Kampfstrategien im Internet:Schöner lügen

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Wenn Horst Schlämmer Autos verkauft: Online-Werbestrategen setzen auf ansteckende Späße, die von Kumpel zu Kumpel den Weg in unsere Mailbox finden. "Viral" sein ist alles.

Christian Kortmann

Auch Wortbedeutungen machen Karriere: Der Begriff Virus stieg in knapp zwei Jahrzehnten von der denkbar schrecklichsten Konnotation als todbringende Gefahr zum Prädikat einer bewunderten Kommunikationsform auf. In den Achtzigern war "das Virus" ein Synonym für die Immunschwächekrankheit Aids, in den Neunzigern assoziierte man mit "der Virus" ein sich schnell verbreitendes Computerproblem - in beiden Fällen also etwas Negatives.

Was mit Horst klappt, soll auch andere infizieren. (Foto: Foto: dpa)

Während man das Aids-Virus als unsichtbare Gefahr meist mit dem neutralen Artikel "das" versieht, neigt man beim greifbaren, von Menschenhand hergestellten Computervirus zum bestimmten Artikel "der". In jüngster Zeit hat sich "Virus" jedoch zu etwas Positivem gewandelt. Der Begriff bezeichnet nun eine besondere Form des Popularitätsgewinns, die Öffentlichkeitsarbeitern als Königsweg des Erfolgs erscheint: Plötzlich will jeder viral sein.

Damit ist das sogenannte virale Marketing gemeint, die Internet-Variante altmodischer Mund-zu-Mund-Propaganda, die den Mechanismus eines Virus imitiert: Werbung wird in Form von Videoclips oder Websites platziert, deren Links das Netzpublikum freiwillig per E-Mail verbreitet, ohne zu ahnen, dass es sich um Werbung handelt. Hier ist also jenes unangenehme Element des Marktschreierischen getilgt, das einen bei TV-Reklame den Ton abschalten lässt.

Die Internet-Variante altmodischer Mundpropaganda

Durch die Vermittlung von Vertrauenspersonen dringt die Kunde von einem neuen Produkt zum Publikum vor. Prägnantes Beispiel sind die Internetvideos von Hape Kerkelings Kunstfigur Horst Schlämmer, die ein Autokonzern produziert. So etwas multipliziert sich rasch zu massenmedialer Wirkung, weil die Botschaft über das E-Mail-Adressbuch des Einzelnen ("Send to all") phantastische exponentielle Vermehrungsraten hat.

Virales Marketing reagiert auf Netz-Communities wie MySpace: Interessengemeinschaften, die sich als autonome Gegenkultur begreifen, unabhängig von den Manipulationen der ex cathedra formulierenden Medien. Solche sozialen Netzwerke können nicht wie die analoge Welt auf breiter Front überrollt, sondern müssen infiltriert werden. Das Augenmerk der Werber liegt also nicht mehr auf einer Überwältigungsstrategie, sondern auf dem Virusdesign, schließlich soll von ihm höchste Ansteckungsgefahr ausgehen: Denn das Ziel ist die Lust, andere teilhaben zu lassen.

Eine virale Idee breitet sich dann aus wie eine Grippe auf dem Oktoberfest, wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkommen. Erst die ausdifferenzierten Monokulturen bereiten Viren einen Nährboden. Einerseits errichten die Gemeinschaften eine Lobby für ähnliche Interessen, andererseits werden sie dadurch berechenbar und verwundbar für Angriffe von außen. So tauchen etwa auf der MySpace-Seite gefälschte User-Profile auf, mit denen Plattenfirmen ihre Künstler bewerben.

Der Wandel des Virus-Begriffs geht also einher mit der Neuausrichtung des Community-Konzepts: Eine nach Partikularinteressen abgegrenzte Szene entsteht nicht mehr aufgrund gesellschaftlichen Drucks an bestimmten Orten, wie zum Beispiel San Franciscos Lesbian-and-Gay-Community. Sie formiert sich jetzt aus freien Stücken transnational inmitten der Gesellschaft. Eintrittskarte ist kein äußeres Erkennungszeichen wie Scott McKenzies Blume im Haar, sondern eine Profilseite bei MySpace oder Xing.

Community-Mitglieder wollen smart gewonnen werden. So liegt der Erfolg einer viralen Kampagne, wenn deren Werbezweck durchschaut worden ist, auch in der Kommunikation über Intelligenz und Wirkungswege: Obwohl inzwischen jeder weiß, für welche Automarke Horst Schlämmer seinen Führerschein macht, gelten die Videoclips allgemein als gut gemacht und witzig - die Firma bleibt positiv im Gespräch, obwohl sie den User "betrogen" hat.

Nicht nur im Marketing, auch im öffentlichen Gespräch entfalten Viren ihre Wirkung. Wenn die Medien das Informations-Immunsystem einer Gesellschaft sind, das falsche Ideen abwehrt, so wirkt dieser Schutzschild bisweilen durchlässig, weil es offenbar schwerfällt, unter den sich qua Netz rapide vermehrenden und wachsenden Ideen relevante von irrelevanten zu trennen.

Bemerkenswert war etwa die kurze und heftige Liaison der deutschen Medien mit dem Internet-Rollenspiel Second Life. Noch vor wenigen Monaten vermittelte die Nachrichtenlage den Eindruck, als würde Second Life unsere unmittelbare Zukunft prägen und die Menschheit um ein Leben in diesem neuen Heilskosmos nicht herumkommen.

Manche Ideen vermehren sich unabhängig von der Substanz ihres Inhalts: Ein Immunsystem, das rund um einen nichtsnutzigen Eindringling heiß läuft - die typische Diagnose einer Virusinfektion. Jetzt (ein paar Wochen Abstand sind hier bereits ein Nachhinein) merkt man, dass die euphorische Berichterstattung nicht angebracht war - die ersten Ernüchterungsartikel sind schon veröffentlicht.

Von Kumpel zu Kumpel

Aus der Konjunktur des viralen Marketings ergeben sich also kulturkritische Fragen: Sind die vielgepriesenen sozialen Netzwerke steuerbar, funktioniert ihr kommunikatives Immunsystem nur eingeschränkt? Gerade in den dilettantischsten Ecken des Netzes, die Peer-to-Peer-, also Kumpel-zu-Kumpel-Kontakte versprechen, kann man seiner Wahrnehmung oft nicht mehr trauen: Man stößt etwa auf eine originelle Website, doch wenn man die Freude über diesen Fund mitteilen will, schleppt man nur einen Virus weiter. Oder sollte man die biologistische Metapher nicht strapazieren, da Beeinflussung, besser: Input, von den Usern durchaus gewünscht ist?

Und sie akzeptieren ja längst nicht alles: Neben gelungenen finden sich im Netz zahlreiche gescheiterte virale Kampagnen, etwa die Videoclips von jungen Menschen, die für eine Kreditkartenfirma eine Nacht alleine im Kaufhaus verbringen, was aber weniger als 400 Leute sehen wollten. Die beste Impfung für jede Community scheint also ein Bewusstsein für Qualität zu sein. So könnte bei anhaltendem viralen Beschuss die Bedeutung des "Virus"-Begriffs eine nochmalige Wendung erhalten und "Spam" an der Spitzenposition der Internet-Plagen ablösen.

© SZ vom 3.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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