jüngsten Tanzabend mit dem Titel seines eigenen Stückes "Bolero". Der Bolero ist ein Standardtanz und besticht in seiner lasziven Langsamkeit und dank der Tatsache, dass der Mann seine Partnerin ein ums andere Mal umlegt. Doch bis heute gilt Maurice Béjarts Table Dance zu Maurice Ravels gleichnamiger Komposition zumal in der reinen Männerversion als Synonym homoerotischer Ekstase. Yuki Mori also traut sich was und ist klug genug, derlei Erwartungshaltungen zu unterlaufen. Das fängt damit an, dass er dem eigentlichen Bolero einen Prolog voranschickt. Männer wie Frauen tragen Hüte, Frack über langen plissierten Hosenröcken. Diese gewähren, das weiß Kostümbildnerin Katharina Meintke, ein Höchstmaß an Beweglichkeit und sorgen zugleich für dramatische Effekte.

Es rattern die "Chairman Dances" von John Adams los, enervierender Minimalismus, der sich bei Choreografen leider unverbrüchlicher Beliebtheit erfreut. Dazu Zeitlupentänze, Hüftsynkopen. Leuchtgasröhren fahren von oben herab in den ultraviolett ausgeleuchteten Raum, Tänzer und Tänzerinnen tanzen Walzer, ein jeder, eine jede einarmig befrackt und behütet, ein Paar für sich. Das ist die charmanteste Szene dieses expressiven spanisch-strengen Stücks. Die Verwandlung hin zu Ravel vollzieht sich in Aufmerksamkeit heischendem Klopfen und Klatschen. Gruppe gegen Solo, alles sehr ernst und geschickt im Raum arrangiert, als diagonales Dreieck das Corps, davor Mann, Frau oder Paar.

Der Raum spielt eine wesentliche Rolle, die wesentlichste aber spielt der Rhythmus in seiner insistierenden Gleichmäßigkeit, der durch das Crescendo bis zur Explosion die Sinne befeuert. Aber die für einen Tanzabend an sich löbliche Tatsache, dass hier live musiziert wird, gerät Yuki Nori zum Fallstrick. Denn Tom Woods am Pult hängt an jede Note ein Blei, so dass der "Bolero" höchst schwerfällig auf der Stelle dümpelt.

Ihsan Rustems "Marina" nimmt sich insgesamt weit origineller aus, auch wenn der Choreograf, wie Legionen vor ihm, den musikalischen Glaubensschwulst von Arvo Pärt bemüht, den Cantus in memoriam Benjamin Brittens und, wie könnte es anders sein, den Geigenpart aus den "Fratres", den Daniel Bara allerdings mit Inbrunst meistert. Phantastisch die Bühne, die sich Kulisse um Kulisse öffnet, immer weitere Räume freigibt und schließlich den Blick lenkt auf eine bewegungslos an einem Tisch sitzende Frau.

"Marina" handelt, so steht es im Programmheft, von der Performance-Künstlerin Marina Abramovic und der ebenso spektakulären wie herzzerreißenden Trennung von ihrer Lebensliebe Ulay 1988 auf der Chinesischen Mauer. Sie sah ihn erst Jahre später, 2010 bei ihrer Performance "The Artist Is Present" im MoMA wieder. Dieser Hintergrund ist unwichtig: Das immer feinere Mauerwerk, das die Tänzerinnen und Tänzer immer großzügiger rahmt, die zauberschöne Marina im roten Rock, die vom Boden verschluckt wird, die wehen Duette farbig gekleideter, in schlingender Akrobatik sich umfassender und stets sich trennender Paare, sie betören Auge und Herz.

Bolero , Tanzabend, Theater Regensburg, Bismarckplatz, nächste Vorstellungen am Montag, 22., und Samstag, 27. Februar, jeweils um 19.30 Uhr, Karten unter 0941/507 24 24

© SZ vom 18.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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