Konzert-Tour:Befreite Persönlichkeiten

Lesezeit: 4 min

Ian Gillan von "Deep Purple" ist unterwegs mit "Zehn Jahre Rock meets Classic". Auch dabei: die Sängerin Anna Maria Kaufmann und "Sweet"-Mann Andy Scott

Von Michael Zirnstein

Wenn Andy Scott bei der Pressekonferenz zu "Zehn Jahre Rock meets Classic" im Hardrock Café am Platzl etwas zu München sagen soll, muss er schmunzeln. Weil da fällt ihm eine Episode im Hotel des Arabella-Hochhauses ein, in dem er damals mit seiner Band The Sweet regelmäßig abstieg, auch weil er dort in den Musicland Studios im Keller mit dem Mack, dem legendären Tontechniker, "beste Erfahrungen" beim Aufnehmen gemacht hatte. In dem Gebäude gab es auch ein Krankenhaus, und als der Drummer Mick Tucker einmal nach einem Gelage in der falschen Etage ausstieg, wunderte der sich schon sehr. "Warum sind da Krankenbetten in meinem Flur?", fragte er beduselt Andy Scott. "Da bist du schon gut aufgehoben", antwortete der.

Damals, in den Siebzigern und Achtzigern war Rock eben noch Rock - Rausch und Revolte. Und München war ein Epizentrum dieses Bebens. Deswegen verbrachten die Briten The Sweet hier (und in Hamburg) "gute Tage", immer wenn sie frei hatten, zumal die deutschen Fans sie besonders schätzten und umgekehrt. "Die haben einfach gecheckt, worum es bei The Sweet geht, die sind immer mitgegangen, wenn wir eine andere Richtung eingeschlagen haben." Da war das Publikum daheim in England schon kritischer, wenn sie sich in ihrem Glamrock mehr dem Glam zuwandten. In Deutschland hatten The Sweet 16 Top-Ten-Hits, davon acht auf Platz 1 wie "Teenage Rampage", "Fox On The Run" und "Ballroom Blitz". "Da liebte man uns von beiden Seiten", sagt der Gitarrist, der immer noch eine Katja-Ebstein-Frisur trägt, allerdings schlohweiß, "wir waren in der Bravo genauso wie bei den härteren Magazinen Kerrang oder Musikexpress."

Nun meldet sich eine Frau in schwarzem Rocker-Leder zu Wort und will wissen: "Warum?" Scott überlegt kurz. "Wir waren die Wölfe in Schafspelzen." Über die Antwort wiederum freut sich die Frau, denn ein bisschen so sieht sie sich auch. Es ist Anna Maria Kaufmann, bei der Jubiläumsausgabe von Rock meets Classic ist sie Gaststar, Vertreter der Klassik und daher die Exotin. Die Kanadierin, die in München lebt, wurde berühmt, als sie an der Seite von Peter Hofmann die Christine im "Phantom der Oper" sang, übrigens auch in der Olympiahalle, wohin sie nun wieder zurückkehrt. Normalerweise singt sie Oper, Operette und Musical, aber ihr Traum sei immer gewesen, als Leadsängerin zu rocken. Als Kind habe sie bereits eine Band gehabt, später dann war Peter Hofmann ein Vorbild und Mentor mit seinem Mut zum Crossover. Und als offizielle National-Hymnen-Sängerin der Deutschen Fußballnationalelf kam sie 1998 zu ihrem ersten Rock-Auftrag: dem WM-Song "Running with a dream" mit Joey Tempest von Europe: "Ein genialer Typ", wie sie findet, "ich war noch ziemlich steif zu der Zeit." Obwohl sie es "immer hart geliebt" habe, ihre beste Freundin in Kanada sogar mit Nickelback-Sänger Chad Kroeger verwandt sei, dauert es bis 2019 mit der Erfüllung ihres Traums: Gerade hat sie das Album "Rock goes Kaufmann" herausgebracht mit Operetten-Rock von "Rebell Yell" bis "Smells Like Teen Spirit". Ihre Orchesterversion von Metallicas "Nothing Else Matters" wird sie nun auch bei "Rock meets Classic" schmettern. "Das gibt mir so eine Power", sagt sie, "da fühle ich mich sexy und authentisch, Rock hilft mir, meine Persönlichkeit zu befreien."

Man nimmt es der Klassik-Glamour-Lady durchaus ab, dass sie nicht nur als der angekündigte "Weltstar", sondern auch als Fan zu "Rock meets Classic" kommt, wo heuer auch die Haudegen Kevin Cronin von Reo Speedwagon ("Keep On Loving You") und Mike Reno der Disco-Rocker Loverboy ("Turn Me Loose") ihre Hits mit der Mat Sinner Band und großem Orchester noch einmal in den Ring werfen. Bei der Zehn-Jahre-Tour feiern nicht nur Andy Scott und Peter Lincoln mit The Sweet ihr 50-jähriges Bestehen, sondern auch Scott Gorham und Ricky Warwick mit Thin Lizzy. Ihr "The Boys Are Back In Town" könnte freilich vor allem die Hymne für einen sein: Ian Gillan, den Frontmann von Deep Purple - bereits zum vierten Mal Oberhaupt der Rock-meets-Classic-Familie. "Er musste einfach dabei sein", sagt der Metal-affine musikalische Leiter Mat Sinner, "er hat bei der zweiten Runde 2011 geholfen, das Event auf ein ganz anders Niveau zu heben, von der Größe des Orchesters, des Chores und der Ansprüche her." Und überhaupt seien Deep Purple, allen voran ihr Organist Jon Lord, die Miterfinder der Symbiose aus Rock und Klassik gewesen, auf Platten wie in Konzerten.

Daran kann sich Andy Scott noch gut erinnern, nicht nur weil er Gillan schon seit Jugend-Band-Zeiten kennt. "Ich war dabei in der Royal Albert Hall!" Er meint das legendäre "Concerto for Group and Orchestra" im September 1969 mit dem Royal Philharmonic Orchestra, das bis heute die Rock-Welt spaltet: ein Geniestreich für die einen, aufgeblähter Schwulst für die anderen. Für Andy Scott war das inspirierend: Bei "On Action" spielte er selbst die Cellos im Intro, zumal er "schon als Schulkind ein bisschen auf der Geige herumgekratzt hatte"; und beim Album "Level Headed" setzten The Sweet 1978 gleich ein 40-Mann-Orchester ein.

Für "Rock Meets Classic" hat sich Scott nicht nur die großen Hits ausgesucht, sondern gezielt auch "Block Buster": "Das hat die Kesselpauken im Mittelteil, und ich möchte wissen, was das Orchester aus diesem alten Bluesriff macht." Scott fühlt in seiner zweiten Berufung zu "Rock meets Classic" auch eine späte Genugtuung für eine bisweilen als zu poppig geschmähte Band: "Jeder denkt, The Sweet seien so simpel, aber mit Orchester klingen selbst drei Akkorde massiv, und manch einer erkennt: Da gibt es komplexe Strukturen in den Harmonien und den Gesangslinien."

Zehn Jahre Rock Meets Classic , Fr., 1. März, 20 Uhr, Olympiahalle; Sa., 2. März, Nürnberg; Do., 7. März, Bamberg; Fr., 8. März, Regensburg; Sa., 9. März, Ingolstadt

© SZ vom 28.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: