Jubiläum:Kolossal gut

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Meist trägt er Baseballkäppis, aber auch Hut steht ihm gut: Thomas Thieme. (Foto: Cornelius/insight media/ddp)

Zwischen "Faust" und Fußball: Der Wucht- und Kraftschauspieler Thomas Thieme wird 70. Schade, dass er so selten auf der Bühne steht, weil er fast nur noch dreht.

Von Christine Dössel

Einer der größten Tage im Leben des Schauspielers Thomas Thieme war nach eigenem Bekunden der 8. Mai 1997. Da gründete er an der Berliner Schaubühne den Fußballverein FC Energie Schaubühne. Thieme selbst, seit je ein baumstark-stämmiger Typ, war nicht nur der erste Manager, sondern auch linker Verteidiger. Heute ist er der Coach und nennt den Schaubühnen-Star Lars Eidinger "unseren Cristiano Ronaldo".

An diesem Montag wird der kolossale Schauspieler Thomas Thieme 70. Eine Geburtstagswürdigung dieses sehr besonderen Wucht- und Kraftkerls mit seinem Berliner Theaterfußballklub zu beginnen, macht schon deshalb Sinn, weil bei Thieme beides untrennbar zusammengehört, seine Fußballverrücktheit und seine Leidenschaft für das Theater und die Schauspielerei. Sein Sportsgeist und sein Gespür für Dynamik, Timing, Angriff kommen in all seinen Rollen und Projekten zum Einsatz, auch in seinen Arbeiten als Regisseur.

Der Weimarer mit DDR-Migrationshintergrund bringt nicht nur fußballerische Spielenergie, sondern tatsächlich auch Fußballer auf die Bühne. So hat er den einstigen Profikicker Jimmy Hartwig mehrmals als Schauspieler eingesetzt, etwa 2009 in dem Projekt "Büchner/Leipzig/Revolte". Da gab der Ex-Nationalspieler Büchners Woyzeck, den geschundenen Mann aus dem Volk, hier: ein Opfer der DDR.

Bisheriger Höhepunkt in Thiemes Fußball-Schauspieler-Biografie war seine Darstellung des FC-Bayern-Managers Uli Hoeneß in dem Fernsehfilm "Hoeneß - Der Patriarch" (2015). Thieme spielte, mit nahezu perfekter Hoeneß-Miene, nicht etwa eine Karikatur des wegen seiner Zockersucht aus höchsten Höhen gestürzten Fußballkönigs. Sondern er tat, was er auch 2009 bei seiner Rolle als Altkanzler Helmut Kohl in dem Film "Der Mann aus der Pfalz" tat: Er suchte den Menschen in der Figur.

Wobei ihm das bei Hoeneß nicht sonderlich schwergefallen sein dürfte, ist ihm dieser Mann mit seiner "Mischung aus hoher Emotionalität und Sensibilität", seinen Ausbrüchen und seiner Furchtlosigkeit, "die Dinge beim Namen zu nennen", doch hochsympathisch und sehr nahe: "Damit kann ich als Schauspieler und als Thieme etwas anfangen", sagt er in einem der Gespräche mit dem Kulturjournalisten Frank Quilitzsch, die gerade in dem Band "Thomas Thieme. Ich Hoeneß Kohl" erschienen sind ( Klartext Verlag, Essen 2018. 244 S., 19,95 Euro). Quilitzsch führt seit siebzehn Jahren kurze Telefoninterviews mit dem Thüringer Thieme für die Thüringische Landeszei tung. Sie beginnen fast immer mit der Frage "Wo sind Sie, Herr Thieme?", und dann erzählt Thieme von den Dreharbeiten oder den Projekten, die er gerade macht, ganz locker, saftig und frei Schnauze. Ein sympathisches Format, durch das einem der Mensch Thieme nahekommt. Man glaubt beim Lesen seine tiefe, raukehlige, oft dunkel vibrierende Stimme zu hören, dieses sehr markante Organ.

Thomas Thieme wurde am 29. Oktober 1948 in Weimar geboren, jener Stadt, in die er 2001 zurückkehrte, um Goethes "Faust" zu spielen - als einen Gelehrten von kraftstrotzender Sinnlichkeit. Seither hat er in seiner Heimatstadt viel gespielt und selber inszeniert, ist auch halb wieder hingezogen (neben seinem Wohnsitz Berlin). Den Weimar-Preis der Stadt lehnte er jüngst jedoch ab. Weder wollte er sich in die Liste der vorherigen Preisträger einreihen noch als "der ewige Weimarer" gelten.

Widerständig und sturköpfig war Thieme immer schon. Diesen starken eigenen Willen zwingt er auch seinen Figuren auf. Sie haben dadurch eine besondere Kraft. Nach der Ausbildung an der Berliner Schauspielschule Ernst Busch spielte der "dicke Thieme" am Theater Görlitz-Zittau, in Magdeburg und Halle. Er wollte raus aus der DDR, stellte einen Ausreiseantrag und kam 1984 schließlich in den Westen, wo er am Schauspiel Frankfurt bei Adolf Dresen begann. Der leidenschaftliche Thieme mit seiner Begabung zum physischen wie auch sprachlichen Exzess machte schnell Karriere, am Wiener Burgtheater, an der Berliner Schaubühne, am Schauspielhaus Hamburg. Unvergessen sein verkommener, spotzender, die Sätze am Ende nur noch malmender Richard III. (Dirty Rich Modderfocker der Dritte) in Luk Percevals gefeiertem Shakespeare-Marathon "Schlachten!". Thieme wurde damit 2000 "Schauspieler des Jahres". In Percevals Regie spielte er viele große Rollen, so auch den derb-zotigen "Schoko" in dem erst heftig umstrittenen, später Kult gewordenen "Othello" an den Münchner Kammerspielen.

Thieme hat als Schauspieler eine funkelnd gefährliche Präsenz. Das prädestinierte ihn auch im Film für so manche Bösewichtrolle. Im "Untergang" war er der Ekel-Nazi Bormann, im Stasi-Drama "Das Leben der Anderen" der lüstern-zynische Kulturminister Hempf, in dem Fernsehfilm "Rommel" mit Ulrich Tukur der Generalfeldmarschall Günther von Kluge. Dem Theater ist Thieme, dieses schauspielerische Schwergewicht mit dem großen Herzen unter der rauen Schale, weitgehend verloren gegangen. Das ist schade. Authentische Charakterköpfe wie er sind selten geworden. Wir gratulieren herzlich.

© SZ vom 29.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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