Kabul:Goldrausch in der Stadt der Trümmer

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In Kabul glitzern wieder Glaspaläste, aber die meisten Menschen wohnen nicht mal legal: Afghanistans explodierende Hauptstadt zwischen Drogen-Reichtum und Slum.

Von Sonja Sekri

Sie haben es doch getan! Obwohl der Minister die Baustelle besucht hat! Und die Investoren versprochen haben, die Bauauflagen zu beachten, wo schon die Tankstelle davor nicht ins Altstadt-Konzept passt. Trotzdem steht nun an der Jade Maywand ein vierstöckiger Torso, oben wackeln Drähte in der Luft wie Kakerlakenantennen, und Zarah Breshna giftet: "Drei Stockwerke sollte es haben. Drei! Das hier können nächste Woche schon fünf oder sechs werden."

In Kabul hat der lange Übergang begonnen, mit astronomischen Mieten, aber ohne Strom, mit obszönem Reichtum und Menschen, die verhungern. (Foto: Foto: AP)

Kabuls Altstadt ist ihr Baby, genauer: ihr Sorgenkind. Bis zu 65 Prozent der Altstadt sind zerstört, nun will sie retten, was zu retten ist. Und deshalb wird sie Sarigol anrufen. Sarigol ist ein Ex-Mudschahedin, wie in Afghanistan die meisten auf irgendeine Weise "Ex" sind. Ex-Mudschahedin, Ex-Taliban, Ex-Kommunist, Ex-Feind, Ex-Freund. Sarigol wird die Sache regeln, wie, weiß niemand, aber nach seinen Besuchen sind die Investoren Bauauflagen gegenüber sehr viel aufgeschlossener als vorher. "Wir bräuchten 30 Leute, um die Baustellen zu kontrollieren", sagt Breshna, "wir brauchen eine Armee."

Wie eine Axt spaltet die Jade Maywand die Altstadt

Zarah Breshna ist Ex-Deutsche. Sie hat ein Büro am Prenzlauer Berg und in Kabul einen Job im Planungsministerium, ihr Vater Abdullah baute einst für König Zahir Schah, floh vor den Sowjets und arbeitete in Deutschland mit Egon Eiermann. 24 Jahre hat Zarah Breshna in Deutschland gelebt, dann kehrte sie zurück. Heute rollt sie im SUV über die chronisch verstopfte Jade Maywand, raucht trotz Ramadan Kette und will nicht mehr zurück.

Die Jade Maywand spaltet die Altstadt wie eine Axt, und das soll sie auch. Als die Magistrale Ende der Vierziger gebaut wurde, hatte Afghanistan wenig Sinn für das intime Gedränge islamischer Städte. Eine Kapitale mit Hochhäusern und Boulevards sollte den Willen zur Moderne ausdrücken - auch wenn der Rest des Landes noch in der Mogul-Zeit steckte. Die Altstadt wurde überflüssig und sollte, einmal geteilt, bald eingehen.

Aber das tat sie nicht. Sie schluckte die Jade Maywand, verdaute sie, und es entstand eine der lebendigsten Meilen der Stadt. Tag für Tag verklumpen sich hier psychedelisch bunte Laster, Karren mit Obstbergen, Rikschas, Geldwechsler und ächzen vorbei an Wellblechhütten, die sich ins Stadtbild krallen wie Bettler an ein Almosen. Aber Überleben ist nicht alles, die Altstadt soll wieder erstehen als Herz eines prosperierenden Nachkriegs-Kabul, und wie das aussehen soll, kann Breshna in einigen Gassen schon demonstrieren: Hier ist der Boden frisch gepflastert, hinter einer Holztür öffnet sich ein schattiger Hof, gerahmt von neu geschnitzten Bögen, filigran wie Tortenspitze.

Viel Geld ist nach Kriegsende nach Afghanistan geflossen

Khanum Malalai, die kugelrunde Hausfrau, ist sehr zufrieden: "Damals dachten wir, die Verkleidung kracht ein. Wir wollten schon alles abreißen." Da ahnt man, was die Altstadt werden könnte, spürt einen Hauch vom Zauber Marrakeschs, von der abgewrackten Größe Alt-Kairos. Aber der Rest der Gegend ist fast ein Slum, und die Restaurierung hat nicht Afghanistan bezahlt, sondern Deutschland oder Japan. "Es gibt Geld in diesem Land", sagt Breshna, "nur mein Ministerium hat keins".

Es gibt sogar viel Geld. Vier Milliarden Dollar internationale Hilfe sind seit Kriegsende nach Afghanistan geflossen, heißt es. Consulting-Imperien wie PriceWaterhouseCooper haben Filialen eröffnet, es herrscht Goldgräberstimmung am Hindukusch - und nirgends glitzern die Nuggets so verführerisch wie auf dem Immobilienmarkt, wo die Mieten für ein Haus 8000 Dollar im Monat erreichen.

Kabul ist keine Mondlandschaft mehr, jedenfalls nicht überall. Staunend fahren die Afghanen auf den Rolltreppen des "Kabul City Centers" und bewundern das "Serena", das erste Fünf-Sterne-Hotel der Stadt. Jeden Monat erheben sich neue Paläste aus dem Staub, schillernd wie Käferflügel. Gewiss, gurren die Optimisten, die eine oder andere Rakete schlage noch ein, ein Bundeswehrsoldat starb in einem Anschlag, aber insgesamt beweise der Boom doch das Vertrauen der Investoren in die neue Zeit.

Das meiste Geld kommt vom Drogenanbau

Auf verrückte Weise wirken die Glaskästen nicht mal fremd. Sie sind Billboards eines neuen Reichtums, der oft aus dem Ausland stammt, aber oft auch aus trüben Quellen am Ort. Das meiste Geld, so sagen Breshna und alle anderen, die sich auskennen, stammt aus dem Drogenanbau. Kabuls Immobilienmarkt ist eine riesige Geldwaschanlage. Das leugnen nicht mal die Beamten der Stadt.

Jasin Helal zum Beispiel ist stellvertretender Leiter der städtischen Abteilung für Politik und Koordinierung und empfängt den Besuch auf abgewetzten Sesseln. Er spricht kaum Englisch, er stellt in jeder Hinsicht das Gegenteil Breshnas dar, und wenn es in Kabul nicht so vorangeht, wie es sollte, dann liegt es auch an Reibungsverlusten durch solche Differenzen. Nicht allein, dass Breshnas Ministerium gerade vier Jahre alt ist, aber den Bürgermeister bei der Stadtplanung schon entmachtet hat.

Die weltgewandte Architektin und der Kommunalbeamte, dem eine indische Beraterin auf die Finger schaut wie eine Lehrerin, entstammen unterschiedlichen Galaxien. Während Breshna das Erbe künftiger Generationen retten will, kaut Helal noch auf dem Masterplan der Sowjets von 1978 herum. Damals lebten 700 000 Einwohner in der Stadt, heute sind es vier Mal so viele. Die Sowjets planten Plattenbauten, gewaltige Prospekte, nichts, was heute noch Bestand hat, trotzdem beharrt Helal: "Wir werden den Masterplan eben an die neue Situation anpassen", woraufhin die Beraterin sehr unzufrieden guckt.

Kabul platzt aus allen Nähten, wächst schneller als Lagos oder Mumbai. (Foto: Foto: Reuters)

Aber Geld, um zu bauen, haben ohnehin weder Breshnas Ministerium noch die Stadt, sondern nur private Investoren, und das sind sehr oft Warlords oder Drogenbosse. "Also gut, das Geld stammt aus Drogengeschäften, es ist schlechtes Geld", gibt Helal zu, "aber wenn es investiert wird und Arbeitsplätze schafft, wird es gutes Geld." Und darin liegt ebenso die Ohnmacht eines bankrotten Staates wie Pragmatismus.

Die Kluft zwischen Glanz und Elend ist tiefer als der ausgetrocknete Kabul-Fluss

Die Klage über den Drogenanbau sei sentimentaler Quatsch, hat ein indischer Consultant kritisiert: "Seid froh, dass Kapital im Land ist!" Er selbst erhält 500 Dollar pro Tag plus Gehalt - ein Luxusgeschöpf in dieser Stadt, in der die Kluft zwischen Glanz und Elend tiefer ist als der ausgetrocknete Kabul-Fluss. Doch auch die Armut hinterlässt Spuren.

Die Not treibt die Menschen aus den Dörfern Afghanistans, die Hoffnung lockt sie aus den Flüchtlingslagern jenseits der Grenze. Kabul platzt aus allen Nähten, wächst schneller als Lagos oder Mumbai. 2001 lebten hier zwei Millionen Einwohner, heute sind es knapp drei. Die wenigsten schaffen es bis Share Naw oder Wasir Akbar Khan, in die reichen Viertel mit den neuen Bürgersteigen. Sie wohnen an den Bergen, wo Siedlungen emporschwappen wie Gezeiten, illegales Lehmziegelpatchwork ohne Wasser und Strom - aber Strom gibt es ja auch in Share Naw nur aus dem Generator.

An den Hängen aber leben Witwen, deren Angehörige von elfjährigen Söhnen ernährt werden; Väter, die ihre Töchter mit sieben Jahren zur Ehe versprechen, um mit dem Brautpreis den Rest der Familie durchzubringen; Mütter, die bitter scherzen, sie könnten ihre Töpfe ruhig verkaufen, weil sie doch nichts zum Kochen haben. Es sind Schicksale, an denen die Aufbruchrhetorik der Hilfsorganisationen von "awareness rising" und "empowerment" einfach zerschellt. Dabei haben sie Glück, andere hausen in Zelten oder Ruinen - noch einen weiteren Winter.

"Aber Kabul wird nie Schanghai werden, nicht in diesem Staub"

"Die Menschen sind erbittert, weil sich bei allem Geld für sie selbst so wenig geändert hat", sagt Jolyon Leslie, Leiter des Aga Khan Trust for Culture, der die Altstadt-Restaurierung mitfinanziert und zusammen mit dem Auswärtigen Amt den Wiederaufbau des Babur-Gartens. Leslie lebt seit 15 Jahren in Afghanistan, er weiß, was geht und was nicht. "Ein irakischer Architekt will hier eine ,Stadt des Lichts' bauen, für neun Milliarden Dollar. Aber Kabul wird nie Schanghai werden, nicht in diesem Staub!"

50 Kilometer Straße wurden seit Kriegsende gepflastert, hat Helal gesagt, 14 500 Häuser aufgebaut, bleiben 21 600 Ruinen. Allerdings arbeiten selbst die Hilfsorganisationen nicht immer solide, das Geld hat die Standards versaut: "Mit dem Goldrausch begann die Verschwendung", klagt ein Vertreter einer internationalen Organisation: "Manchmal bauen die Hilfsorganisationen Schrott. Auf dem Land sind sieben neue Häuser einfach eingestürzt, es waren Todesfallen."

In Kabul hat der lange Übergang begonnen, mit astronomischen Mieten, aber ohne Strom, mit obszönem Reichtum und Menschen, die verhungern, obwohl das niemand so nennen wird. Die Lebenserwartung in Afghanistan liegt bei 43 Jahren.

© SZ vom 19.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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