Karneval in Brasilien:Rasseln gegen Rassismus

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Von wegen nur Party: Beim Karneval in Salvador de Bahia probt das schwarze Brasilien den Aufstand gegen die Unterdrückung und feiert für die Bürgerrechte.

Michaela Metz

"Karneval ist eine Erfindung des Teufels, die Gott gesegnet hat", sagte der berühmte brasilianische Sänger Caetano Veloso einmal. Doch was heute ein Wahrzeichen Brasiliens ist, war lange verboten und verpönt: Die Demonstration schwarzer Schönheit und schwarzen Selbstbewusstseins, deren Mittelpunkt der Straßenkarneval von Salvador da Bahia ist. Heute gehören Trommler der "Blocos Afros" zwar fest zu den Feiern. Doch hinter den euphorischen Samba-Klängen verbirgt sich ein klares politisches Anliegen - die Forderung nach einem Ende des Rassismus.

1979 entstand in den Hinterhöfen des Pelourinho die Banda Olodum. (Foto: Foto: Reuters)

Die vom Sklavenhandel vergoldete Stadt

Rassismus ist eine brasilianische Realität, die hinter den Schreckensmeldungen über die Bandenkriege in den Favelas und das organisierte Verbrechen in den Megacitys oft in Vergessenheit gerät. Gerade erst kritisierte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch in ihrem Bericht für 2007, viele der 50 000 Morde im Land seien durch die Polizei begangen worden.

Dabei seien die rassistischen Tendenzen ganz deutlich: Wer jung, männlich und schwarz ist stirbt schnell auf Brasiliens Straßen und überlebt einen Gefängnisaufenthalt oft nicht. Im schwarzen Karneval von Salvador de Bahia aber gelten die Geknechteten als Könige und die schwarzen Trommeln übernehmen für sechs Tage die Macht in der Stadt.

Ursprünglich war der Karneval in Brasilien keineswegs eine Veranstaltung fürs Volk, sondern vielmehr eine nostalgische Feier des feudalen Europa. Im Jahr 1807 hatte der portugiesische König Dom João mitsamt seinem Hofstaat vor Napoleons Truppen nach Brasilien flüchten müssen. Wehmütig blickte der Hochadel über den Atlantik auf die rauschenden Maskenbälle in Paris, London und Venedig.

Dann begann man in Rio de Janeiro und Salvador einen eigenen Karneval zu feiern. Roben, Hüte, Masken und französischer Champagner wurden dafür aus Europa herangeschafft, aus den Palästen klangen Walzer, Polkas und Märsche. In Salvador zog der Karneval schon bald auf die Straße und die Noblesse inszenierte prächtige Umzüge durch die vom Sklavenhandel vergoldete Stadt.

Das Selbstbewusstsein steigt

Mit dem Ende der Sklaverei 1890 gründeten dann auch die befreiten Schwarzen Karnevalsvereine. Sie zogen durch die historische Altstadt oberhalb des Hafens, wo sie vormals auf dem Sklavenmarkt verkauft, wo sie öffentlich an einem Pranger, einem "Pelourinho", gezüchtigt worden waren. Und wo ihr Blut über das Kopfsteinpflaster hinab geronnen war, dessen runde Steine noch immer "Negerköpfe" heißen.

Die von afrikanischen Kulten inspirierten Umzüge galten bei den Weißen damals als barbarisch. Heute sind die Trommlerzüge, die im Karneval zwischen den musealen Kolonialhäusern defilieren, für das schwarze Brasilien ein Zeichen der Stärke und des Selbstbewusstseins. Und das "Pelourinho" war bis zu seiner Restaurierung 1991 ein heruntergekommenes Hurenviertel, wohin man als Weißer besser keinen Fuß setzte. Heute ist es Weltkulturerbe und die "größte schwarze Stadt außerhalb Afrikas".

Noch in den 70er Jahren holten die Weißen ihre Kinder von der Straße, wenn im Karneval der Zug der "Blocos Afros" vorbeizog. In dieser Zeit formierten sich die schwarzen Karnevalsblöcke Ilê Aiyê, Ara Ketu und die Söhne Gandhis, die in unzähligen Sambasongs besungen werden. 1979 entstand in den Hinterhöfen des Pelourinho dann die Banda Olodum. Ihre Karnevalsproben auf dem ehemaligen Sklavenmarkt wurden identitätsstiftend. Mit den Liedern von Olodum sprang der Stolz auf die eigene Kultur von der Bühne auf das Publikum über. In diesen Momenten schien es eine Auszeichnung zu sein, sagen zu können: "Ich bin schwarz!"

Auch die Mode der Stars von Olodum machte Schule. Ihre Fans versuchten nicht mehr, sich weiß zu geben. Sie glätteten ihre Haare nicht mehr, sondern banden sie mit eingeflochtenen Perlen auf den Kopf, trugen Rasta-Zöpfe und hüllten sich in phantasievolle Kostüme mit afrikanischem Mustern. Und die "Narrenfreiheit" des Karnevals erlaubt, zu kritisieren und anzuklagen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Michael Jacksons Song "They don't care about us" den Status der Schwarzen verbesserte.

Tonho Matéria, einer der drei Sänger von Olodum, stellte die Verbindung zur zweiten identitätsstiftenden Tradition her, die aus Afrika kam und nun in Bahia ihren Mittelpunkt hat. Die Kampfkunst der Capoeira. Diese "Philosophie in Bewegung" ist Thema des Karnevals 2008. Ehemals von den Sklaven heimlich zur Verteidigung trainiert, war die Capoeira noch bis 1937 verboten.

Wichtige Symbole schwarzer Identität

Heute dient sie, ebenso wie die Trommeln der Banda Olodum, dem kulturellen Kampf gegen den "höflichen Rassismus" in Brasilien. Nicht die Gesetze diskriminieren die Menschen hier, wie es in Südafrika der Fall war, nicht die Institutionen, wie in den USA. Die zahlreichen subtilen Verbote, die einen Großteil der Menschen vom gesellschaftlichen Leben ausschließen, machen die oft gepriesene "Rassendemokratie" Brasiliens zum Mythos.

Dieser Rassismus trifft die Mehrheit der Brasilianer. In Salvador etwa sind 80 Prozent der Einwohner Afrobrasilianer. Auch im Schulunterricht fehlen die schwarzen Helden, doch die Songs von Olodum und die Capoeira-Balladen holen den Nachfahren der Sklaven das Wissen um ihre Wurzeln zurück. Während des neunzehn Kilometer langen Umzugs rezitiert die ganze Stadt die Songs über die schwarze Geschichte Brasiliens, zu denen Olodum trommelt.

Jedes Kind kennt etwa "Zumbi dos Palmares", einen Song über Zumbi, der gegen die portugiesischen Kolonialherren rebelliert hatte und im Jahr 1650 hingerichtet wurde. Bei Olodum heißt das dann: Schwarzer General / kämpfte und starb für die Freiheit seiner Brüder / Wir wurden wie Tiere behandelt, unterdrückt, marginalisiert / Sei gegrüßt König des schwarzen Selbstbewusstseins.

Wichtige Symbole schwarzer Identität sind die Trommeln und der Berimbau, das traditionelle Saiteninstrument der Capoeira, gefertigt aus einem gebogenen Holzstock, etwas Draht und einer Kalebasse. Hunderte Berimbau-Spieler prägen gemeinsam mit den Trommeln der Blocos Afros und dem Tanz der Capoeiristas das Bild des diesjährigen Festzugs.

"Brasilien ist immer noch eine Einbahnstraße"

Capoeira als großes Thema des diesjährigen Karnevals von Salvador ist ein enormer Erfolg, für den Tonho Matéria, selbst Meister dieser Kunst, jahrelang kämpfte und dafür bis in die Hauptstadt Brasilia reiste. Denn bis heute ist das weiße Ideal eine schwer zu überwindende Grenze. So defilieren die weißen Karnevalszüge auch in diesem Jahr zu den besten Zeiten, dann erst folgen die "Blocos Afros".

Im Jahr 1996 gab es eine erste Zäsur. Als Michael Jackson den Video-Clip "They don't care about us" produzierte und im verschwitzten Olodum-T-Shirt durch das Pelourinho tanzte, zeigte der größte brasilianische Fernsehsender "TV Globo" die Bilder zur besten Sendezeit. Ein enormer Erfolg, denn im brasilianischen Fernsehen treten Schwarze bis heute entweder als Hausangestellte oder Kriminelle auf.

Für den Karneval schöpft Olodum immer aus dem Fundus der afro-brasilianischen Geschichte. In gigantischen Installationen präsentiert die Truppe afrikanische Länder und Völker: Angola, die Tuareg, die Sahara. In diesem Jahr ist das Motto "Südafrika - für das Leben, die Fröhlichkeit, die Demokratie und die Vielfalt der Völker in Lateinamerika und Afrika". Statt einer klassischen Karnevalsprinzessin begleitet die "Mulher Olodum" den prächtigen Zug, eine politisch korrekte Schönheitskönigin, die Bildung und Engagement beweisen muss.

"Brasilien ist für uns immer noch eine Einbahnstraße.", sagt Tonho Matéria, der eine Capoeira-Akademie für sozial benachteiligte Kinder unterhält. "Wir geben unsere Kultur, unsere Arbeitskraft. Was zurückkommt ist Widerspruch. Wichtig ist, unsere Identität das ganze Jahr über zu leben, uns ihrer immer bewusst zu sein." So sitzt inzwischen bei fast jeder Diskussion über Rassismus ein Mitglied von Olodum in der Runde. Einen ersten großen Sieg haben sie schon verbucht. Olodum wirkte an der Aufnahme des Kapitels "O Negro" in der Verfassung des Bundesstaates Bahia mit. Rassendiskriminierung wird darin unter Strafe gestellt.

© SZ vom 5.2.2008/kur - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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