Klassik:Eine Stiftsbasilika wird Tonstudio

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München, Kaukasus, Moskau - jetzt Linz: Selbst bei Valery Gergiev spürt man nach einem solchen Programm eine gewisse Müdigkeit. (Foto: A. Röbl/Münchner Philharmoniker)

In St. Florian bei Linz spielen Valery Gergiev und die Münchner Philharmoniker Bruckner ein

Von Egbert Tholl, St. Florian

Johannes Müller hat eine Stimme und eine Art zu sprechen, die an Bob Ross erinnert, der viele Jahre lang spätnachts im Fernsehen zeigte, wie jeder Mensch malen kann, und einen dabei sanft und sonor in den Schlaf überführte. Allerdings geht es bei Johannes Müller nicht um Hirsch am See vor Waldesrand, sondern um ein paar Takte einer Symphonie, in denen eine Ensemblestelle "a little shaky" sei. Müller ist Tonmeister und hört Dinge, von denen viele Menschen versichern würden, sie seien gar nicht da. Jetzt befindet er sich in einem stuckgeschmückten Raum der Stiftsbasilika von St. Florian, der für zwei Tage in ein Tonstudio verwandelt wurde, in Müllers Reich, aus welchem er zu den Münchner Philharmonikern und Valery Gergiev spricht, die im Chorraum der Kirche sitzen. Und da man mit Gergiev am besten Englisch spricht, wenn man nicht Russisch kann, spricht Müller nun Englisch, "a little shaky", er hat also einen kleinen Wackler gehört.

Hier spielte Bruckner selber Orgel und liegt auch in der Krypta begraben

Das Konzert ist vorbei, Bruckner 4 und Schubert 7, nun folgt noch eine Stunde eine sogenannte "patch session": Dabei werden winzige Stellen, die sich Müller in der Partitur markierte, während er das Konzert mitschnitt, wiederholt, um die Aufnahme perfekt zu machen. Wie man das dann ins bestehende Material einbaut, wie man überhaupt als Orchester diese meist nur wenige Takte umfassenden Stellen aus dem Stand im Zustand der Inbrunst des Konzerts spielen kann, ist vollkommen rätselhaft. Funktioniert aber. Und irgendwann ist auch dieser lange Tag zu Ende, der aus drei Stunden Probe, zwei Stunden Konzert und gut einer Stunde "patch" bestand. Wie der Tag zuvor, der war noch ein bisschen länger.

Die Münchner Philharmoniker spielen mit Gergiev alle Bruckner-Symphonien ein, auf CVD und DVD, im Februar 2020 sollen alle beieinander sein. Damit das alles die richtige Aura hat und auf DVD gut ausschaut, finden die Konzerte, die mitgeschnitten werden, in St. Florian bei Linz statt, wo Bruckner Orgel spielte und in der Krypta unter dieser begraben liegt, in einem Blechsarg umgeben von 6000 Schädeln der einstigen frühchristlichen Gemeinde hier. Einer der zahlreichen Münchner mit Florian-Erfahrung ist Lorenz Nasturica-Herschcowici, Konzertmeister und seit der Celibidache-Ära bei den Philharmonikern - mit Celi waren sie zuletzt hier. Nasturica ist sich sicher, dass die Musiker während des Konzerts daran denken. Da unten liegt er. Daran denkt auch Gergiev, der hier in der beliebten Konzertsaalbasilika natürlich schon öfters war, weil es vermutlich keinen Saal auf der Welt gibt, in dem er nicht schon Musik gemacht hat. Falls es keinen gibt, baut er den Saal halt selber, wie gerade in Wladikawkas, wo der kleine Valery einst sein erstes Konzert hörte und sein erstes dirigierte und nun eine ehemalige lutherische Kirche in einen Saal umgewandelt wurde.

Da war Gergiev übers Wochenende. Also: Donnerstag und Freitag Bruckner-Konzerte in München, Samstag Wladikawkas im Kaukasus, Sonntag Moskau, Montag St. Florian, Probe am Mittag. Selbst ihm merkt man an, dass ein Stündchen Schlaf mehr sehr hilfreich gewesen wäre. Nasturica-Herschcowici war übrigens in Wladikawkas mit dabei und spielte am Samstag drei Konzerte, "das letzte war ,Tosca'", also Oper, da kann er dann auch nicht maulen, wenn das Bruckner-Intensivseminar zeitlich ein bisschen aus dem Ruder läuft. Es geht an Grenzen, deshalb auch Herrn Müllers sanfte Stimme bei den Korrekturen.

Sitzt man in der Mitte des Kirchenschiffs, fragt man sich, wie aus diesen Konzerten eine vernünftige Aufnahme entstehen soll. Schuberts "Unvollendete" ist nur noch eine verwehte Erinnerung an ein fabelhaft zartes Lied, Bruckners Erste ein Tosen im Bodennebel über dem Sumpf des Chorraums. Aber dann dringt Licht herein, Bruckners Dritte durchbricht den Äonen langen Hall und mit der Vierten schaffen Gergiev, die Philharmoniker und ihr Solohornist Jörg Brückner an diesem Abend ein Meisterwerk, das die Aura des Orts mit der Musik zusammenbringt. Und: Nach dem Konzert, in der leeren Kirche in der ersten Reihe, klingen die Philharmoniker bei den Korrekturen fabelhaft, über Kopfhörer fantastisch!

© SZ vom 28.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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