Jubiläum:Mit klarem Blick

Lesezeit: 3 min

Für Regisseure wie Edgar Reitz oder Heinrich Breloer liefert er die großen Bilder - der Kameramann Gernot Roll wird achtzig Jahre alt.

Von Josef Grübl

Für einen Filmpionier ist Gernot Roll einfach zu jung. Er wäre gerne dabei gewesen, als die Bilder laufen lernten, als Kameraschwenks entdeckt, Kranfahrten erfunden oder die ersten Plansequenzen ausgetüftelt wurden. "Diese Pioniertaten durfte ich nicht miterleben", sagt er. Seitdem habe sich die Grammatik des Kinos nur noch wenig verändert, die Sprache des Films sei bewährt.

Der Mann muss es wissen, steht er doch seit 66 Jahren hinter der Kamera, im deutschen Osten wie im Westen, bei Hochglanzdramen und Hohlkopfkomödien, als Kameramann und Regisseur. Roll ist gebürtiger Dresdner und wuchs in Pirna auf, 1953 fing er eine Ausbildung als Kameraassistent bei den DEFA-Studios in Potsdam-Babelsberg an. Pionierzeiten waren das keine mehr, sagt er: "Die Jungs gingen zur Kamera, die Mädchen in den Schnittraum."

Er arbeitete bei Märchenfilmen wie "Das singende, klingende Bäumchen" oder an Konrad Wolfs verbotenem "Sonnensucher" mit. 1960 ging er in den Westen und landete in München bei der Bavaria Film. Er begleitete Edgar Reitz von Anfang an bei dessen "Heimat"-Filmen, mit Franz Peter Wirth und Heinrich Breloer verfilmte er Klassiker des deutschen Literaturkanons. An die besonders dicken Brocken wagte er sich sogar mehrfach, "Die Buddenbrooks" etwa und "Wallenstein". Er tauchte Helmut Dietls Kinohit "Rossini" in schimmerndes Kerzenlicht und war für die Bilder des Oscargewinners "Nirgendwo in Afrika" von Caroline Link verantwortlich. Zuletzt stand er für Breloers "Brecht"-Projekt hinter der Kamera, der Zweiteiler lief erst kürzlich im Fernsehen.

Die Weite des Westerns, mitten im Hunsrück – solche Kompositionen schufen Gernot Roll und Edgar Reitz 2013 für „Die andere Heimat“. (Foto: Verleih)

Wer Gernot Roll in seiner Wohnung im Münchner Stadtteil Haidhausen besucht, darf einen Blick in seinen Wäschekorb werfen: Darin bewahrt er die Fotos seines Berufslebens auf. Man sieht Stars aus längst vergangenen Zeiten und Kameras, die so groß und unbeweglich sind wie Dampfmaschinen. Er erklärt, was Blimps sind (Metallgehäuse, die zur Schallisolation um Kameras herumgebaut wurden) und wie der Abgleich von Lampen und Lichttemperaturen funktioniert. Der kleine Mann mit dem listigen Blick bezeichnet sich als Handwerker, opulentes Historienkino liegt ihm ebenso wie kontrastreicher Schwarz-WeißFilm, grundsätzlich neige er zum Verschönen, sagt er.

Doch nicht alles in Gernot Rolls Welt ist schön: Mit zunehmendem Alter beschäftigte er sich mit Körperflüssigkeiten jeglicher Art, zumindest in seinen Regiearbeiten. In der Mallorca-Klamotte "Ballermann 6" wird so viel gesoffen, gekotzt und uriniert, dass Kinobetreiber den Film vorzeitig vom Spielplan nahmen. Das unerhörte Treiben der Prolls auf der Leinwand habe die Prolls vor der Leinwand zu ähnlich unerhörten Aktionen animiert, so der Vorwurf. Am Ende hatte der Film trotzdem zweieinhalb Millionen Zuschauer.

Gernot Roll nach der Verleihung des Bayerischen Filmpreises 2015. (Foto: Ursula Düren/dpa)

Bernd Eichinger habe ihm diesen Job eingebrockt, erzählt Roll lachend und holt ein weiteres Foto aus dem Wäschekorb. Angeblich habe der Produzent keinen Regisseur gefunden und ihn, den bereits engagierten Kameramann, gefragt, ob er das nicht miterledigen wolle. Und keine Sorge, im Abspann könne er sich natürlich hinter einem Pseudonym verstecken. Roll willigte ein, auf Versteckspiele hatte er aber keine Lust. So kam es, dass er sich nach Jahrzehnten im Dienst der niveauvollen Filmunterhaltung auch in den Niederungen der deutschen Spaßkultur bewegte. Er drehte noch mehr solcher Flachwitznummern, für Mario Barth, Gerd Dudenhöffer oder Rötger Feldmann. Das habe Spaß gemacht, sagt Roll, und vermutlich würde er das noch heute machen, wenn die Begeisterung für deutsche Fernsehkomiker im Kino nicht irgendwann nachgelassen hätte. Die teils heftigen Kritiken konnte er nie verstehen: "Man muss doch auch andere Genres existieren lassen, selbst wenn man sie nicht mag."

Seine Regiekarriere hatte indes unter ganz anderen Vorzeichen begonnen: Im Dezember 1993 starb Axel Corti während der Verfilmung von Joseph Roths "Radetzkymarsch". In ihrer Not fragten die Produzenten den Kameramann des erst zu zwei Dritteln abgedrehten Mammutprojekts, ob er einspringen könne. Gernot Roll traute sich und übernahm das Kommando am Set. Später inszenierte er auch Historienfilme fürs Fernsehen ("Trenck - Zwei Herzen gegen die Krone") oder Kinderfilme fürs Kino ("Der Räuber Hotzenplotz"). Zum Filmpionier macht ihn aber ausgerechnet Mario Barth mit seiner Komödie "Männersache". Roll übernahm wie üblich Kamera und Regie und drehte komplett digital - erstmals im deutschen Kinofilm, wie er erzählt. Seitdem schwört er auf die neue Technik, er vermisst weder Blimps noch Zelluloid, seine Zukunft sei digital, sagt er. An diesem Dienstag wird Gernot Roll achtzig Jahre alt.

© SZ vom 09.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: