Konzertsommer:Ganz ungezwungen

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Ein Berg von einem Mann kommt zu den grünen Hügeln des Olympiaparks: Bird Berlin aus Nürnberg. (Foto: Theatron)

Das Theatron-Festival ist eine Institution des Münchner Musiklebens. An 25 Abenden begegnet man hier experimentierfreudigen Bekannten und mutigen Szenekünstlern

Von Michael Zirnstein

Einmal Theatron, immer Theatron. Schon 1974 veranstaltete Artur Silber zusammen mit dem Bhagwan-Jünger Anurakta in Kooperation mit dem Jugendkulturwerk München am Olympiasee das erste offizielle Open-Air mit den Lokalheroen Sahara. Er selbst trommelte in der Vorgruppe Sonnenschiff. Nach dem Rahmenprogramm der Olympischen Spiele 1972 und einigen folgenden Spontan-Sessions war dies der Auftakt zu einer jährliche Konzertreihe auf der Betonscheibe. Immer wieder zog es Silber zurück: mit seiner Prog-Rock-Band Central Park, dann auch als Leiter des "Musiksommers im Theatron" - den der PR-Pfiffikus 2002 als "längstes durchgehendes Open-Air" ins Guinness-Buch der Rekorde brachte. Keine Frage, wo Central Park im 35. Jahr ihres Bestehens ihr neues Album vorstellen. Obwohl der Titel der Platte nicht unpassender sein könnte. Sie heißt "At The Burial Vault", also "Beim Grabgewölbe", dabei tobt im Olympiapark 25 Abende lang das Leben mit täglich zwei bis vier Konzerten, mit Kurzfilm-Reihen (6. bis 8. August) und gemeinsamem Feuerwerk mit dem benachbarten Impark-Sommerfest. Am Mittwoch, 10. August, jedenfalls hockt Artur Silber wieder hinterm Schlagzeug, das lässt er sich nicht nehmen, obwohl er bereits vor fünf Jahren aus der Band ausgestiegen ist.

Solches Beharren ist typisch, aber auch wieder nicht. "Jede Band, die hier aufgetreten ist, sagt hinterher: ,Wir würden so gerne wieder ...", berichtet Judith Becker von der Agentur Eurart, die zusammen mit Antonio Seidemann das Festival organisiert und die Hälfte des Unter-Programms "Rocksommer" gestaltet. Aber alle Wiederholungswilligen "müssen eine gewisse Zeit warten, sonst hätten wir ja jedes Jahr ein identisches Programm", sagt Becker. Gesetzt ist eigentlich nur der Auftritt des Jugendorchesters Sinfonietta, dessen Leiter Hartmut Zöbeley allerdings Jahr für Jahr ein neues Repertoire austüftelt, diesmal spielt man zum Motto "unterwegs" spanische Geigenmusik und griechische Lieder "zum Träumen unterm Sternenhimmel" (5. August).

Die anderen Startplätze des Musiksommers sind offen. Sie werden vergeben vom Kulturreferat - heuer zum Beispiel zum Auftakt am 26. Juli an den Rock-Songwriter Christoph Everke und die Gypsy-Jazzer Gewürztraminer; von den städtischen Streetworkern an deren Schützlinge ("echter Straßen-Rap aus der Hood am 31. Juli, Weltmusik-Groove am 1. August); und vom Feierwerk. Das Jugendkulturzentrum lässt unter anderen die vier Finalisten seines "Sprungbrett"-Förderprogramms im oft mit 5000 Besuchern gefüllten Betonkessel Profi-Erfahrung sammeln, in diesem Jahr Pepperella, Embrace The Emperor, Endlich Rudern und Kraut und Ruhm (13. August).

Auch wenn im Theatron bereits Größen wie die Scorpions (vor der Weltkarriere) oder die Sportfreunde Stiller gerockt haben, ist das Star-Gastspiel am 17. August eher untypisch: Die Hamburger Indiepopper Kettcar können sonst 40 Euro Eintritt verlangen, hier sind sie wie alle anderen bei freiem Eintritt zu erleben. Mit deren Label Grand Hotel van Cleef wolle er "schon ewig mal" eine Show im Theatron machen, sagt Christian Kiesler vom Feierwerk, "da es unserer meiner Meinung nach eine der schönsten Bühnen unserer Stadt ist. Und dieses Jahr wurde es dann dank der Terminplanung der Band und der finanziellen Unterstützung vom Jugendkulturwerk plötzlich möglich". Für Festivalleiterin Judith Becker sind die prominenten Gäste eine willkommene Bereicherung, aber vielmehr sieht sie den Musiksommer als Ort für Entdecker: "Die Leute sind entspannt, sie zahlen keinen Eintritt, wenn ihnen etwas nicht gefällt, gehen sie halt oder warten auf die nächste Band."

Die Auftretenden müssen kein Publikum anlocken, sie haben es bereits - so können sie Experimenten freien Lauf lassen. Es ist spannend, wenn Künstler, die sich sonst im Schutze der Szene bewegen, auf einmal auf picknickende, Rotwein süffelnde Kultur-Flaneure treffen (und umgekehrt): etwa die mit dem Musikpreis Münchens geehrte Filmkomponistin und Theremin-Zauberin Verena Marisa und den Elektro-Magier Martin "Occupanther" Brugger, der in seinem Projekt Fazer klassische indische Musik oder westafrikanische Polyrhythmik mit Dub-Techno und Postrock verheiratet (beide am 14. August). Sinnvoll ist auch, dass Münchner Bands wie die Emo-Rocker Sandlotkids hier im Backstage-Bereich mit Seeblick mit auswärtigen Paradiesvögeln wie Bird Berlin, dem dadaistischen Discobär aus Nürnberg, quatschen. "Da mischen sich die Erfahrungswerte", sagt Judith Becker. So leistet die Stadt München, die nicht als Veranstalter auftritt, doch beste Pop-Förderung, auch weil sie sich nicht aufdrängt, sondern durch die Technikabteilung des Kulturreferats, die Olympiapark GmbH oder Sponsoren wie den Flughafen München oder die Kulturstiftung der Stadtsparkasse hilft. "Mit einer tollen Anlage und großem Publikum", so Becker, können sich junge Bands hier ausprobieren - und natürlich auch alte, die es nicht sein lassen können.

Musiksommer im Theatron , 26. Juli bis 19. August, täglich von 19 bis 22 Uhr, Seebühne im Olympiapark

© SZ vom 26.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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