Kampf der Kulturen:Die braune Gefahr

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Samuel P. Huntington erweitert mit seiner Theorie zur Einwanderungspolitik sein Weltbild vom "Clash of Civilisations".

Von Andrian Kreye

Die amerikanische Nation läuft Gefahr, ihre Identität zu verlieren, schreibt der Harvard-Politologe und Autor des legendären Essays "Kampf der Kulturen" Samuel Huntington in seinem neuen Buch "Who Are We?". Schuld daran sei die Einwanderungswelle aus den lateinamerikanischen Ländern, insbesondere aus Mexiko. Latinos, so der Professor, seien nicht integrationsfähig, kämen überwiegend illegal in die Vereinigten Staaten, und weigerten sich, die Landessprache Englisch zu lernen.

Schlimmer noch - weil sie sich nach ihrer Ankunft in spanischsprachigen Gemeinden zusammenrotten, würden sie kulturelle Enklaven schaffen, die wegen dem massiven Zuzug und der enormen Geburtenrate ganze Städte und Regionen hispanisierten. Eine bikulturelle Gesellschaft bedeute aber, so Huntington "das Ende des Amerika, das wir seit mehr als drei Jahrhunderten kennen. Die Amerikaner sollten das nicht geschehen lassen, wenn sie nicht davon überzeugt sind, dass diese neue Nation eine bessere sein wird".

Erscheinungsdatum Mai

Das Buch wird erst im Mai erscheinen, doch in der Märzausgabe der Zeitschrift Foreign Policy fasst Huntington die Grundaussagen seines Buches zusammen. Wer in einem Wahl- und Kriegsjahr Feuer an die Pulverfässer Einwanderungspolitik und nationale Identität legt, verschafft sich natürlich Öffentlichkeit, und so ließ der Protest nicht lange auf sich warten.

In der mexikanischen Zeitung Reforma beschimpfte der Wirtschaftswissenschaftler Jesús Silva-Herzog Marquez Huntington als "Stephen King der Politikwissenschaft", der zwar viele Bücher verkaufe, die aber einer wissenschaftlichen Nachprüfung nicht lange standhielten. Der Lateinamerikakorrespondent des Miami Herald Andrés Oppenheimer schrieb: "ein großer Tag für Rassisten in Amerika, nachdem sie einen weltweit anerkannten Intellektuellen gefunden haben, der ihre Ressentiments gegen die hispanische Bevölkerung rationalisiert", und fragte: "Was kommt als nächstes? Die Warnung vor der Braunen Gefahr?"

Nun argumentiert ein Harvardprofessor intelligenter als die üblichen Vertreter solcher Theorien wie David Duke oder Jean-Marie Le Pen. Das zwingt Huntingtons Kritiker in ein rhetorisches Minenfeld aus Statistiken und historischen Zusammenhängen. Zwar warnte der Soziologe an der State University of New York Richard Alba, dass Huntington entscheidende Daten und Statistiken einfach ignoriert habe.

Selbst David Brooks, einst Redakteur des neokonservativen Zentralorgans Weekly Standard, zerpflückte in seiner Kolumne für die New York Times Huntingtons These als krude Verallgemeinerung. Brooks Hauptkritikpunkt - Huntington behaupte, die Grundlage der amerikanischen Gesellschaft sei das Bekenntnis zur angloprotestantischen Kultur. In Wahrheit sei es die gemeinsame Zukunft, die Amerikaner zusammenschweiße.

Identität durch Abgrenzung

Doch Huntington scheut auch nicht vor wissenschaftlich untermauerter Polemik zurück, um genau diese Gemeinsamkeit anzuzweifeln. So stellt er der Gefahr einer demographischen Eroberung Amerikas durch die gebärwilligen Latinomassen das Beispiel Bosnien-Herzegovina gegenüber.

Dort habe die Bevölkerung 1961 zu 43 Prozent aus Serben, zu 26 Prozent aus Muslimen bestanden, dreißig Jahre später aber aus 31 Prozent Serben und 44 Prozent Muslimen. Darauf hätten die Serben dann mit ihren ethnischen Säuberungen reagiert.

Zwar versichert Huntington, dass solche extreme Reaktionen in Amerika undenkbar seien, aber wenn er dann erklärt, dass 48 Prozent aller Kalifornier bis 2040 Latinos seien, dass Anglos, die des Spanischen nicht mächtig sind, in Miami schon als Bürger zweiter Klasse gelten, und er sein Essay mit einem Zitat der Politologin Carol Swain beschließt, die ausführt, dass ein weißer Nationalismus "die nächste logische Stufe der Identitätspolitik Amerikas" sei, hat er dem Leser seinen Schluss längst untergeschoben.

Huntingtons Buch kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Einwanderungspolitik ist in diesem Wahljahr ein heißes Eisen. George W. Bush hat eine Generalamnestie für illegale Einwanderer gefordert, was die Rechte als Verrat an konservativen Grundsätzen und die Linke als Winkelzug zur umfassenden Verfolgung der Illegalen sahen. Aber Bush will ebenfalls die Grenzpolizei verstärken und einen High-Tech-Zaun an der Grenze zu Mexiko errichten. Dort gehen derzeit schwer bewaffnete Bürgerwehren auf Latinojagd. Die verschärften Sicherheitsmaßnahmen des Amtes für Heimatschutz haben dagegen Wirtschaft und Wissenschaft enorme Probleme bereitet. Und über allem schweben die politisch korrekten Fragen nach Diskriminierung und Isolationismus.

Huntington hat aber nicht nur einen Beitrag zur Einwanderungsdebatte geliefert. Schon mit dem Titel "Wer sind wir?" erhebt er im permanenten Selbstfindungsprozess der Nation Anspruch auf intellektuelle Autorität. Und dabei macht er es sich ziemlich einfach. Mit der Beschwörung einer kulturellen Gefahr definiert er das Wesen des Landes ex negativo. Gerade diese Methode hat ja seinen Erfolg begründet. Huntingtons "Kampf der Kulturen" sollte 1993 dem siegreichen Westen helfen, sich nach dem Zusammenbruch des Kommunismus über neue Feindbilder zu definieren.

Angesichts der diversen Krisenherde im Nahen Osten wirkt sein damaliger Vorstoß, eine Konkurrenzsituation zwischen dem christlich-jüdischen Wertesystem und dem Rest der Welt zu schaffen, fast schon prophetisch. Ob er damals ein politisch brisantes Grundlagenwerk geschrieben oder genauso wie mit "Who Are We?" nur Gespür für Zeitgeist und akademischen Populismus bewiesen hat, ist bis heute umstritten.

"Kampf der Kulturen" war jedenfalls einer der beiden großen Essays, welche die politologischen Diskurse im Amerika der neunziger Jahre bestimmten. Das andere war Francis Fukuyamas "Ende der Geschichte". Beide waren von einem unverblümten Chauvinismus des demokratischen Westens geprägt. Angesichts der menschenverachtenden Gesellschaften im arabischen Raum, der Faustrechtsysteme in den ehemaligen Blockstaaten,und der Bürgerkriege vom Balkan bis Ostafrika mag man Verfechtern der westlichen Aufklärung triumphales Gehabe nach dem Sieg von Demokratie und freier Marktwirtschaft nachsehen. Doch gegen den fatalistischen Denkansatz, der Huntingtons Arbeit prägt, wirkt Fukuyamas These vom Ende der Geschichte fast wie ein idyllisches Utopia.

Ein neuer Limes?

Wenn Huntington Abgrenzung als Königsweg zur Selbstfindung Amerikas empfiehlt, bestätigt er allerdings ausgerechnet jene Amerikakritiker, die den Aufstieg der USA zur alleinigen Supermacht mit dem Aufstieg des römischen Reiches vergleichen, der in dem Moment endete, als alle Feinde besiegt waren und die Barbarenhorden auf das Weltreich einstürmten.

Diese historische Simplifizierung führt zu dem Schluss, die islamische Welt und die Entwicklungsländer des Südens seien die neuen Barbaren. Sind der geplante Zaun zwischen den USA und Mexiko und der so genannte Schutzwall zwischen Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten nicht moderne Äquivalente des Limes?

Wie alle Übersimplifizierungen hinken die Vergleiche, und daran krankt auch Samuel Huntingtons Weltbild. So lassen sich die Eroberungsfeldzüge der Römer weder mit dem Siegeszug aufklärerischer Werte noch mit der globalen Dynamik des Neoliberalismus vergleichen. Die wahre intellektuelle Herausforderung wäre es , sich nicht auf einen nihilistischen Kampf der Kulturen einzulassen, sondern das Ende der Geschichte als Anfang zu sehen.

Der 76-jährige Samuel Huntington ist in seinem Denken schon zu sehr festgelegt, um noch neue Theorieansätze zu entwickeln. Als rhetorisch versierter Vertreter eines überholten Weltbildes wird er aber noch einige Erfolge feiern.

© SZ v. 22.3.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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