Jim Jarmusch:Wie man der Welt abhanden kommt

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Das neue Jarmusch-Album ist da - "Coffee and Cigarettes" bietet elf Versuche in Fernweh und emotionaler Resonanz.

Von Rainer Gansera

Warum jobbt Bill "Groundhog-Day-Ghost-Bustin'-Ass" Murray als Kellner in einem Coffeeshop? Wieso treffen sich Iggy Pop und Tom Waits ausgerechnet in einer Kneipe, deren Musicbox keinen ihrer Songs bereit hält?

Hatte Elvis wirklich, wie Steve Buscemi behauptet, einen bösen Zwillingsbruder, der all die schlimmen Dinge machte: nach Vegas gehen, den Afroamerikanern die Rock'n'Roll-Rhythmen klauen, zentnerweise Butter-Sandwiches mit frittierten Bananen spachteln?

Ist Alfred Molina - der in "Spiderman 2" als durchgeknallter Wissenschaftler die Menschheit an den Abgrund führte - im Grunde ein braver Ahnenforscher? Das sind einige der Fragen, denen Jim Jarmusch in den elf Episoden von "Coffee and Cigarettes" auf der Spur ist.

Mal versponnen-verspielt, dann in elegisch-melancholischer Tonart, die auch Mahlers Lied "Ich bin der Welt abhanden gekommen" ins Spiel bringt. Seit 1986 hat sich Jarmusch zwischen größeren Projekten immer mal wieder Zeit genommen, um befreundete Musiker und Schauspieler an einen Kaffeehaustisch zu setzen und mit ihnen einige mehr oder minder improvisierte Capriccios auszuhecken.

Zwischen Espresso-Schwarz und rauchigem Milchweiß

Kleine Szenen, die sich um Pausengespräche oder flüchtige Begegnungen ranken, aber doch den Atem großer Emotion gewinnen. Gedreht in einem Schwarzweiß, das sich zwischen Espresso-Schwarz und rauchigem Milchweiß in allen Nuancen abstuft.

The Lone Rangers hieß eine der Bands, in denen Jim Jarmusch als Gitarrist spielte, bevor er sich aufs Filmemachen verlegte. Mit seinen ersten beiden Werken, "Permanent Vacation" (1980) und "Stranger than Paradise" (1983, Goldene Palme in Cannes) schuf er Kultfilmklassiker und avancierte er zur Galionsfigur des amerikanischen Independent-Kinos avancierte.

Jarmusch repräsentiert bis heute den Archetyp des New Yorker Indie-Filmemachers, der sich seine Weihen in der Cinémathèque Française holte. Niemand kann wie er die Atmosphäre urbaner Künstler-Bohème evozieren, mit allem, was dazu gehört: Weltschmerz und Fernweh, Witz und Kameraderie, Ausgebranntheit und Angst vor den Versuchungen plötzlichen Ruhms.

Und: "In den siebziger Jahren hörte ich Bands wie Television oder Ramones, heute kann ich mich für The Strokes, The Rapture, The White Stripes begeistern. Ein Leben ohne das Kino wäre sehr schmerzhaft, ein Leben ohne Musik erscheint mir völlig unvorstellbar."

Die Widmung des Films für den Clash-Frontmann Joe Strummer, der in Jarmuschs "Mystery Train" (1989) mitspielte und im Dezember 2002 verstarb, beschwört anrührendes Pathos.

Angeordnet sind die elf Episoden wie Tracks auf einer alten LP: Ein Konzeptalbum, das nicht von heftigen Leidenschaften erzählt, sondern von der Sehnsucht nach den Harmonien der Vertrautheit, und von den mächtigen Störgeräuschen des Neides und der Missgunst.

Die dramatischste Szene - bei ihr wird Tee serviert - präsentiert Steve Coogan als arroganten britischen Schauspieler-Snob. Er suhlt sich im Ruhm, den er als Held von Michael Winterbottoms "24 Hour Party People" einheimsen konnte, und lässt Alfred Molina abblitzen, der in der Ahnengalerie einen gemeinsamen italienischen Ururugroßvater entdeckt hat.

Die virtuoseste Vignette erschafft Cate Blanchett in einer Doppelrolle, als erfolgreicher Filmstar und deren Cousine. Mit shakespearescher Lust an theatralischer Flamboyanz fächert sie die Maskeraden der Eitelkeit auf wie die Mimik des Neides.

Beiläufige Schönheit und rätselhafte Poesie

Immer wieder blitzen magische Momente beiläufiger Schönheit und rätselhafter Poesie auf. Da sitzt White-Stripes-Trommlerin Meg White am Schluss von "Jack zeigt Meg seinen Tesla-Trafo" allein am Tisch, schlägt mit dem Löffel gegen die leere Tasse und wiederholt, in den glockenhellen Ton lauschend, Jacks Merksatz: "Er sah die Erde als Leiter akustischer Resonanz."

Die beste Laune bringt Bill Murray mit, der übrigens den Kellner-Job angenommen hat, weil er als Kaffee-Junkie das Gebräu gleich literweise aus der Kanne trinken kann. Da kommt er bei seinen Gästen gerade an die richtigen, den Hip-Hop-Brüdern GZA und RZA vom Wu-Tang-Clan, die mit alternativer Medizin befasst sind: "Musik und Medizin gehören zusammen".

COFFEE AND CIGARETTES, USA 2003 - Buch, Regie: Jim Jarmusch. Kamera: Frederick Elmes, Ellen Kuras, Robby Müller, Tom DiCillo. Mit: Roberto Benigni, Steven Wright, Joie Lee, Cinqué Lee, Steve Buscemi, Iggy Pop, Tom Waits, Joe Rigano, Vinny Vella, Renée French, E. J. Rodriguez, Alex Descas, Cate Blanchett, Jack und Meg White, Alfred Molina, Steve Coogan, GZA, RZA, Bill Murray, Bill Rice, Taylor Mead. Pandora, 96 Minuten.

© SZ vom 19.8.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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