Klassik:"Ich wollte immer nach Europa"

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Mit 24 Jahren schon ein weltweit gefragter Konzertpianist: Seong-Jin Cho aus Südkorea. (Foto: Harald Hoffmann)

In Südkorea wird Seong-Jin Cho als Star verehrt. Beim SZ-Benefizkonzert vertritt der junge Pianist den Kollegen Lang Lang

Von Michael Stallknecht, München

Wer als Pianist eine internationale Karriere macht, zahlt einen hohen Preis: unzählige Stunden im Flieger rund um die Welt, dazwischen üben in allen möglichen Hinterzimmern, um möglichst das Repertoire für das übernächste Konzert bereits bis zur Perfektion zu durchdringen. Schließlich sitzt immer schon die nächstjüngere Generation von Pianisten in den Startlöchern, die ebenso auf den ganz großen Erfolg hoffen. Im schlimmsten Fall versagt der Körper irgendwann den Dienst. Lang Lang ist das so ergangen, wegen einer Sehnenentzündung musste er ein ganzes Jahr lang pausieren. Seit dem Sommer spielt er wieder, auf ärztlichen Rat aber momentan nie zwei Abende hintereinander. In München wird er beim Silvesterkonzert mit den BR-Symphonikern unter Mariss Jansons auftreten, das Benefizkonzert für den SZ-Adventskalender aber am Tag zuvor in gleicher Besetzung hat er abgesagt. Stattdessen wird nun Seong-Jin Cho den zweiten Satz von Mozarts d-Moll-Klavierkonzert und das Finale aus Tschaikowskys Erstem Klavierkonzert beim festlichen Konzert zum 70-jährigen Bestehen des SZ-Adventskalenders spielen.

Bereits im vergangenen Herbst ist der heute gerade mal 24-jährige Cho spektakulär für Lang Lang eingesprungen, bei einer Konzertserie der Berliner Philharmoniker. Legendär sind die Geschichten, wie mit solchen Einspringern über Nacht Karrieren ihren Anfang genommen haben. Der Realität entsprechen sie heutzutage meistens eher weniger. Wer von Mariss Jansons oder Simon Rattle kurzfristig ins Konzert gebeten wird, hat die ersten großen Schritte in der Regel längst hinter sich. Auch Seong-Jin Cho tritt trotz seines jugendlichen Alters bereits in Sälen wie der New Yorker Carnegie Hall, dem Amsterdamer Concertgebouw, der Pariser Philharmonie oder der Royal Albert Hall in London auf. Sein Debüt in München hat er im vergangenen April gegeben, im kommenden Mai wird er mit einem Klavierabend ins Prinzregententheater zurückkehren.

Ein klassischer Weg zu einer solchen Karriere führt über große internationale Wettbewerbe; bei Cho gehören gleich die beiden renommiertesten dazu. Mit 17 Jahren belegte er den dritten Platz im russischen Tschaikowsky-Wettbewerb, 2015 gewann er den Warschauer Chopin-Wettbewerb - als erster Südkoreaner überhaupt. Junge Pianisten aus dem asiatischen Land stellen seit Jahren einen erheblichen Anteil der Kandidaten in Wettbewerben und belegen zunehmend auch vordere Plätze. Eines der Geheimnisse dahinter lüftet Cho im Gespräch: Wettbewerbssieger werden in Südkorea vom Militärdienst suspendiert: "Das ist der Grund, warum so viele koreanische Männer einen Wettbewerb gewinnen wollen." Wer eingezogen werde, komme dagegen ein Jahr und zehn Monate kaum zum Üben. Schließlich muss Südkorea wehrhaft sein gegen den Nachbarn im Norden, auch wenn Cho, wie er sagt, sich persönlich nicht bedroht fühlt.

Einen erfolgreichen nordkoreanischen Pianisten kennt auch er nicht, in Südkorea dagegen ist die europäische Klassik wie zuvor in China und in Japan zum Symbol für die Bindung an die westliche Welt geworden. Während sie hierzulande gern mal kritisch als Spezialveranstaltung für ein älteres Publikum beäugt wird, ist das Publikum in Asien oft jung, aber mit den kanonischen Werken schon vertraut. Cho mag das deutsche Publikum, weil es sich so respektvoll gegenüber den Musikern verhalte, ruhig und konzentriert sei, das in Korea dagegen beschreibt er als "enthusiastisch".

Auch weniger betuchte Eltern lassen hier ihre Kinder mindestens ein westliches Musikinstrument lernen. Cho, der Sohn eines Ingenieurs und einer Kalligrafin, ist der erste Musiker in seiner Familie. Ausbildung ist für ihn der entscheidende Faktor, warum sich Südkorea seit den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts von einem ziemlich armen Land auf vielen Gebieten zu einem Global Player entwickeln konnte, "deshalb ist Erziehung das Wichtigste für uns". Als Teenager besuchte Cho die Yewon School in Seoul und die Seoul Arts High School, wo er das Zusammentreffen mit jungen Menschen aus verschiedenen Kunstgattungen genoss. Die Ausbildung selbst beschreibt er als "sehr wettbewerbsorientiert: Es geht bei uns immer um den Rang." Den höchsten Rang hat Cho spätestens mit seinem Sieg im Chopin-Wettbewerb erobert, in seiner Heimat ist er seitdem ein Megastar. 2016 nahm ihn die Deutsche Grammophon als Exklusivkünstler in ihre Reihen auf, die erste Einspielung galt Chopins Erstem Klavierkonzert. Gerade hat er mit dem Chamber Orchestra of Europe unter Yannick Nézet-Séguin das d-Moll-Konzert von Wolfgang Amadeus Mozart auf Platte vorgelegt, dessen zweiten Satz er auch beim Festkonzert des SZ-Adventskalenders spielen wird. Der deutsch-österreichischen Musik fühlt er sich nahe, schon weil seine koreanische Lehrerin unter anderem bei Wilhelm Kempff in Wien gelernt hat. Man könne das Klavierspiel in Südkorea nach den unterschiedlichsten Schulen erlernen, sagt er, der deutschen ebenso wie der russischen, der Wiener wie der französischen. Schließlich haben die meisten Lehrer im Ausland studiert.

Auch Cho ging 2012 ans Pariser Konservatorium zu Michel Béroff, den er als Juror beim Tschaikowsky-Wettbewerb kennengelernt hatte, beschäftigte sich dort intensiv auch mit französischer Musik. Im vergangenen Jahr hat er eine Platte mit Klavierwerken von Claude Debussy veröffentlicht. "Ich wollte immer nach Europa, denn die klassische Musik stammt aus Europa." Für Paris entschied er sich, weil sich in Frankreich das kulturelle Leben in einer Stadt konzentriert. Hier konnte er von ihm bewunderte Pianisten wie Grigory Sokolov, Radu Lupu oder Krystian Zimmerman hören und noch den 2014 verstorbenen Dirigenten Claudio Abbado erleben, dessen Platten er über alles liebt. Dass die Ausbildung im Westen weniger wettbewerbsorientiert sei, findet er angenehm. "Es geht mehr um Freude und ist weniger stressig."

Dass Cho inzwischen weltweit mit den renommiertesten Orchestern spielt, dürfte auch die musikalische Wahrnehmung seines Heimatlandes weiter stärken. Südkoreanische Sänger sind schon länger gerade in den zahlreichen deutschen Theatern gut vertreten; die Zahl von langjährig stabilen Karrieren im Bereich der Instrumentalisten ist dagegen noch überschaubar. "Es gibt in Europa viele gute und große Musiker, da braucht man die asiatischen Pianisten nicht unbedingt", meint Cho. Er geht damit pragmatisch um, man müsse halt umso besser sein. Vor einem guten Jahr ist er nach Berlin gezogen, das er zum Leben besser findet als Paris, weniger teuer, die Luft sauberer und mehr Platz. Wenn er Zeit hat, geht er gern im Tiergarten spazieren oder probiert neue Restaurants aus.

Aber mit der Zeit ist es halt so eine Sache in einer Karriere wie der, die Cho gerade hinlegt. Er wünsche sich schon manchmal die Möglichkeit zu etwas mehr Entspannung, sagt er, für das kommende Jahr habe er die Zahl seiner Konzerte deshalb ein ganz klein wenig reduziert. Am Tag nach dem Konzert für den SZ-Adventskalender will er nach Berlin zurückkehren, um den Jahreswechsel mit Freunden feiern zu können. Lang Lang wird dann ohne ihn spielen müssen.

Benefizkonzert für den SZ-Adventskalender mit dem BR-Symphonieorchester und Seong-Jin Cho , Sonntag, 30. Dezember, 20 Uhr, Herkulessaal

© SZ vom 28.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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