Journalismus und Blogs:Brummen vor Selbstgenuss

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Im Videoblog, dem neuen Lieblingsspielzeug vieler Journalisten, darf jeder so richtig "Ich" sagen: Radikal subjektiv, gerne auch in der eigenen Wohnküche, wird kommentiert und geplaudert, was das Zeug hält.

Ijoma Mangold

Ein Mann in seinen besten Jahren biegt in einen Flur ein. Er trägt einen Anorak, der auf regnerische Verhältnisse schließen lässt. Da ist eine offene Tür, zu der hin sagt er freundlich: "Guten Morgen, Claudia!" Dann geht er weiter, bis zu seinem eigenen Büro, nimmt hinter einem Schreibtisch Platz und erklärt, die Kamera zeigt sein Gesicht nun frontal in Nahaufnahme, die grundsätzlichen Fallstricke der Außenpolitik.

Matusseks Kulturtipp bei Spiegel online. (Foto: Screenshot: sueddeutsche.de)

Es ist der Zeit-Redakteur Gero von Randow in seinem Videoblog. Wie dieser wählen immer mehr Journalisten das Videobloggen, auch Vloggen genannt, als neues Forum zur Verbreitung ihrer Inhalte. Das Ganze steckt noch in den Kinderschuhen. Man merkt, wie jeder, der sich auf das neue Medium einlässt, seinen eigenen Weg sucht - wobei der Eindruck des Selbstgebastelten gar nicht verwischt werden soll. Trotzdem kann man bereits in diesem Anfangsstadium beobachten, wie das neue Medium, mit einem Titel von Jürgen Habermas zu sprechen, einen "Strukturwandel der Öffentlichkeit" bewirkt. Und zwar durchaus mit einer klaren Tendenz.

Im Videoblog verbinden sich Eigenschaften des Print-Journalismus, der Internet-Kommunikation und des Fernsehens. Alle drei verwandeln sich dabei und bringen ein neues Format mit eigener Funktionslogik hervor. Das Hauptmerkmal dabei ist, dass es sich in einer kleinen, einer fragmentierten Öffentlichkeit abspielt - und das hat Konsequenzen auf die dort favorisierte Kommunikationskultur. Die eine große, verbindliche Öffentlichkeit, wie sie früher die öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten herzustellen wussten, hatte klare Regeln der Verlautbarung.

Zuhause angekommen

Es gab eine Ordnung des Diskurses, in die sich jeder einzelne Moderator oder Showmaster oder Kommentator einzufügen hatte. Die Autorität lag bei der Institution, in deren Namen der Einzelne sprach. In der kleinen, fragmentierten Öffentlichkeit des Vloggens dagegen tritt an die Stelle dieser Allgemeinheit das Besondere, Individuelle, ja das radikal Subjektive: Hier darf jeder so richtig "Ich" sagen - schließlich ist man in der kleinen Öffentlichkeit quasi unter sich.

Man könnte auch sagen: Noch nie ist der Sender dem Empfänger so vertraulich nahe gerückt. Wir wissen zwar nicht, wer "Claudia" ist, aber wir freuen uns über die gute Stimmung zwischen ihr und ihrem Kollegen von Randow. Bevor Gero von Randow übrigens zu seinem eigentlichen Thema kommt, entschuldigt er sich bei den Zuschauern für seine "Verspätung". Die Viren, teilt er uns mit, hätten zugeschlagen - und in diesem Moment zieht er die Mundwinkel bei halb offenen Mund nach unten, schüttelt den Kopf vor Grausen und gibt ein röchelndes "aaarrhh" von sich.

Dieses "aaarrhh" in seiner subartikularen Lautmalerei ist charakteristisch. Das Vloggen lebt von jenen Befindlichkeitswallungen, die noch nicht die Verallgemeinerungsfähigkeit des Logos erreicht haben, die man deshalb in einem Text nur schlecht auf den Begriff ("aaarrhh") bringen kann, die aber in der kleinen, der intimen Öffentlichkeit des Videoblogs sich mitteilen wie im Familienkreis. Der diskursiv-öffentliche Raum als eine Distanzsphäre wird verzwischenmenschlicht. Es ist kein Zufall, dass man bei Harald Martensteins Videoblog tatsächlich im Zuhause des Tagesspiegel-Redakteurs angekommen ist. Man sieht ihn vor der Kulisse seiner Wohnküche samt Kaffeetasse, blauem Toaster und Schürze am hölzernen Geschirrschrank.

Wallungen in der Wohnküche

Bei allen Videoblogs liegt der Akzent auf dem Inoffiziellen. Es wird gewissermaßen ohne Krawatte gesprochen. Das Moment der Mündlichkeit wird möglichst stark ausgereizt: Ablesen ist nicht. Der Preis dafür ist umgekehrt, dass hemmungslos durchgeplaudert wird. Die Schrift wirkt immer reglementierend. Je weiter man sich vom Medium Schrift entfernt, desto deregulierter wird die Mitteilungsform.

Beim traditionellen Fernsehen waren es noch die hohen Produktionskosten und die Einbettung in einen aufwändigen Apparat, die den Mitteilungsdrang des Einzelnen limitierten. Ganz anders beim Videoblog: Hier muss sich der laut geäußerte Bewusstseinsstrom nicht vor den Kosten der wertvollen Sendezeit rechtfertigen - nur vor der Langmut des Zuschauers.

Es gibt einen antiproportionalen Zusammenhang zwischen Größe des Apparats und Subjektivität. Je größer der Apparat, desto standardisierter das Format. Je kleiner der Apparat, desto ungebundener kann die Individualität wuchern. Keiner reizt diese Karte hemmungsloser aus als Matthias Matussek, der in seinem Videoblog "Kulturtipp" auf Spiegel online seinem Affen mehr Zucker gibt als normalsterbliche Mägen vertragen. Wobei das Interessante ein bestimmter Autoritätstransfer ist.

Seine Autorität bezieht Matussek (und dies gilt für fast alle Videoblogger, die Aufmerksamkeit in größerem Rahmen auf sich zu ziehen vermögen) aus seiner Verankerung bei einem Print-Magazin. Noch dazu einem, das bis vor gar nicht so langer Zeit die Artikel seiner Mitarbeiter ohne Namenszeichnung publizierte. Diese institutionelle Autorität nimmt Matussek nun mit in seinen Blog, um dort die große Show der Subjektivität zu spielen.

Im Morast der Ironie

Bei Matthias Matussek ist der Videoblog bereits selbstreferentiell geworden. Zu seinem 50. Kulturtipp schenkte sich der Spiegel-Mann eine virtuelle "Gala"-Sendung, in der er in schwer ironischer Weise seinen Blog feierte. Man kann sogar einen Blog gucken, der nur aus den "Outtakes", dem Drehschrottmaterial besteht und wo man Matussek beim Grimassieren und Sich-Versprechen zuschaut.

Das Videobloggen betreibt unbedingte Personalisierung. In keinem anderen herkömmlichen Medium wäre denkbar, was Harald Martenstein vor kurzem in seinem Blog bot: eine perfekte Imitation seines Kollegen Matussek. Dieser revanchierte sich, indem er nun seinerseits Martenstein zu parodieren versuchte. Um Inhalte ging es bei dieser Showeinlage überhaupt nicht, das Medium hatte sich nur in perfekter Weise selbstreferentiell geschlossen.

Es dürfte spannend sein zu beobachten, welche Auswirkungen diese tendenziell klamaukige Grundtendenz des Bloggens mittelfristig auf die Beteiligten und ihr Prestige, ihre Seriosität hat. "Dieser Blog", sagt Matussek in seinem Blog, "ist der reine Wahnsinn!" Und er fügt, brummend vor Selbstgenuss, hinzu: "So nach und nach werde ich hier zur Witzfigur." Das Medium, eben weil es nie der Ernstfall, sondern immer nur die Spielwiese ist, neigt dazu, in einem Morast aus Ironie zu versinken, in dem es unmöglich ist, überhaupt noch feste Fußabdrücke zu hinterlassen.

Mit dem Käsemesser die Augen auskratzen

Problematischer aber ist ein anderer Aspekt. Der Videoblog setzt ganz auf den Affekt, auf die durch die Persönlichkeit beglaubigte Meinung, kaum auf Argumente. Gero von Randow folgt zwar noch stark einem didaktischen Ethos und versucht sein Thema argumentierend zu entfalten, aber das scheint nicht die Richtung zu sein, in die das Medium in seiner Haupttendenz neigt. BookBook heißt der Videoblog des FAS-Literaturredakteurs Volker Weidermann. Darin rühmt er bestimmte Bücher, vor anderen warnt er. Er tut dies dezidiert aus dem Bauch heraus. Ein bestimmtes Buch, sagt er einmal, sei so schlecht, dass er es nur bis Seite dreißig geschafft habe. Das würde als Auskunft in einer Print-Rezension nicht gelten, nicht genügen.

Im Videoblog geht es auffallend häufig um Mögen und Nicht-Mögen. Gerne auch in ausdrücklich privater Ausrichtung. In einem herkömmlichen Medium muss der Journalist immer zumindest den Schein einer verallgemeinerungsfähigen These, die es auf den Gesellschaftszustand insgesamt abgesehen hat, anstreben. Ist diese Form gewahrt, kann man dann durch die Blume seine mehr persönlichen Invektiven fahren.

Solche Umständlichkeiten sind im Videoblog nicht mehr nötig. Matthias Matussek teilt zum Beispiel seinen Zuschauern mit, dass die "Pop-Frauen" der FAS ihm während der Frankfurter Buchmesse am liebsten mit dem Käsemesser die Augen ausgekratzt hätten. Was die überindividuelle Relevanz oder inhaltliche Botschaft dieser Mitteilung sein könnte, bleibt völlig ausgeblendet - außer: "Ich bin halt so ein Kraftkerl, der auch schon mal starke Abneigungen hervorzurufen vermag."

Dieser wildwuchernde Expressionismus ist einerseits verführerisch. Andererseits werden sich die Leute bald danach sehnen, dass niemand mehr "Ich" sagt. Es werden dann vermutlich auch im Netz Ich-hemmende Regularien zum Aufbau institutioneller Autorität eingeführt. Denn die Möglichkeiten, die das Bloggen bietet, sind zu groß, um sie nicht zu nutzen.

© SZ vom 30.11.2007/ihe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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