Konstantin-Ausstellung:Schau mir in die Augen, Klon

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Wie im Agentenfilm: Aus dem Kreml reist eine Abgesandte mit schwarzer Aktentasche an - darin enthalten ist das goldene Reliquiar mit dem Unterarm Konstantins. Aus Rom soll des Kaisers Kopf angeschafft werden - doch er ist zu groß. Was für ein Aufwand: Trier feiert Konstantin den Großen in drei wahrlich kolossalen Ausstellungen.

Burkhard Müller

2,60 Meter aus weißem Marmor misst die Kolossalbüste, das Wahrzeichen dieser Ausstellung, vom Scheitel bis zum Schlüsselbein. Nase und Kinn springen markant hervor, die Wangen mit den hohen Jochbeinen bilden große Flächen, die Stirn aber bietet sich so niedrig dar, als wäre es Adriano Celentano. Und die Augen! Sie sind das magische Zentrum. Riesig und aufgerissen sind sie, wie die eines Nachtvogels, Pupille und Iris tief in konzentrischen Ringen eingesenkt. Man versteht gut, dass bei einigen der kleineren Brüder des Kolosses die Augen mit der Spitzhacke zerstört worden sind: Wer immer ein solches Bildnis fand, ertrug den Bann dieses Blicks nicht und musste ihn gewaltsam brechen.

Das ist Konstantin der Große, Kaiser des Römischen Reichs von 306 bis 337, des Gesamtreichs ab 324, die letzte überragende Herrscherfigur der Antike und zugleich derjenige, der das Tor in eine neue Zeit aufstößt. In den ersten Jahren seiner Regierung residierte er in Trier und baute es zu einer Hauptstadt aus, die seinen kaiserlichen Ansprüchen zu genügen vermochte. Schon zu gewöhnlichen Zeiten kann man Trier, mit seinen spätantiken Großbauten und vor allem mit den Beständen des Rheinischen Landesmuseums, als Dauerschau des imperialen 4. Jahrhunderts betrachten.

Das Feste aufgeschmolzen

Die Ausstellung, eingebettet in die Ernennung des Großraums Luxemburg zur europäischen Kulturregion 2007, überbietet dies noch einmal durch die überwältigende Fülle von Schätzen, die sie aus Dutzenden Museen in 20 Ländern zusammengebracht hat. Drei Orte bespielt sie. Das Herzstück findet sich auf 2000 Quadratmetern im Landesmuseum; das Bischöfliche Museum am Dom befasst sich mit dem von Konstantin geförderten Christentum, das Stadtmuseum an der Porta Nigra mit der Fortwirkung der Figur Konstantins bis in die Gegenwart hinein. Der prächtige Katalog liefert ein komplettes Kompendium der Epoche.

Es entsteht ein einzigartiges Bild jener Brückenzeit, die von der Antike ins Mittelalter hinüberführt. Vorher herrscht jahrhundertelang Ruhe - es ist oft fast unmöglich, bei einem Kunstwerk zu entscheiden, ob es dem 2. Jahrhundert vor oder nach Christus angehört, die Kunst kreist mit wenigen Wellenbewegungen um ein fixes Ideal. Danach dauert das Unveränderte noch viel länger an, die Kunst des byzantinisch geprägten Mittelalters bleibt ein Jahrtausend bei derselben Formensprache, dann erst beginnen im Westen zögerliche Neuerungen; im griechisch-russischen Osten beginnen sie nie.

Vorher ist alles fest, nachher auch; in diesen wenigen Jahrzehnten aber wird das Feste aufgeschmolzen und umgegossen. Wer genau wissen will, wie so etwas vor sich geht, ein Epochenwechsel, ein Zeitenbruch; wie plötzlich etwas völlig Neues dastehen kann, das unter Voraussetzung und Kenntnis bloß des Alten niemals zu erwarten gewesen wäre: der sollte unbedingt nach Trier fahren.

Es geht dem "guten" Kaiser an den Kragen

Acht kleinere Konstantinsbüsten reiht die Ausstellung nebeneinander; an ihnen lässt sich auf engstem Raum studieren, wie sich nicht nur das Bildnis des Herrschers wandelt, sondern die Vorstellung davon, was überhaupt ein Bild ist. Da gibt es einerseits noch das klassische Porträt, das den Kaiser seinen Untertanen als Individuum vorführt; Ähnlichkeit erscheint hier noch als unentbehrlich. Aber von hier geht der Weg rasant ins Zeichenhafte. Wiedererkennbarkeit wird ersichtlich nicht mehr angestrebt, als müsste solche Art der Repräsentation das gesetzte Ziel schwächen.

Dieses ist die hoheitliche Präsenz; gegen sie bleibt als letzte Erinnerung an die konkrete Person höchstens noch die besondere Form der kaiserlichen Nase erhalten. Ganz offenbar ist nicht materielle und künstlerische Verarmung Ursache dieser Verwandlung - diese Künstler beherrschen in einem technischen Sinn noch alles, was ihre Vorgänger konnten. Und die gleichzeitigen Darstellungen der Damen einschließlich der Kaiserinnen, denen die physiognomische Intensivierung erspart wird, bleiben gelassen und klassisch.

Aber irgendwie ging es auf einmal nicht mehr an, dass das Auge des Herrschers einfach bloß ein menschliches Auge wäre; es muss wachsen und rund hervortreten, es muss sich nach oben und ins Weite kehren; anderes und Höheres, fast wie bei gotischen Kirchenfenstern, soll durch die Öffnungen des Körpers durchscheinen.

Viele dieser Büsten hat man aus älteren Kaiserbildnissen umgearbeitet, wodurch die Gesichter manchmal merkwürdig klein und flach aussehen. Das mag zum Teil einer Sparsamkeit entspringen, die sich an die überreichen alten Vorräte hält, um sie allmählich aufzuzehren; aber es spricht daraus auch ein verändertes Verhältnis zur Geschichte. Früher hatte man so etwas nur mit Herrschern getan, die der "Damnatio memoriae", der Verdammung des Angedenkens, zum Opfer gefallen waren, Nero zum Beispiel; jetzt geht es auch den "guten" Kaisern an den Kragen, Trajan, Hadrian und anderen.

Blank barbarisch

Einen echten alten Römer, für den die Kontinuität von Tradition und Ordnung in der Kette der Geschlechter gestiftet war, musste ein solch unterbrechender Griff tief erschrecken. Eine neue Idee bricht sich Bahn, das Christentum; und gerade in dem Maß, wie es Idee ist, behandelt es das Reich mit seiner langen historischen Dauer unsentimental und pragmatisch als reine Verfügungsmasse. Hier nimmt die eigentümliche Geschichtslosigkeit des Mittelalters ihren Ausgang.

An nichts zeigen sich diese geistigen Veränderungen so deutlich wie an der Vorliebe für ein neues Material: den Porphyr. Die Ausstellung bietet etliche Stücke, die aus diesem tiefroten, extrem harten ägyptischen Stein gehauen sind; sein Anblick löst ein starkes Gelüst aus, diese unglaubliche, erdkernhafte Dichtigkeit zu berühren (was natürlich verboten ist). Für die höchsten repräsentativen Aufgaben löst er den edel neutralen Marmor ab.

Die kaiserliche Majestät vermittelt sich stattdessen durch eine farbsatte Stofflichkeit, die von der formenden Hand des Bildhauers nicht mehr vollständig unterworfen wird - eine Vorstellung, die der Antike als blank barbarisch erschienen wäre. Der dunkle, überschwere Stein erzwingt die Vereinfachung der Züge und die blockhafte Gestaltung des Bildwerks; und der Zeit lag das Gefühl fern, dass durch die Verkürzung der Arme und Beine eine lächerliche Verzwergung der vier einander umarmenden Teilkaiser, in deren Händen das Reich lag, eingetreten wäre. (Der berühmte Tetrarchenpfeiler von der Markuskirche in Venedig ist als Abguss präsent.)

Schließlich darf auch eine Christin schön sein

Konstantin stabilisiert das wankende Reich, indem er das Christentum, das bislang eine katakombische Existenz geführt hatte, faktisch zur Staatsreligion erhebt. In diese vollständig neue Rolle muss es in allerkürzester Zeit hineinwachsen - und tut es. Das Christentum war bis dahin praktisch bilderlos gewesen. Die Ausstellung reagiert auf diesen Nichtbefund mit einer Kammer, über deren Wände, Decken und Boden die Projektion eines großen Feuers lodert: Sinnbild der reinen und kompromisslosen Wahrheit, aber auch des Scheiterhaufens, den sie besteigt und besteigen lässt; denn kein Preis ist ihr zu hoch, und wer ihn zahlen muss, man selbst oder ein anderer, wird fast gleichgültig.

So erinnert dieses flammende Gelass daran, dass der Märtyrer und der Inquisitor nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Zwischen der letzten und schlimmsten Christenverfolgung unter Konstantins Vorgänger Diokletian und der neuen, rücksichtslos genützten Machtposition liegen nicht einmal zehn Jahre. Die ersten Ketzerhinrichtungen finden noch im 4. Jahrhundert statt, vom Kaiser angeordnet, zum Schrecken sogar der zänkischsten Kirchenväter - übrigens auch in Trier, worüber die Ausstellung so unauffällig wie möglich informiert.

Wo soll das Christentum jetzt, wo es ans Licht gelangt ist, seine Bilder hernehmen? Natürlich aus der heidnischen Überlieferung. Zwei Sarkophage stehen nebeneinander; auf dem heidnischen sieht man Prometheus, wie er seinem halbhohen Menschlein aus Ton Leben verleiht; auf dem christlichen tut Gottvater mit Adam und Eva dasselbe und auf ganz ähnliche Weise - möglicherweise ein Produkt derselben Werkstatt bei leicht variiertem Kundenwunsch.

Eine vornehme Christin namens Proiecta bekommt zur Hochzeit einen großen silbernen Schminkkoffer, geschmückt mit dem Christusmonogramm und einer Figur der nackten Venus, denn schließlich darf auch eine Christin schön sein, nicht wahr? Die Göttin wird hier in aller Stille zur Allegorie degradiert, ganz so, wie später die gutkatholischen Künstler der italienischen Renaissance mit ihr umgehen.

Der Konstantin-Klon

Nicht annähernd kann hier ein erschöpfender Überblick gegeben werden; ein Zehntel davon würde die Reise nach Trier rechtfertigen. Groß ist der Stolz der Kuratoren auf die Kostbarkeiten. Aus dem Kreml kam eine Abgesandte mit einer schwarzen Aktentasche wie in einem alten Agentenfilm; darin enthalten war das goldene Reliquiar mit dem Unterarm Konstantins. Es ist ein auratisches Fest der Originale. Insgeheim jedoch untergräbt es sich selbst.

Der riesige Kopf des Konstantin konnte aus Rom nicht herbeigeschafft werden. Also unternahm man es, ihn aufs Genaueste abzuscannen und präzise computergesteuert aus einem Marmorblock neu zu erschaffen; ein Video dokumentiert den Vorgang vom groben Schruppen bis zur feinsten Nachbehandlung. Und wenn die Ausstellung vorüber ist, wird der Klon (darin besteht die Gegenleistung Triers) sein sozusagen natürliches Urbild ablösen und sich an seiner Statt in den sauren Regen auf dem römischen Kapitol stellen. Kein Mensch wird den Unterschied merken; denn es gibt keinen.

"Konstantin der Große", Trier, Rheinisches Landesmuseum, Bischöfliches Dom- und Diözesanmuseum, Stadtmuseum Simeonstift, bis 4. November. Info: www.konstantin-ausstellung.de; Katalog 24,95 Euro.

© SZ vom 12.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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