Jürgen Trimborn:Egoistisch, eitel, unstet... kurz: Rudi Carrell

Lesezeit: 4 min

Jürgen Trimborn erkundet den kettenrauchenden Showkönig

Oliver Maria Schmitt

Heute wäre wohl ein mittlerer Weltkrieg fällig gewesen. Als Rudi Carrell in seiner Nachrichtenparodiesendung ,,Tagesshow'' durch Filmschnipselmontage den Anschein erweckte, der greise Ayatollah Chomeini wühle begeistert in Damenunterwäsche, waren lediglich die deutsch-iranischen Beziehungen belastet, es brannten einige Fahnen, und das Goethe-Institut in Teheran musste geschlossen werden.

Der Charmeur, der von Anfang an das Gouda-Deutsch salonfähig machte - Rudi Carell in den Sechzigern (Foto: Foto: SV-Bilderdienst)

Wäre im Jahr 1987, als dieser kleine Scherz über den Sender ging, die islamistische Empörungsmaschinerie schon so perfekt geölt gewesen wie heute - die halbe barttragende Welt hätte Carrell nach dem Leben getrachtet. Dass auch dieser Witz bestimmt kein Gottesgeschenk war, das hat Carrell immer wieder betont: ,,Einen Witz kann man nur aus dem Ärmel schütteln, wenn man ihn vorher hineingetan hat.''

,,Ich werde noch lange als Wiederholung weiterleben''

Als Rudi Carrell am verflixten 7.7. dieses Jahres im Alter von einundsiebzig Jahren starb, hinterließ er eine kleine Ewigkeit: ein gutes Dutzend Kinostunden, Hunderte von Gastauftritten in anderen Fernsehsendungen und Millionen Minuten eigener TV-Shows, angefangen von der legendären ersten ,,Rudi Carrell Show'', die 1961 im holländischen Fernsehen lief, bis zu seiner letztem Sendung ,,Sieben Tage, sieben Köpfe''; dazwischen lagen Äonen von Pointen, Witzen, Gags und Lachern, manche ähnelten sich sogar auf verblüffende Weise, und in Anbetracht dieser gewaltigen Hinterlassenschaft schwante schon dem Moribunden: ,,Ich werde noch lange als Wiederholung weiterleben.''

Sein Leben begann Rudi Carrell unter dem Tarnnamen Rudolf Wijbrand Kesselaar im holländischen Alkmaar. Als Sprössling einer Familie von Unterhaltungskünstlern steht er früh auf Bühnen, tingelt mit dem Vater durch die niederen Lande, und als er mit dreißig Jahren von Mike Leckebusch, dem Erfinder von ,,Beat Club'' und ,,Musikladen'', als Showmaster zu Radio Bremen geholt wird, ist er in der Heimat bereits ein Star und kann auf eine zweiundzwanzigjährige Bühnenerfahrung zurückblicken.

Das Schreckensarsenal neuzeitlicher holländischer Unterhaltungshybriden (Vader Abraham! Mareijke Amado!! Andre Rieu!!!) war 1965 noch nicht erahnbar, und so gelang es Carrell, nachdem Johannes ,,Maxim'' Heesters und Lou ,,Wunnebar'' van Burg den Boden bereitet hatten, als erstem Holländer, die mediale Weltherrschaft in Deutschland zu übernehmen. Wie ein weißer Wirbelwind wischte er den graumelierten Schleier aus der deutschen Fernsehabendunterhaltung, als gelernte ,,Rampensau'' ließ er seine Konkurrenten Rosenthal, Kuhlenkampff, Lembke et al., die zumeist mit abgefilmter Radiounterhaltung aufwarteten, erschreckend alt aussehen.

Die Verdienste Carrells sind Legion: Er machte das Gouda-Deutsch salonfähig, rief vergessene Dichter wieder ins Bewusstsein (,,Goethe war gut''), verhalf der angeschlagenen Filmindustrie zu neuem Selbstbewusstsein (,,Tante Trude aus Buxtehude'') und wirkte überhaupt völkerverbindend, indem er erfolgreiche ausländische Unterhaltungsshows nach Deutschland importierte (,,Herzblatt'', ,,Am laufenden Band'').

Jürgen Trimborn, Rudi Carrell. Ein Leben für die Show, C. Bertelsmann, München 2006. 576 Seiten, 19,90 Euro. (Foto: Foto: Bertelsmann)

Letztere eine unvergessene Sendung, in der erwachsene Menschen versuchten, sich an Konsumprodukte und Satzzeichen zu erinnern und ein sprechendes Fass namens Heinz Eckner als Kultkomiker verkauft wurde. Alles war möglich, die Quote betrug regelmäßig tausend Prozent. Doch wer war der gut gefönte Wundermann wirklich? Ein exotisch nuschelnder Universaldilettant? Ein verhinderter Satiriker? Ein Massenmoderator mit Mission und Migrationshintergrund?

Sein Biograph Jürgen Trimborn hat sich der Erforschung des kettenrauchenden Showkönigs Carrell angenommen, heraus kam ein ,,Vermächtnis'' (Trimborn) mit dem aufregenden Titel ,,Rudi Carrell - Ein Leben für die Show''. Es ist der vierte große Streich des promovierten Theaterwissenschaftlers. Im gewohnten 600-Seiten-Format legt der bekennende Carrell-Fan - durch Arbeiten über Leni Riefenstahl, Hildegard Knef und Johannes Heesters füglich gestählt - eine mustergültige Prominentenbiographie vor, die in ihren besten Momenten zu einer deutschen Fernsehgeschichte wird.

Er ließ den Ayatollah begeistert in Damenunterwäsche wühlen

In schnörkelloser Sprache gehalten, die nur manchmal an den Sound gehobener Illustrierten erinnert (,,Was Rudi hier präsentiert, ist Showunterhaltung vom Allerfeinsten''), läßt das eng bedruckte Werk kaum Wünsche offen: Fotostrecken, Zitatkollektionen, Anmerkungsapparat, Zeittafel, Biblio-, Phono- und Filmographie und ein sauber geführtes Namensregister zeugen von der erklärten Absicht, ,,Deutschlands letzten Showmaster'' mit einem ein Standardwerk zu ehren.

Es ist gelungen - obwohl Trimborn gerade noch drei Monate intensiver Zusammenarbeit mit Carrell vergönnt blieben. Er durfte in Carrells Archiven wühlen und seine Kladden (,,Scrapbooks'') auswerten, den Showmaster interviewen, auch die Familienmitglieder und Kollegen, selbst wenn diese nicht immer gut auf Carrell zu sprechen waren. Der galt zeitlebens als ,,Kollegenschreck''.

Praktisch nichts bleibt im Dunklen: Astronomische Summen werden genannt und große Namen, nicht zuletzt erfahren wir, dass Carrells Künstlername auf den Begründer der Gefäßchirugie zurückgeht. Trimborn zeigt uns den introvertierten Grübler Carrell (,,Ich bin ein Riesenarschloch. Ich bin egoistisch, fast egomanisch, übelnehmend, eitel, unstet, nachtragend und untreu.'') ebenso wie den nachtragenden Egomanen: ,,Harald Juhnke und Hans Rosenthal, das sind doch alles Arschkriecher.''

Er liebte seinen Beruf (,,Man muss naiv sein in diesem Beruf und ein bisschen dumm.'') und achtete seine Kollegen - egal ob sie Anke Engelke (,,10 000 Euro, daß sie es nicht schafft.''), Dieter Bohlen (,,eine Witzfigur'') oder Dieter Thomas Heck (,,mein Lieblingsfeind'') hießen. Wir lernen den multifunktionalen Ideenentwickler, Texter, Regisseur, den Conferencier, Sänger, Tänzer und Tortenwerfer kennen, den unerbittlichen Perfektionisten Carrell, dem vor allem zwei Dinge wichtig waren: Erfolg und Erfolg. Und wenn seine ganze Liebe dem Fernsehen galt, dann hatte er daneben noch zwei echte Leidenschaften, denen er in hohem Maße frönte: Frauen und Bier.

Den verworrenen Beziehungspfaden, über die der Showmaster mit wechselnden Ehefrauen und Partnerinnen souverän schlingerte, folgt Trimborn mit buchhalterischer Akribie und großem Ernst. Der Sänger Carrell (,,Laß dich überraschen'') war auch privat für Überraschungen gut: Etwa wenn er nach einem Familienurlaub zur gemeinsamen Besichtigung des Schmalfilmmaterials lud, wie Tochter Annemieke berichtet: ,,Als wir uns hinterher die Filme anschauten, die Rudi in Amerika gedreht hatte, merkten wir, daß er eigentlich ständig immer nur andere Frauen gefilmt hat.''

Zwanzig bis dreißig Bier pro Tag sind keine Seltenheit

Er brauchte sie, die Frauen, wie das täglich' Brot, das er vor allem in seiner flüssigen Ausprägung aufrichtig liebte. So wartet der Biograph mit erstaunlichen Zahlen auf: ,,Zwanzig bis dreißig Bier pro Tag sind keine Seltenheit, gerade wenn er am Schreibtisch sitzt und sich Gags ausdenkt'', heißt es da, und am Schreibtisch saß der manische Arbeiter viel und dachte einsam über die Zukunft nach: ,,Wenn ich einmal sterbe, fallen die Aktien der Heineken-Brauerei in den Keller.''

In einem vorbildlich geschmacklosen Witz, den Carrell gerne riss und der ihm oft Ärger einbrachte, finden diese beiden Schwächen zueinander - nämlich wenn er fremde Damen mit dem Satz ansprach: ,,Was wollen wir zuerst machen: saufen oder bumsen?'' Was für ein Ärmel, aus dem das fiel!

© SZ-Beilage vom 04.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: