Kino und Ruhm:Wie machen die das in Hollywood?

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Hollywood, so wird gerne nachgeplappert, ist längst nicht mehr das, was es mal war. Aber was war es denn? Und was ist es jetzt? Und wer ist schon Tom Cruise?

Christoph Haas

Manchmal ist es mit dem Ruhm eine merkwürdige Sache. Daran, dass seit André Bazin und Christian Metz niemand mehr in so innovativer Weise über das Kino nachgedacht hat wie David Bordwell, besteht kein Zweifel. Dennoch ist es möglich, sehr viele Seiten filmwissenschaftlicher Literatur zu lesen, ohne je seinem Namen zu begegnen.

Unerreicht: Casablanca. (Foto: Foto: Reuters)

Mit dem neoformalistischen Ansatz, den Bordwell seit rund dreißig Jahren vertritt, hat er vor allem seine amerikanischen Kollegen herausgefordert. Die Lust an der Polemik, die ihn mitunter umtreibt, ist ihm kräftig zurückgezahlt worden: mit Ignoranz oder dem Vorwurf, seinen Erkenntnissen fehle es an Substanz. Ein erzürntes Mitglied der Zunft hat ihn einmal mit einem Mann verglichen, der die Schale einer Melone verzehrt, ihre Frucht aber achtlos beiseite wirft.

Bescheiden, ambitioniert

Der Wert von Bordwells Forschungen resultiert freilich gerade daraus, dass sie auf dem scheinbar nur Äußerlichen, auf der Form insistieren. Die psychoanalytische und ideologiekritische Fixierung auf den Inhalt führt dagegen dazu, dass die individuelle Verfasstheit des Gegenstands oft nicht in den Blick gerät. Den Großtheorien, die über alles und jedes - sei es ein Film, ein Volksmärchen oder ein Stück Salonmalerei - ihren weiten Mantel werfen, steht Bordwell grundsätzlich skeptisch gegenüber.

Seine Methode ist zugleich bescheidener und ambitionierter. Bordwell geht es um eine "historische Poetik" des Kinos, um das Verstehen der verschiedenen narrativen und visuellen Verfahren, die das Medium in seiner hervorgebracht hat.

Auch in "The Way Hollywood Tells It" gelingt es dem Autor, interpretatorische Gewissheiten gründlich zu erschüttern. Das Hollywood-Kino, so lautet der gerne nachgeplapperte Satz, ist nicht mehr das, was es einmal war. Die sorgfältig ausgeklügelte Dramaturgie früherer Zeiten sei verschwunden; im Zeitalter der Blockbuster führen Spezialeffekte und Gewaltexzesse zu einem "Kollaps des Erzählens". Aber stimmt das?

Sachkundig und schwungvoll wird hier das Gegenteil bewiesen. Actionfilme wie "Die Hard" (1988) oder "Speed" (1994) erschöpfen sich nicht in einer mehr oder minder willkürlichen Folge von Explosionen. Sie greifen vielmehr auf narrative Muster zurück, die sich bereits im klassischen Hollywood zwischen 1917 und 1960 bewährt haben und deren Strenge Bordwell mit der Konstruktion eines Menuetts vergleicht.

Das aktuelle Hollywood-Kino kann zudem keinesfalls mit dem Blockbuster gleichgesetzt werden kann. Unter den gut 200 amerikanischen Filmen, die seit den Neunzigern jährlich produziert werden, machen die spektakulären Großproduktionen nur einen Bruchteil aus. In den besten der übrigen Werke sieht der Autor weniger eine "postklassische" als eine "hyperklassische Strategie" am Werk: Die Nachgeborenen versuchen sich an den großen Regisseuren des alten Hollywood zu messen und diese, wenn möglich, zu übertreffen.

Wer ist schon Tom Cruise?

Als typischen Fall analysiert Bordwell die romantische Komödie "Jerry Maguire" (1996) - und hier ist zugleich der einzige Punkt des klugen Buches, an dem man ihm energisch widersprechen muss. Zwar ist der Film sorgfältig konstruiert und mit vielen Details angereichert; dass er an ein Meisterwerk wie Billy Wilders "Apartment" (1960) anzuknüpfen vermag, will man dennoch nicht glauben. Dafür ist er viel zu langatmig und vorhersehbar - und vor allem: Was sind schon Tom Cruise und Renée Zellweger gegen Jack Lemmon und Shirley MacLaine? Im faden Abglanz glaubt der Forscher entschieden zu viel Leben zu entdecken.

Die Stärke des Hollywood-Kinos liegt, wie Bordwell bemerkt, in seiner enormen "Flexibilität innerhalb von Grenzen". Dies gilt auch für den visuellen Stil. Nach wie vor ist der Schnitt strikt den Anforderungen der Narration unterworfen. Die "intensivierte Montage", die seit Anfang der Sechziger üblich geworden ist, unterscheidet sich vom zuvor praktizierten Ideal der maximalen filmischen Transparenz aber durch die geringere Dauer der Einstellungen, die häufige Verwendung kleiner Einstellungsgrößen und extremer Brennweiten sowie durch eine sehr bewegliche Kamera. Wie ist es zu dieser Veränderung gekommen?

Bordwell verzichtet auf kulturkritische Allgemeinplätze und nennt eine Reihe weniger offensichtlicher, aber wichtiger Gründe: das Arbeiten mit mehreren Kameras, den Einfluss des Fernsehens und die geringen Leinwandgrößen, mit denen die Zuschauer sich heute, anders als während der Studio-Ära, zufrieden geben müssen.

"The Way Hollywood Tells It" wird wohl kaum auf Deutsch erscheinen. Von den zahlreichen Schriften des Autors sind bei uns bislang überhaupt nur eine Monographie und eine Handvoll Aufsätze greifbar. Das ist ein empfindliches Manko.

Es gibt allerdings keinen Grund, vor einer Lektüre im Original zurückzuschrecken. Bordwells pointierter Stil ist dem Ideal der clarté in ebenso exemplarischer wie erfreulicher Strenge verpflichtet. Das immense intellektuelle Vergnügen, das "The Way Hollywood Tells It" bereitet, beruht auch darauf, dass die Rede, die hier vom Höhenkamm der Forschung erklingt, dem interessierten Laien im Tale jederzeit verständlich bleibt. Distinktionsgewinn durch Unverständlichkeit? Wer Bordwell gelesen hat, kann über diese Untugend nur noch den Kopf schütteln.

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