Kino: Tattoo:Der Bauch der Sammlerin

Lesezeit: 2 min

Robert Schwentke lässt sieben gerade sein in seinem Kinoerstling "Tattoo"

Anke Sterneborg

(SZ vom 09.04.2002)Eine Frau, die nackt und zitternd über die nächtliche Straße wankt, ihr Rücken eine einzige blutende Wunde. Ein fahler großer Raum, der Kabinett des Grauens und erlesene Kunstgalerie zugleich ist, mit Stücken tätowierter Haut, die in gedämpftem Licht in stählernen Rahmen aufgespannt sind. Eine unnahbar schöne Frau, die im hochgeschlossen weißen Kleid im Regen steht, bis die dunklen Ornamente ihres japanischen Körpertattoos durch den Stoff scheinen.

Kabinett des Grauens und erlesene Kunstgalerie zugleich - Die grausige Sammlung eines Tattoo-Sammlers, der für seine Exponate über Leichen geht. (Foto: Fotos: Tobis Studiocanal)

Es sind starke Bilder, die Robert Schwentke in seinem Spielfilmdebüt auf die Leinwand malt, und es ist kein Zufall, dass er sein Handwerk auf einer Filmschule in Los Angeles gelernt hat, Anfang der Neunziger, als hierzulande noch die Lifestyle-Komödien boomten. Nun hat er mit "Tattoo" einen Film vorgelegt, der amerikanisch schwarze Abgründe mit deutschen Schattenzonen verschmilzt. Er schickt seine Detektive in Seelenlandschaften, die den öffentlich-rechtlichen TV-Kommissaren so fremd sind wie den Filmförderungs cops.

Es dauert lange, bis ein paar matte Strahlen Tageslicht in diesen nächtlichen Film fallen, und dann sind die Farben von Regenströmen und Nebelschleiern und von der Melancholie der Kommissare so ausgebleicht, dass die tristen Betonszenerien am Rand von Berlin fast schwarzweiß wirken. Jan Fehse, der schon Esther Gronenbaums Plattenbaupanorama in "alaska.de" in beklemmende Märchenhaftigkeit getaucht hat, zaubert Bilder, wie sie im deutschen Kino selten sind. Wenn er mit seiner Kamera durch Halbweltwohnungen, Diskotheken, Tiefgaragensysteme, Kanalisationslabyrinthe streift, dann tut er das souverän auf dem schmalen Grat zwischen stilistischer Raffinesse und atmosphärischer Dichte.

Wie in David Finchers "Seven" treten auch hier ein alter abgebrühter und ein junger unschuldiger Cop die Reise in die Dunkelheit gemeinsam an, und auch hier wird der junge Cop nach diesem Trip die ersten Brandmale seiner Profession tragen. In jedem Raum, den der alte Minks (Christian Redl) und der junge Schrader (August Diehl) betreten, finden sie mehr Blut, Haut. Leichen. Wie Maulwürfe graben sie sich in die Netzwerke perverser Geheimgesellschaften, und wie die Snuff-Liebhaber gehen auch die obsessiven Sammler von Echthauttattoos ihrer Leidenschaft unter der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft nach.

Es ist vor allem August Diehl, der den Film zum Ereignis macht. Nach dem Hacker in "23" wagt er sich hier erneut an die Grenzen der condition humaine, und er macht jedes Kopfnicken und jeden Wimpernschlag, jedes Schulterzucken und jede Entsetzensstarre zum Abenteuer. Gewiss, man könnte "Tattoo" vorwerfen, dass er sich bisweilen noch ein wenig zu stark an amerikanischen Vorbildern orientiert. Man könnte sich aber auch einfach darüber freuen, dass die jungen deutschen Regisseure von Filmen wie "Anatomie" oder "Das Experiment" oder "Tattoo" das Genrekino für sich erobern.

TATTOO, D 2002 - Buch und Regie: Robert Schwentke. Kamera: Jan Fehse. Musik: Martin Todsharow. Mit: August Diehl, Christian Redl, Nadesha Brennicke, Johan Leysen, Monica Bleibtreu. Tobis Studiocanal, 108 Minuten.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: