Kinder und Kino:Bambis Mütter, Rambos Söhne

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Welche Filme darf man Kindern zumuten? Wie die lieben Kleinen mit Bambi, Rambo und Co. zurecht kommen.

A. Sterneborg

Rambo statt Bambi. Das ist für das Initialerlebnis Kino eines Kindes sicher eine sehr ungewöhnliche Wahl. Sie ist, in Garth Jennings' Film "Son of Rambow", Folge einer langen, forcierten Kinoenthaltsamkeit.

Bambi sieht harmlos aus, doch der Tod seiner Mutter hat Generationen von Kindern zum Weinen gebracht. (Foto: Foto: dpa)

Zwölf Jahre lang haben die Eltern ihren Sohn Will konsequent von allen schädlichen Medieneinflüssen ferngehalten, selbst die Lehrfilme in der Schule ignoriert. Aber Kontrolle kann, so gut sie auch ist, nie vollkommen sein.

Und so kommt die Stunde des Brachialkämpfers Rambo - der sich in einem unbewachten Augenblick in Herz und Hirn des unschuldigen Sohnes hineindrängt. Mit schreckensweit aufgerissenen Augen versinkt Will Proudfoot, der Held des neuen Films "Son of Rambow" im Strudel der Bilder ...

Noch immer sind Eltern aus Gewohnheit Meister der Protektion, der Prohibition. Die besten Absichten leiten sie, wenn sie sich Gedanken darüber machen, wie sie ihre Kinder durch den dunklen Dschungel der Filmgeschichte führen wollen, unterstützt von Lehrern, Medienpädagogen und Kinderpsychologen. Noch immer ist dabei eher Schonkost angesagt - die Frage, was einem kindlichen Gemüt zugemutet werden darf, führt meistens zu viel zu rigiden Vorstellungen.

Das totale Bilderverbot, mit dem die Sekten-Kinder in "Der Sohn von Rambow" aufwachsen, das auch noch heute von Waldorfkindergärten und -schulen angestrebt wird, ist jedenfalls keine Lösung, weil sie die heilsam kathartische Wirkung des märchenhaften Grauens völlig negiert.

Prohibition im Kinderzimmer

Seit Jahrhunderten gehört das Grauen der Märchen zu jeder ausgewogenen Kindheit dazu, dieses Wechselbad von Angst und Erleichterung, von herzzerreißendem Schluchzen und befreitem Lachen, mit dem Kinder intensive Gefühle probeweise durchleben. Auch wenn die Kinder angesichts der Dramen um Mogli, Bambi und E.T. in Tränen ausbrechen, zieht es sie immer wieder an die Orte des Schreckens zurück.

Das ist vermutlich auch der Grund, warum die Gutachter der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) hierzulande selbst gegen äußere Einwände beispielsweise in den "Harry-Potter"-Filmen das von Folge zu Folge wachsende Grauen in Kauf nehmen, solange gewährleistet ist, dass am Ende das Gute über das Böse triumphiert, und die Kinder auch in den gruseligsten Momenten davon ausgehen können, dass ihre Helden das Abenteuer überleben.

Es ist gewiss die Aufgabe der Gesellschaft, Komplexität zu reduzieren. Aber welchen Gefallen tut man den Kindern, wenn man sie in der Gewissheit aufwachsen lässt, dass Gut und Böse immer klar getrennt sind? Als Leiterin des Kinder- und Jugendprogramms der Berlinale hat es Maryanne Redpath generell mit Filmen zu tun, die noch keine FSK-Freigabe haben.

Zusammen mit ihrem Auswahlkomitee aus Film- und Medienspezialisten legt sie selbst fest, für welche Altersgruppe die Filme empfohlen werden, die dann auf der Berlinale gezeigt werden - und sie kann dabei ein wenig freier und vor allem praxisorientierter entscheiden als ihre Kollegen von der offiziellen Bewertungsstelle.

Immer wieder erlebt sie, dass Lehrer Bedenken anmelden ausgerechnet bei Filmen, die von den Kindern mit besonders großer Aufmerksamkeit und Begeisterung aufgenommen werden, so geschehen in diesem Berlinalejahrgang mit "Buddha zerfiel vor Scham" von Hana Makhmalbaf, dem jüngsten Mitglied der berühmten Filmfamilie aus Iran. Der Film erzählt ungeschönt und ebenso einfach wie eindringlich vom schwierigen Alltag eines Mädchens in Afghanistan, das auf dem Weg in die Schule in die Kriegsspiele der Jungs hineingezogen und dabei beinahe gesteinigt wird.

Glattgebügelt, weich gespült

Nun reagieren Kinder sehr viel empfindsamer auf die reale Gewalt auf den Straßen und in den Schulen - beispielsweise in Detlev Bucks "Knallhart" oder Esther Gronenborns "alaska.de" - als auf die Monstren und Mutanten von Fantasy und Sciencefiction. Doch wenn die Kinderjuroren der Berlinale ausgerechnet dem kontrovers beurteilten Film "Buddha zerfiel vor Scham" den Gläsernen Bären verleihen, zeigen sie auch, dass sie neugierig und wachsam auf die weite Welt schauen, und auf dem besten Wege sind, zu denkenden und toleranten Menschen heranzuwachsen.

Kinder haben sich schon immer Schlupflöcher in der Realität geschaffen, und diese magischen Zonen waren nie hundertprozentig keimfrei, bunt und lieblich - das Wunderland, in das Alice entfloh, das Reich des "Wizard of Oz", in das Dorothy entkam. Nicht mal bei Walt Disney wurde der Schrecken der Realität ganz glattgebügelt und weichgespült, und Generationen von Kinogängern waren fassungslos über den Tod der Mutter in "Bambi".

Die Kreativen sind sowieso der Meinung, dass die Geschichten für Kinder häufig viel zu harmlos sind, das Verarbeitungspotential der Kinder unterschätzen - und die Lust, sich mit Negativem und Erschreckendem auseinanderzusetzen. Einer der prominentesten Vertreter ist der Filmemacher Terry Gilliam: "Kinder sind sehr stark", sagt er, "und es ärgert mich, dass in den Nachrichten nie ihre Stärke und Kraft thematisiert wird, immer geht es nur um ihre Schwäche und Verletzlichkeit."

Die Widerstandskraft der Kinder haben in den letzten Jahren internationale Regisseure zum Thema gemacht - Guillermo del Toro in "Pans Labyrinth" - ein Mädchen konfrontiert mit dem Schrecken des Spanischen Bürgerkriegs - oder Terry Gilliam in "Brothers Grimm" und "Tideland" - ein Mädchen muss nach dem Tod des Vaters, der nach einer Überdosis Drogen in seinem Sessel vor sich hin west, allein zurechtkommen, vor allem durch den Einsatz ihrer Imagination.

Ein Regisseur dank Rambo

Für Terry Gilliam war "Tideland" auch Projekt der Rehabilitierung der Kinder: "Das Buch bot mir die Chance zu zeigen, wie ein echtes, wahrhaftiges Kind in sehr schwierigen Situationen überlebt, und wie es sich die Welt so zurechtphantasiert, dass es damit leben kann. Vielleicht hat es auch mit meiner Vorliebe für Märchen zu tun. Im amerikanischen Kino sind die Kinder meist oberflächlich, altklug und völlig unrealistisch. Ich finde es dagegen faszinierend, wie jeder Tag für Kinder eine Überraschung darstellt, wie sie versuchen, die Welt um sich herum zu verstehen, und wie sie immer zurückfedern, wenn man sie fallen lässt."

So gesehen könnte man manche auf den ersten Blick grausam erscheinenden Filme also als Anleitung zum Umgang mit realen Schwierigkeiten verstehen. Was übrigens die Geschichte des Jungen Will betrifft, der so unversehens mit Rambo konfrontiert wurde - statt ihn in einen üblen Schläger zu verwandeln, zündet das übermächtige Erlebnis ein Feuerwerk der Phantasie, macht ihn gar selbst zum jugendlichen Filmemacher!

"Ein Typ, der nur einen Stock und ein Messer hat, um sich zu wehren ...", erinnert sich der Regisseur Garth Jennings. "Dieses Grundthema, ohne fremde Hilfe zurechtzukommen, nur für sich selbst verantwortlich zu sein, ist faszinierend für Kinder. So wollten wir auch sein, unabhängig und stark."

© SZ vom 22.08.2008/sst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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