Jan Wagner:Im Rausch der Sprachwirren

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Jan Wagner, im vergangenen Jahr mit dem Georg-Büchner-Preis ausgezeichnet, wird das Forum:Autoren beim Literaturfest kuratieren. (Foto: Catherina Hess)

Der vielfach ausgezeichnete Lyriker wird das Forum:Autoren des diesjährigen Literaturfests kuratieren - und hofft auf ein großes babylonisches Gespräch

Interview Von Antje Weber

Schönes Babel. Europäische Lektüren" - so lautet das Motto, das der neu berufene Kurator Jan Wagner für das Forum:Autoren des Münchner Literaturfests im Herbst ausgegeben hat. Der 1971 geborene Schriftsteller und Übersetzer, der in Berlin lebt, kennt München gut - vor nicht langer Zeit genoss er hier als Stipendiat der Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung ein Jahr dichterischer Freiheit. Jan Wagner gehört zu den bekanntesten deutschen Lyrikern - und zu den meistdekorierten, zuletzt erhielt er 2017 gar den Georg-Büchner-Preis. Bei aller Umtriebigkeit gönnt er sich doch einen schön altmodischen Luxus: mit einem alten Handy ohne Internetzugang auf Lesereise zu gehen. Wenn man ihn jedoch schließlich telefonisch in Wiesbaden ausfindig gemacht hat, dann geht es ganz schnell.

SZ: "Schönes Babel" - das klingt, als wollten Sie in diesem Festival-Motto einen Widerspruch aufheben?

Jan Wagner: Sie spielen darauf an, dass Babel ursprünglich keine schöne Angelegenheit war? Vielleicht muss man es gar nicht in Kategorien von Schön oder Gut und Schlecht fassen - es war eben ein anderer Zustand als der davor. Ein Zustand, den ich als positiv ansehe, weil mit der Sprachenvielfalt so viele wunderbare Sprachen verbunden sind. Insofern ist das Motto nicht unbedingt ein Widerspruch in sich, jedenfalls nicht für mich.

Ihnen geht es eher um eine Bekräftigung des schönen Babel?

So ist es. Der Reichtum an Sprachen, auch an kleinen Sprachen, hat mich immer fasziniert. Tag für Tag, Woche für Woche stirbt ja irgendwo in der Welt irgendeine Sprache aus - und dieser Verlust kann einen beschäftigen. Die Schönheit dessen, was jede Sprache zu bieten hat, ist ein Reichtum und ein Luxus. Insofern ist Babel auch ein Zustand, den man durchaus genießen kann: Der Zustand der Sprachverwirrung ist auch ein sehr rauschender.

Sie wollen es stark rauschen lassen, 34 Sprachen und Länder stehen in der Ankündigung , vom Irischen bis Sorbischen - man darf also wirklich mit babylonischer Sprachverwirrung rechnen?

Natürlich werden wir mit Übersetzungen arbeiten, insofern wird das Babel nicht ganz so verwirrend sein. Es soll jedenfalls Lyrik-Nächte geben - junge Lyrik Europas -, in denen tatsächlich auch die Vielsprachigkeit eine Rolle spielen soll. Ich denke an drei verschiedene Sprachen pro Nacht oder spätem Abend. Idealerweise wird man die fremde Sprache hören, die der eine oder andere verstehen wird, die meisten aber vielleicht nicht kennen. Und man wird eine Übersetzung der Gedichte hören oder projiziert sehen.

Wird man für das Festival auch eigene Übersetzungen anfertigen lassen?

Das kommt darauf an, wer eingeladen wird und kommen kann. Bei allen Autoren, an die ich denke, gibt es bereits zumindest einen kleinen Band mit Übersetzungen, auf den man zurückgreifen könnte. Wenn man auch neuere Texte mit einbeziehen könnte, wäre das natürlich wunderbar - aber vielleicht ist das zu viel Aufwand.

Die einstige Stadt Babel lag im heutigen Irak. So weit wollen Sie jedoch nicht schweifen, sondern sich auf Europa beschränken - warum?

Bei Babel ist durchaus auch an die herrliche Vielfalt Europas gedacht. Im Mittelpunkt soll die europäische Frage stehen und der dann ja wahrscheinlich bald anstehende Brexit. In den Gesprächen mit den Teilnehmern aus den Brexit-Ländern und deren Nachbarn soll es um die politische und kulturelle Zukunft Europas gehen. Es werden aber sicher auch Autoren dabei sein, die in ihrem sprachlichen Erbe nicht-europäische Sprachen dabei haben. Auch die Ukraine und Russland werden einbezogen - es geht um ein Europa im weitesten geografischen und kulturellen Sinne, nicht nur um die Europäische Union.

Sie selbst sind Anglist, haben in Dublin gelebt, übersetzen aus dem Englischen - dieser Raum ist Ihnen besonders nahe ?

Ja, es erfüllt mich immer noch mit Wehmut, dass das United Kingdom die Union verlässt und die schönen Inseln ein bisschen weiter wegrücken vom Kontinent. Diese brennend aktuelle politische Frage wird sich im Herbst vermutlich noch zugespitzt haben. Auch deswegen ist es wichtig, sie in den Mittelpunkt zu stellen. Dazu kommt mein persönlicher Bezug: Ich habe tatsächlich in Dublin am Trinity College studiert und bin dort und auch in England so oft, wie es geht - wenn man mich einlädt, steige ich sofort in den Zug oder ins Flugzeug. Insofern ist es mir auch persönlich sehr wichtig, dass diese Länder im Zentrum stehen.

Da Sie viel Kontakt dorthin haben: Wie ist die Stimmung bei Ihren Kollegen?

Die Bevölkerung ist immer noch gespalten, wie ja auch die Umfragen zeigen, und die Stimmung ist in jeder Region eine andere. Alle Freunde, mit denen ich spreche, sind nach wie vor betrübt, wütend - und auch ein bisschen ratlos.

Da Sie das Thema nach München holen, wollen Sie mit diesem Forum:Autoren also auch ein politisches Signal setzen?

Es wird sicherlich um Politik gehen, um Fragen der Zukunft - aber auch um die Vergangenheit, um die Gemeinsamkeiten und die Schönheit. In den Gesprächen sollen auch die geschichtlichen Hintergründe erklärt werden - die uns zum Beispiel im Fall von England und Schottland vielleicht gar nicht so vertraut sind, wie wir denken. Aber abends soll die Literatur dieser Länder gefeiert werden.

Und da nicht nur die Lyrik?

Oh nein, nein, nein. Es sollen Romanciers wie auch Dichterinnen eingeladen werden.

Was ist Ihre Vision, wenn Sie an diese Woche denken?

Es ist das erste Mal, dass ich so ein Forum kuratiere, und der Rollenwechsel ist ein höchst interessanter, aber auch ein aufregender. Ich hoffe auf eine Zusammenkunft vieler geistreicher, brillant schreibender Menschen aus aller Herren Länder, die miteinander ins Gespräch kommen - und mit dem Münchner Publikum. Ich hoffe auf ein babylonisches Gespräch über acht Tage hinweg, bei dem viele facettenreiche Arten zu schreiben aufgezeigt werden. Und wo durch die schiere Anzahl der Sprachen sozusagen ein vor-babylonischer Zustand wieder hergestellt wird - mit einer gemeinsamen Sprache.

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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