Jubiläum:Der Sohn des Zuckerbäckers

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Der Aktionskünstler, Sänger und Autor André Heller muss sich nun den Fragen von Ermittlungsbeamten stellen. (Foto: imago/Rudolf Gigler)

Natürlich ist er auch ein Dandy - und wie süß darf Bühnenkunst sein? Zum 70. Geburtstag von André Heller, der jetzt in der Literatur angekommen ist.

Von Helmut Schödel

Viele hörte man oft bedauern, dass André Heller, der einst preisgekrönte Chansonnier, der chronische Fantast und Dauerpoetisierer, der Megalomane der kulturellen Performance, dieser begnadete Selbstdarsteller und Selbstverwirklicher, der wahrhaft klassische Wiener, sich vom Bürgerschreck, als der er in jungen Jahren, zum Beispiel als polternder Radiomoderator, begann, sich zu einem Universalkünstler entwickelt habe, der in stets süßlicher Trauer die Welt verkitscht. Man erwähnte dann, dass er schließlich der Sohn eines Zuckerwarenfabrikanten sei. Das machte den Spott gleich leichter, mit dem man Hellers Wagnisse zum faulen Zauber erklärte.

Aber er war damit nicht aufzuhalten. Er hatte sich die Grundausstattung seiner Weltsicht im Wiener Café Hawelka erworben, unter Intellektuellen und Künstlern wie Friedrich Torberg, Hans Weigel, Fritz Hundertwasser, H. C. Artmann und Helmut Qualtinger, den er als seinen Mentor bezeichnet und mit dem zusammen er auch auftrat. Seine Großmutter war befreundet mit dem Wiener Kaffeehausdichter Peter Altenberg, dem Architekten Adolf Loos und der Komponistengattin Alma Mahler, seine Mutter mit dem Operettenkomponisten Franz Lehár, da spielte das Zuckerwarenimperium, das mit der Erfindung des Dragees viel Geld machte, keine Rolle. Zumal er große Probleme mit seinem Vater hatte, der die Mutter und ihn wie "Plastilin für seine Vorstellungen von Herrschaft" benutzt habe.

Während seiner Zeit als Sänger habe er mit seinen Suchtproblemen kämpfen müssen und höchstens fünf Stunden Zeit gehabt, André Heller zu spielen. Er war nie nur, wie man viele oft sagen hört, der höhere Sohn aus reichen Verhältnissen, der sich Großprojekte wie einen Zeitvertreib leisten konnte. Aus dem Bürgerschreck war ein Exzentriker geworden, dessen Überschreitungen auch als politischer Kommentar zu verstehen waren. Viele wehren oft ab, Heller sei verschmockt, manieriert und ein sehr verspäteter Spätromantiker. Aber seine Show der Artistenkunst, "Begnadete Körper", hat uns gezeigt, dass das Banale, an das wir uns gerade gewöhnen, immer von gestern, die Kunst die Vision ist und dass die begnadeten Körper nicht den California Dreamboys gehören. Die Schönheit bleibt bei ihm eine Verheißung, über die nicht der Jahrmarkt der Eitelkeiten entscheidet, und die Liebe wird nicht mit dem Auge, sondern mit dem Geist gesehen.

In seinem Sensationserfolg, der Show "Afrika! Afrika!", präsentierte er einen schwarzen Kontinent, der nicht von Hunger und Armut bestimmt wurde. Zur Unterstützung seines Feuertheaters in Lissabon, diesem riesigen Feuerwerk, hat seine Mutter sogar ihren Schmuck verkauft. Die Poesie verlangt den überzeugten Menschen. Und Heller ist selbst überzeugt von der Schönheit dieses Planeten, die er dessen Verwüstern vorführt. Der Kern seiner großen Shows ist ein letzter Versuch des Protests. Und die typische Melancholie, die darin steckt, zeigt, dass er trotzdem nicht zu den geschmeidigen Optimisten gehört. Außerdem ist ihm ohnehin aller Zeitgeist fremd.

Das Gespräch mit der 102jährigen Mutter handelt vom Tod, statt mit dem Alter aufzutrumpfen

Natürlich war er immer auch ein Dandy, zu Hause bei den Reichen und Schönen, verheiratet mit der Schauspielerin, Schriftstellerin und Sängerin Erika Pluhar. Er hat für die Fußball- Weltmeisterschaft im Jahr 2006 das Motto erfunden: "Die Welt zu Gast bei Freunden". In Wien gehört er zu den Strippenziehern der Kultur und hat großen Einfluss.

Aber dass er im Jahr seines 70. Geburtstages ein Buch veröffentlicht, das Gespräche mit seiner bald 102-jährigen Mutter festhält und in einer sehr anrührenden Weise vom Tod handelt, statt mit der Stärke des Alters aufzutrumpfen, ist wieder typisch. In "Uhren gibt es nicht mehr" liest man von der seelischen Vernetzung der Menschen und dass Kommunikation auch ohne Körper möglich sei, in der Zeit danach. In den sanften Dialogen verliert sogar der Tod seinen Stachel. "Wenn das Fenster offen ist, höre ich die Vogerl singen. Ich glaub nicht, dass die an morgen oder gestern denken. Die Vogerl sind gescheit", sagt die Mutter zum Sohn.

Seine letzte Prosa "Das Buch vom Süden" wird als "Weltliteratur" gelobt, und er selbst sitzt immer öfter in Marokko in seinem neuesten Paradies, südlich von Marrakesch, wo er sich mit "Anima" seinen eigenen Garten Eden erschaffen hat. Es ist, als käme er nach den vielen Reisen und Exkursionen langsam an. In der Gelassenheit der späten Jahre.

© SZ vom 22.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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