Klassik-Nachwuchs:Klang in Konkurrenz

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Beim ARD-Musikwettbewerb treten die weltweit besten jungen Solisten oder Streichquartette, Klaviertrios und Bläserquintette zwei Wochen lang um die renommierten Preise gegeneinander an

Von Klaus Kalchschmid, München

Solche Szenen kennt man eigentlich nur von Rock- oder Popkonzerten. Beim ARD-Musikwettbewerb können sie sich aber auch kurz vor dem zweiten Durchgang im Fach Klavier abspielen, wenn die letzten Fans in eines der Studios des Bayerischen Rundfunks drängen. Längst sind alle - kostenlosen - Platzkarten vergeben, für die man sich teilweise eine Dreiviertelstunde anstellen musste.

Nicht immer ist der Andrang jedoch so groß und oftmals kann man ganz spontan kommen und wird bei Kandidatenwechsel in den Saal gelassen. So auch im ebenfalls recht beliebten Fach Geige, wird doch bei großer Nachfrage notfalls der Rang des Großen Saals der Musikhochschule geöffnet, auch wenn er eigentlich der siebenköpfigen Jury vorbehalten ist. Von der dritten Runde an wird ein moderater Eintritt verlangt und wenn man nicht in München vor Ort ist, kann man Semifinale und Finale in der Musikhochschule, im Prinzregententheater und im Herkulessaal sowie dieses Jahr sogar schon den 2. Klavier-Durchgang im Video-Livestream verfolgen.

Das wird möglich, auch weil der ARD-Musikwettbewerb in diesem Jahr zum ersten Mal einen Sponsoring-Partner hat. Der Etat des Wettbewerbs ist seit Jahren gedeckelt, die Kosten für die Technik, die Veranstaltungsorte, aber auch die Organisation würden immer teurer, erklärt Oswald Beaujean, der zusammen mit Meret Forster die künstlerische Leitung inne hat. Angefangen mit 2017 habe sich jedoch Siemens angeboten, den Wettbewerb zukünftig mit 100 000 Euro im Jahr zu unterstützen.

Der Internationale Musikwettbewerb der ARD ist seit seiner Gründung im Jahr 1952 jedes Jahr das erste musikalische Groß-Ereignis der neuen Saison in München. Noch bevor die Bayerische Staatsoper, das Gärtnerplatztheater, die BR-Symphoniker und die Philharmoniker ihre Spielzeit beginnen, musizieren zwei Wochen lang die weltweit besten jungen Solistinnen und Solisten oder Streichquartette, Klaviertrios und Bläserquintette in vier höchst anspruchsvollen Durchgängen um die Wette und um die drei renommierten und hoch dotierten Preise sowie verschiedene Sonder- und einen Publikumspreis: Die Preisgelder der ARD betragen im Ganzen 90.000 Euro, dazu kommen insgesamt 40.000 Euro, die sich auf die verschiedensten Sonderpreise verteilen. Vielmehr als ein Geldsegen ist der Wettbewerb aber auch ein Gütesiegel für junge Musiker und gerade für die Bläser wohl weltweit auch das wichtigste musikalische Messen.

Viele erste Preisträger machen dennoch nicht unbedingt eine große Karriere, trotzdem ist die Liste der später erfolgreichen Gewinner lang. Sie reicht von den Sopranistinnen Ileana Cotrubas (1966) und Jessye Norman (1968) über Anne Sofie von Otter (1982) bis Measha Brueggergosman (2003). Sie verzeichnet die Geiger Florian Sonnleitner (1981), heute Konzertmeister der BR-Symphoniker, und Christian Tetzlaff (1984); reicht bei den Oboisten von Heinz Holliger (1961) über François Leleux (1991) bis Ramón Ortega Quero (2007), heute Solo-Oboist der BR-Symphoniker.

Jedes Jahr wechseln - weltweit einzigartig - 21 Fächer. Darunter sind Exoten wie Trompete, Posaune, Fagott, Orgel oder auch Schlagzeug. Heuer sind es also Klavier und Geige sowie Oboe und zum ersten Mal seit 1993 endlich wieder einmal Gitarre. Die erste Preisträgerin im Jahr 1976 war Sharon Isbin, die die Fakultät für Gitarre an der Juilliard University in New York gründete; der bislang letzte, Pablo Márquez sitzt heuer in der Jury. Im Semifinale begleitet das Novus Quartet aus Südkorea - 2012 der 2. ARD-Preisträger -, die Gitarristen, die es bis hierher geschafft haben: entweder bei Eugene Bozzas "Concertino da Camera" oder bei Mario Castelnuovo-Tedescos Quintett op. 143.

In diesem dritten Durchgang steht traditionell auch seit 2001 das sogenannte Auftragswerk auf dem Programm, soll heißen: ein extra für den Wettbewerb komponiertes zeitgenössisches Werk erlebt hier seine gleich mehrfache Uraufführung. Komponist ist bei Gitarre der 1979 geborene slowenische Komponist Vito Žuraj. Für ihn ist es die erste Auftragskomposition dieser Art, er sah sich dabei vor der Herausforderung ein Stück zu schreiben, das ihm sowohl seine ästhetische Freiheit lässt, aber auch den Wettbewerbskandidaten die Gelegenheit gibt, sich gut präsentieren zu können. Technisch anspruchsvoll also, doch: "Die Musiker sollen sich nicht quälen", sagt er. Auch für die anderen Fächer wurden wieder exzellente, namhafte Komponisten beauftragt wie Avner Dorman (Geige), Pascal Dusapin (Klavier) und Thierry Escaich (Oboe).

Für die Aficionados unter den regelmäßigen Zuhörern, die teilweise weit anreisen und extra Urlaub nehmen, ist diese mehrfache Uraufführung ein besonderes Schmankerl. Denn wann je erlebt man gleich so viele Interpretationen eines zeitgenössischen Werks unmittelbar hintereinander. Etwas, was der normale Konzertbetrieb niemals ermöglicht, verschwinden doch geschätzte 95 Prozent aller uraufgeführten Werke in der Versenkung der Musikgeschichte. Dabei lernt man so viel über die Qualitäten gerade eines modernen Werks, wenn man es in verschiedenen Deutungen mehrfach hintereinander hört.

Aber nicht nur die verschiedenen Interpretationen zeitgenössischer Werke kann das Publikum vergleichen. Wer etwa Anton Weberns ungemein diffizile Klavier-Variationen op. 27 ein paar Mal hintereinander auf dem demselben Flügel hörte - wie vor ein paar Jahren geschehen - oder eine Beethoven-Sonate, bemerkt die gewaltigen Unterschiede, die ein Werk in ganz anderem Licht erscheinen lassen und schult gleichzeitig die Fähigkeit des Ohrs zu unterscheiden.

Wie jedes Jahr gibt es auch diesmal einen Rekord, was die Anzahl der Bewerbungen angeht. Von 640 wurden nach Vorauswahl 198 eingeladen. Mit 35 zugelassenen Teilnehmern sind die Südkoreaner wieder an der Spitze, gefolgt von 29 Japanern und 26 Musikerinnen und Musikern aus Deutschland. Das spiegelt nicht zuletzt den Stellenwert, den klassische Musik in den entsprechenden Ländern einnimmt. So liegt, was die Kontinente angeht, Europa mit Amerika gleichauf, keine einzige Bewerbung gab es allerdings aus Afrika.

ARD-Musikwettbewerb 2017 , Montag, 28. August, bis Freitag, 15. September, Programm und ggf. Live-Stream unter www.ard-musikwettbewerb.de

© SZ vom 28.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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