Koreanische Literatur:Das Manöver ist der Ernstfall

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Schnell und mit Gewinn liest man sich in die koreanische Literatur hinein.

Ijoma Mangold

Yi Munyols Erzählung "Befestigter Gesang" ist eine der ungewöhnlichsten Kriegsdarstellungen der Weltliteratur. Hundert Seiten umfasst die Erzählung, und sie beschreibt die militärischen Vorgänge in einer Weise, dass kältester Realismus und die Stilfigur der reductio ad absurdum auf unheimliche Weise zusammenfallen.

Korea ist Gastland der Frankfurter Buchmesse 2005. (Foto: Foto: ddp)

Aber um den eigentlichen Abgrund, den jeder ihrer Sätze aufreißt, ganz zu ermessen, muss man hinzufügen: "Befestigter Gesang" ist keine pazifistische Erzählung. Es gibt - möchte man nach der Lektüre sagen - eine Unerbittlichkeit in der Kriegsdarstellung, die jenseits von Pazifismus angesiedelt ist. Wer Yi Munyol liest, dem erscheint Pazifismus wie eine allzu behagliche Position, in der sich nur diejenigen gemütlich einrichten, die nicht bis zum Letzten gehen. Den Redegestus der Anklage, des Ingrimms oder der Verzweiflung hat Yi Munyol hinter sich gelassen - wie allzu wohltemperierte menschliche Gemütszustände. Die viel unheimlichere Einsicht, die seine Erzählung bereit hält, lautet: Die Absurdität des Krieges unterscheidet sich kaum vom Nihilismus des Lebens überhaupt.

"Befestigter Gesang" ist ein brillantes Stück Literatur von dem vielleicht bedeutendsten koreanischen Schriftsteller der Gegenwart. Und der literarische Trick, den Yi Munyol anwendet, scheint nur auf den ersten Blick simpel, in Wahrheit entfaltet er einen enormen Sog, der dem Leser alles unter den Füßen wegzieht, was dieser bisher für festen Boden hielt. Denn tatsächlich ist das Kriegsgeschehen, das Yi Munyol schildert, gar keine wirkliche Schlacht, sondern nur ein mehrtägiges Manöver. Eines allerdings, das zeitweilig keinen geringeren Preis einfordert als ein echtes Gefecht. Weil die Bedrohungslage Südkoreas so angespannt ist, ist zwischen Manöver und Ernstfall, zwischen Übung und echtem Einsatz kaum mehr zu unterscheiden.

Reaktionär und proamerikanisch

Schon das Übungsgelände für dieses Manöver scheint mit dem Land insgesamt identisch zu sein. Zwar gibt es überall Schiedsrichter, die nach Angriffen die Verluste festsetzen, das zerstörte Gerät, die Verletzten und die Getöteten vermerken, zugleich aber fordert das Manöver laufend echte Opfer. Als eine Artillerieeinheit wegen eines Fehlers des Nachrichtendienstes die eigene Truppe unter Beschuss nimmt, handelt es sich zwar zum Glück nur um Platzpatronen, im Bewusstsein der verantwortlichen Offiziere scheint das aber kaum mehr einen Unterschied zu machen. "So genau er auch bis ins kleinste Detail geplant sein mochte, ein Kriegsfall kam doch immer völlig unerwartet", denkt sich denn auch der Oberleutnant Yi, als er bei Tagesanbruch aus dem Schlaf gerissen wird.

Yi Munyol ist Jahrgang 1948. In der südkoreanischen Literaturszene ist er nicht wohl gelitten. Zwar erreichen seine Bücher Millionenauflagen, aber politisch gilt er als reaktionär und zu proamerikanisch. Es ist kein Zufall, dass Yi Munyol Mario Vargas Llosa und V.S. Naipaul seine meistverehrten Schriftstellerkollegen nennt. Mit Naipaul teilt er genau die Mischung aus konservativer Illusionslosigkeit und einem anthropologischen Pessimismus, der vor Misanthropie nicht ganz geschützt ist. Zu lesen ist seine großartige Erzählung in dem Erzählungsband "Die Sympathie der Goldfische", einem Buch, das ausgezeichnet in die koreanische Literatur der Gegenwart einführt und dessen Übersetzungen - oft ein Problem für den Kulturtransfer Koreas - sich durchaus passabel lesen.

Enormer Modernisierungsschub der Gesellschaft

Der Deutsche Taschenbuch Verlag bietet ebenfalls eine Anthologie mit "Koreanischen Erzählungen". Auch dieser Band vermittelt ein interessantes Bild des Landes und seiner Literatur - wenn auch die einzelnen Erzählungen in ihrer Güte erheblich schwanken. Sie alle zeigen aber eines: dass man sich trotz der erheblichen kulturellen Fremdheit als deutscher Leser schnell und mit Gewinn in die koreanische Literatur hineinliest.

Viele Autoren namentlich der jüngeren Generation thematisieren den enormen Modernisierungsschub, den die südkoreanische Gesellschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten durchgemacht hat. Ein globalisierungskritischer und fortschrittsskeptischer Zug ist dabei nicht zu verkennen. Ist der Mensch tatsächlich geschaffen für die Seouler Hochleistungsarbeitsgesellschaft? Die 1970 geborene Schriftstellerin Han Kang antwortet darauf mit einer Geschichte, die von Ferne an Kafkas "Verwandlung" erinnert und von einer Frau erzählt, die innerlich abstirbt, um sich dann tatsächlich in eine Pflanze zu verwandeln, weil ihr das naturferne Großstadtleben alle Kräfte entzieht. Eine sehr depressive Geschichte, die vor allem unter ihrem allzu platten allegorischen Charakter leidet.

Am anderen Ende der Skala steht der geniale Kim Young-ha, Jahrgang 1968, von dem man gar nicht genug bedauern kann, dass nur diese eine Erzählung auf Deutsch vorliegt. Kim Young-ha ist ein Modernisierungsbejaher ohne alle Larmoyanz. Seine brillante Erzählung "Klingende Weihnachtsgrüße" hat thrillerhafte Züge. Der Mord an einer Frau wird darin aufgeklärt - aber eigentlich handelt die Erzählung von den Gewaltphantasien dreier Männer, die es nicht ertragen, dass eine frühere Freundin, die sie sich während des Studiums im Bett geteilt hatten, sich weiterentwickelt hat, während sie selbst geistig auf der Stelle treten. Dass die Frau, die zehn Jahre in Deutschland lebte, ihnen über den Kopf gewachsen ist, verletzt ihr Selbstwertgefühl so sehr, dass einer schließlich zum Messer greift. Eine psychologische Erzählung von hoher Raffinesse und sehr zeitgenössischem Charakter. In Frankreich liegt von Kim Young-ha bereits ein Roman vor.

DIE SYMPATHIE DER GOLDFISCHE. Neue Erzählungen aus Südkorea. Herausgegeben von Friedhelm Bertulies. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 288 Seiten, 15 Euro.

KOREANISCHE ERZÄHLUNGEN. Herausgegeben und literarisch überarbeitet von Sylvia Bräsel und Lie Kwang-Sook. Mit einem Nachwort von Sylvia Bräsel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2005. 253 Seiten, 8,50 Euro.

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