Joanne K. Rowling:Von Hogwarts nach Harvard

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"Harry-Potter"-Zaubermutter Joanne K. Rowling erhält die Ehrendoktorwürde der wohl renommiertesten Universität der Welt. Sie habe Millionen von Kindern wieder für das Lesen begeistert, hieß es zur Begründung

Susanne Klingenstein

Als bekannt wurde, dass Joanne K. Rowling, Autorin der "Harry Potter"-Romane, nicht nur die Ehrendoktorwürde der Universität Harvard erhält, sondern dass sie auch die bedeutendste Rede des Tages halten sollte, die "Commencement Address", brach Jubel unter den Studenten aus.

Zur illustren Riege ihrer Vorgänger in diesem Amt gehören Bill Gates, Alan Greenspan, Benazir Bhutto, Richard von Weizsäcker, Alexander Solschenizyn und John F. Kennedy.

In der "citation" für Frau Rowling hieß es, sie hätte Millionen von Kindern wieder für das Lesen begeistert. Als der siebte und letzte Band erschien, verwandelte sich der Campus von Harvard eine Nacht lang in Hogwarts, bevölkert von Harrys und Herminen, Rons, McGonnagalls und Dumbledores.

Bis auf den letzten Platz besetzt

Mit Spannung wurde Rowlings Rede erwartet, die sie, wie traditionell üblich, erst am Nachmittag im Rahmen der Alumni-Versammlung hielt. Die sonst eher spärlich besuchte Versammlung war bis auf den letzten Platz besetzt.

Bescheiden, fast peinlich berührt nahm Rowling die standing ovations entgegen. Dann beschrieb sie den Horror, den sie empfand, als sie über ihre Harvard-Rede nachdachte, und die Erleichterung, als ihr aufging, dass sie sich an die Worte der Rednerin bei ihrem eigenen "Commencement" überhaupt nicht mehr erinnert. Zu den Harvard-Absolventen würde sie darum furchtlos vom Vorteil des Scheiterns und von der Bedeutung der Vorstellungskraft sprechen.

Sie beschrieb ihren seit frühester Kindheit gehegten Wunsch, Romane zu schreiben, und das Drängen ihrer Eltern, dieser Geistesverwirrung, die nur in die Armut führen könne, nicht nachzugeben. So studierte sie moderne Sprachen, floh aber schon bald vor dem Deutschen in die klassische Abteilung. "Die Eltern dafür zu tadeln, dass sie einen in die falsche Richtung gedrängt haben, trägt ein Verfallsdatum."

Gescheitert

Mit 28 Jahren, nach einer gescheiterten Ehe, sah sie auch ihr Leben als gescheitert an. Sie war allein mit Kind und "so arm, wie man in England überhaupt nur sein kann, ohne obdachlos zu sein. Nur ein Narr romantisiert die Armut. Die Armut ängstigt, erniedrigt, entwürdigt, deprimiert". Sie reduziere den Menschen aufs Essentielle. "Ich war am Leben, hatte meine Tochter und eine alte Schreibmaschine. Ich entdeckte, dass ich einen starken Willen hatte und enorme Selbstdisziplin. Auf dieser Basis baute ich mein Leben wieder auf."

Nun würde man sicher erwarten, dass sie beschrieb, wie die Phantasie ihr geholfen hat. Aber unter "imagination" verstehe sie das Vermögen, sich in Menschen hineinzuversetzen, deren Erfahrungen man nicht teile.

Um ihre Miete bezahlen zu können, habe sie bei Amnesty International in der Afrika-Abteilung gearbeitet. Von dieser Erfahrung sei sehr viel in ihr Schreiben eingeflossen. Es sei ihre Aufgabe gewesen, die handgeschriebenen Briefe zu lesen, die täglich eintrafen, mit Mitteilungen von Verschleppungen, Vergewaltigungen und Exekutionen. Eines Tages habe sie auf dem Korridor einen entsetzlichen Schrei gehört, den Schrei des Grauens eines Afrikaners, der gerade erfahren hatte, dass seine Mutter hingerichtet worden ist.

Warnung vor der Apathie der Privilegierten

Jeden Tag, sagte Rowling, sei sie dankbar, in einem demokratischen Land zu leben. Sie warnte die Harvard-Studenten vor der Apathie der Privilegierten und zitierte Plutarchs Einsicht, dass, was wir innerlich erreichen, die äußere Welt verändert.

© SZ vom 07.06.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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