Jeremy Irons im Interview zum Krisen-Film:"Es geht um menschliche Gier"

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Ohne Rücksicht auf Moral - so handelt Jeremy Irons als Topbanker John in "Der große Crash - Margin Call". Der Schauspieler spricht im Interview über das globale Zockertum und die Sprache als Waffe.

Anke Sterneborg

Rustikal weite Hosen, die in schwere Stiefel gesteckt sind: Jeremy Irons wirkt so, als gehe er gleich auf die Jagd. Er spricht sehr konzentriert und bedächtig, mit einer britisch distinguierten, geradezu aristokratischen Ausstrahlung, und er dosiert seine Reaktionen so fein wie in seinen Rollen.

Jeremy Irons spielt in "Der grosse Crash - Margin Call" einen skrupellosen Topbanker. (Foto: dapd)

SZ: 24 Stunden in einem Bürogebäude, Zahlen, Statistiken und Gleichungen als zentrales Sprachmaterial: Das klingt auf den ersten Blick nicht besonders verlockend für einen Film, oder?

Jeremy Irons: Als ich an Bord kam, war das mit Kevin Spacey, Stanley Tucci, Paul Bettany und Mary McDonnell schon eine sehr interessante Besetzung, und dazu ein Thema, das es verdient, erforscht zu werden. Es gab zwar schon eine ganze Reihe Filme um die Verbrechen des Finanzmarktes, aber genau in dem exakten Moment, in dem die Blase platzt, anzusetzen, schien mir eine sehr reizvolle Idee.

SZ: Es gibt am Ende des Films diese Szene, in der Sie als Chefplaner hoch oben über der Welt sitzen, unter sich die Scherben, im Kopf aber schon den nächsten schmutzigen Plan. Dieser Moment ist im Grunde die Essenz des Films - wie gehen Sie da schauspielerisch heran?

Irons: Meine Figur hat einen Job, der besteht darin, den Investoren Dividenden zu verschaffen, innerhalb der Grenzen der Legalität. Wenn er das nicht schafft, bekommt er den Laufpass, also macht er weiter mit diesem Spiel. Auch wenn ich das nicht für die beste Art halte, sein Gehirn einzusetzen, ist es doch die Art, wie viele Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen. Entsprechend pragmatisch gehe ich da auch heran.

SZ: Im Gespräch mit einem Angestellten, der moralische Bedenken anmeldet, machen Sie mit minimalem Aufwand die Sprache zur Waffe.

Irons: Wenn man sie gut kontrolliert, wird die Sprache zu einer Waffe. Wenn man mit Worten umgehen kann, wenn man sie wirksam einsetzt, kann man Menschen überzeugen. Historisch hat sich immer wieder erwiesen, dass Menschen, die Sprache dazu benutzen können, andere umzustimmen und zu überzeugen, sich besser durchschlagen, als die, die es nicht können.

Im Kino: "Der große Crash - Margin Call"
:Das Gewissen schweigt

Kühl und beklemmend: In dem Thriller "Der grosse Crash" beobachtet Regisseur J.C. Chandor, wie die Hauptdarsteller nicht nur auf die finanzielle, sondern auch auf die moralische Krisensituation reagieren. Denn schließlich werden sie im Film an den Rand der Katastrophe geschleudert.

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SZ: Für Sie als Schauspieler ist sie aber auch eines der zentralen Handwerkszeuge.

Irons: Wahrscheinlich war in meinen Rollen der sprachliche Ausdruck immer wichtiger als der physische. Obwohl die beiden Hand in Hand gehen.

SZ: Obwohl Sie aus sehr bürgerlichen Verhältnissen stammen, Vater Buchhalter, Mutter Haushälterin, haben Sie eine sehr aristokratische Ausstrahlung. Woher kommt das?

Irons: Ich könnte mir vorstellen, dass es mit meiner Größe zu tun hat, oder auch mit der kantigen Form meines Gesichtes - das ist jedenfalls nichts, das ich bewusst herstelle.

SZ: Geht es Ihnen beim Spielen eher darum, die eigenen oder fremde Abgründe auszuloten?

Irons: Ich bin immer an den Kanten interessiert, an den äußeren Rändern, die man als dunkler beschreiben könnte. Da kann ich das Leben mit den Augen anderer Menschen erforschen. Die Phantasie habe ich immer als Piano begriffen, an dem alle Tasten vorhanden sind. Im Leben spielt man nur zwei oder drei der möglichen Akkorde. Ich suche immer nach den Noten und Dissonanzen, die ich noch nicht gespielt habe. Angelegt ist in uns allen alles, der Mörder, der Verführer, der Langweiler zu Hause auf dem Sofa.

SZ: Das Besondere an diesem Film ist, dass er keineswegs nach individuellen Sündenböcken für die gegenwärtige Krise sucht .

Irons: Es geht um die menschliche Gier, den Wunsch seinen Aktionären Dividenden zu verschaffen, ohne innerhalb des Systems unterzugehen. Was genau bedeutet das? Ich bin kein Ökonom, aber man sagt, dass eine gesunde Ökonomie 2,5 bis drei Prozent im Jahr wachsen muss. Wenn die Löhne nicht erhöht werden, bedeutet das wohl, dass die Menschen Geld leihen müssen, damit das passieren kann. Aber mit Hypotheken zu handeln, die niemals bezahlt werden können, kann nicht richtig sein. Das ist unmoralisch. Wir zeigen den kleinen Kollaps, ich glaube, dass es zu einem größeren noch kommen wird. Aber ich verstehe nicht genug, um beurteilen zu können, was noch passieren wird, wie andere Wirtschaften sich entwickeln, und wie sehr das den Westen schwächen wird.

© SZ vom 06.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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