Jazz:Schwebende Music-Box

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Wynton Marsalis hat im New Yorker Time Warner Center den ersten eigens für Jazz konzipierten Konzertsaal bauen lassen.

Von Andrian Kreye

Für Duke Ellington war Jazz die klassische Musik Amerikas. Seit Wynton Marsalis 1987 die Kulturorganisation "Jazz at Lincoln Center" (JALC) mitbegründete, arbeitet der Trompeter daran, Jazz im Kanon der amerikanischen Hochkultur durchzusetzen. Sein bisher größter Triumph wird die Eröffnung der Frederick P. Rose Hall im neuen House-of-Swing-Komplex am 18. Oktober sein, denn damit hat Marsalis den ersten Konzertsaal bauen lassen, der eigens für Jazz konzipiert wurde.

Das Gebäude, in dem der Komplex aus zwei Bühnen, einem Club und einem Tonstudio eingerichtet wurde, wirkt dabei so saturiert und bürgerlich, dass man die Eröffnung durchaus als architektonischen Ritterschlag für eine Musik ansehen darf, die immer noch von der Aura des wilden Untergrunds umgeben wird.

Inkarnation des opportunistischen Konzernarchitekten

Die neue Heimat für "Jazz at Lincoln Center" befindet sich im fünften Stockwerk des Time Warner Centers, einem doppeltürmigen Spiegelpalast, der über dem Verkehrskreisel des Columbus Circle an der Südwestecke des Central Park wie ein Monolith von einem fremden, fernen Stern aufragt. Denn wie kaum ein anderes Gebäude in New York verkörpert das von David Childs entworfene Time Warner Center die Welt der Suburbia im urbanen Chaos der Stadt.

Childs, der Chefarchitekt der Wiederaufbauarbeiten von Ground Zero, ist für seine Kritiker die Inkarnation des opportunistischen Konzernarchitekten. Das Time Warner Center mit seiner spiegelblanken Einkaufspassage, der Luxusrestaurantzeile und der klinischen Business-Class-Atmosphäre seiner Büroetagen bestätigt dieses Vorurteil. Das House of Swing könnte das nun ändern. Immerhin versteht sich New York als Geburtstätte des Modern Jazz. Der Prestigewert der Halle ist Wynton Marsalis wichtig: "Die Verwirklichung dieser Einrichtung bedeutet, dass unsere Kultur zu einem Punkt gereift ist, an dem sie Jazz als eine Kunstform akzeptiert, die eine Heimat von internationalem Standard verdient", sagt er.

Marsalis macht keinen Hehl daraus, dass auch die Gesellschaft erst reifen musste, schließlich sei es nicht selbstverständlich, dass er als Jazzmusiker in einer Institution wie dem Lincoln Center, zu dem auch die Metropolitan Opera, die New York City Opera und die New Yorker Philharmoniker gehören, in höchster Führungsebene mitwirken dürfe. "Das Rassenklima hätte vor meiner Zeit so etwas nicht zugelassen. Als Schwarzer kann man eigentlich erst seit den achtziger und neunziger Jahren auf einer so hohen Ebene einsteigen."

Noch erreicht man den über neuntausend Quadratmeter großen Komplex nur mit einem Lastenaufzug. Die Sperrholzwände der Kabine sind bereits mit den Autogrammen prominenter Gäste übersät. Jazzpionier Ornette Coleman, Sänger Tony Bennett, Fernsehkomiker Bill Cosby und der Basketballstar Kareem Abdul Jabar haben sich hier in den letzten Wochen verewigt. Dann watet man durch dicke Teppichböden zum Kernstück des Komplexes.

Das Rose Theater ist ein ovaler Konzertsaal mit bis zu 1200 Sitzen, der auf die akustischen Bedingungen des jeweiligen Konzertes eingerichtet werden kann. Denn auch wenn der Jazz schon vor Jahrzehnten salonfähig geworden und in die Konzertsäle eingezogen ist, gibt Wynton Marsalis zu bedenken, dass er eben immer nur zu Gast war in einem Ambiente, das für klassische europäische Musik konzipiert worden war.

Einzigartige Saal-Aufhängung

Akustiker der Walters-Storyk Design Group und der Firma Artec haben für die Konstruktion dieser Halle eigens die Arbeitsgruppe "Sound of Jazz" gegründet, um den Konzertsaal auf die besonderen Bedingungen des Jazz einzupegeln. Da muss das dynamische Ungleichgewicht zwischen dem Schlagzeug und dem Kontrabass einer Combo genauso funktionieren, wie das Gefälle zwischen den Blechbläsern und dem Klavier einer Big Band.

Die Akustiker haben auch die einzigartige Aufhängung des Saales konzipiert, der wie eine Schachtel in einer Schachtel schwebt und durch einen Rundumschacht vom Rest des Gebäudes getrennt ist, um Außengeräusche abzudämmen. Wer einmal in der Carnegie Hall während einer Pianopassage die U-Bahnlinie Nummer Q oder einen Löschzug der Feuerwehr vorbeirauschen gehört hat, der weiß, dass New York eine der größten Herausforderung für Akustiker ist.

Glanzstück des Komplexes ist jedoch der Allen Room, ein Amphitheater für 600 Zuschauer, hinter dessen Bühne eine 15 Meter hohe und 30 Meter breite Glaswand den Blick auf die altehrwürdige Skyline der Upper Eastside freigibt. Das wirkt, als würde da eine Filmkulisse lebendig werden, verleiht dem Saal allein durch die Aussicht besonderen Glamour.

Ein Jazzclub mit ähnlich spektakulärem Blick, Unterrichtsräume für die Lehrprogramme des JALC sowie eines der größten Aufnahmestudios für Jazz und klassische Musik komplettieren den Komplex. Ab der dritten Oktoberwoche wird man ein drei Monate langes Eröffnungsfestival zelebrieren. Das wird bisher noch vom schulmeisterlichen Jazzverständnis seines Direktors Wynton Marsalis bestimmt.

Marsalis Institutsorchester wird Stargäste wie Branford Marsalis, Kenny Barron, Abbey Lincoln und Komiker Bill Cosby präsentieren. Die Latin-Jazz-Fakultät wird von Arturo O'Farrils Orchestra im Allen Room vertreten. Dianne Reeves, Cassandra Wilson und Randy Weston sind gebucht.

Obwohl man verständlicherweise das breite Bildungsbürgerpublikum der Stadt erreichen will - für Eingeweihte gibt es in New York schließlich immer noch genügend Clubs - hält das Programm keineswegs den innovativen Anspruch, den Wynton Marsalis selber stellt. Seinen Platz in der amerikanischen Musikgeschichte hat er sich aber mit der Eröffnung auf alle Fälle bereits gesichert.

© SZ vom 24.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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