Jahresausstellung:Intergalaktisches Betthupferl

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Die Studenten der Akademie der Bildenden Künste in München suchen nach Bezügen zu Raum und Zeit. Entstanden sind ernsthafte Auseinandersetzungen mit Themen und Techniken, aber auch Arbeiten, die sehr viel Spaß machen

Von Evelyn Vogel

Unterm Pflaster liegt . . . - nein, nicht der Strand, wie ein alter Spontispruch aus den 1970er Jahren besagt, sondern das Parkett im Foyer des Neubaus der Akademie der Bildenden Künste. Die Studierenden aus den Druckwerkstätten haben es zur diesjährigen Jahresausstellung kurzerhand mit einer mit Pflastersteinen bedruckten Folie bedeckt und so den Außenraum optisch nach Innen geholt. Eine Reminiszenz an die ursprünglichen Pläne des Architekturbüros Coop Himmelblau, die das am Ende überdachte Foyer als offenen Lichthof geplant hatten. Die Arbeiten zeigen, wie vielfältig Drucktechnik sein kann. Das Konzept setzt sich aber vor allem intensiv mit dem Raum auseinander - vom Boden bis zur Decke, über die schlappe Säule, die sich zwischen den tragenden Streben zu behaupten versucht.

Bezüge zur Akademie im Hinblick auf Raum und Zeit finden sich vielfach. Sie ziehen sich wie ein roter Faden durch die Jahresausstellung der Kunstakademie. Total abgefahren ist die Arbeit "Fortan" aus der Klasse von Albert Hien - eine Art Future-Space-Lab für "Solaris"- und "Star Trek"- Fans. Das Raumerlebnis, zu dem selbst gemachte, verfremdete Sounds eingespielt werden, ist ein großer Spaß. Die Formen weiten und verengen sich, werden zu Räumen, Gängen, Schächten. Verschiedene Materialien erinnern mal an eine Gummizelle, mal an einen Plisseerock oder auch an die Innenschalen von Pralinenschachteln. Da kann sich der Besucher glatt als intergalaktisches Betthupferl empfinden. Ebenfalls mit dem Raum spielen die Studenten der Malerei- und Grafikklasse von Karin Kneffel. Sie haben den Boden optisch die Wände hoch gezogen und so die "Leinwand" für die in einer wilden Petersburger Hängung ausgestellten Arbeiten geschaffen. Hier wird das Klischee vom Maler an der Staffelei so was von hinweggefegt, dass es eine wahre Lust ist.

Auch in der historischen Aula im Altbau sucht man vergeblich nach traditionellen Präsentationsformen. Inhaltlich überlagern sich hier Vergangenheit und Gegenwart. Gastkurator Saim Demircan hat mit seiner Projektklasse Recherchearbeiten im Archiv neu inszeniert, so dass historische Originale und der aktuelle künstlerische Umgang damit verschmelzen. Einiges davon wirkt auf den ersten Blick wenig sinnlich und eher trocken; visuell ansprechender dürfte da die 3 D-Arbeit sein, die der Besucher bei einer virtuellen Erkundung des Raumes erleben kann. Und weil der Künstler heute nicht mehr im Elfenbeinturm lebt, wo er darauf wartet entdeckt zu werden, hat Demircan seine Studenten im Vestibül Themen wie Präsentation, Merchandising und Distribution erarbeiten lassen. Wer das abwegig findet, lebt im falschen Jahrhundert und sollte sich daran erinnern, wie die Young British Artists - allen voran Damien Hirst - schon vor bald 30 Jahren mit genau diesem Selbstbewusstsein, dass jeder Künstler seine eigene Marke schaffen muss, den Kunstmarkt aufmischten.

Die Verbindung von akademischer Welt und Alltag, von Vergangenheit und Zukunft schafft die Fotoklasse von Dieter Rehm auf eine recht charmante Weise: Die Studenten haben sich die mehr als 90 Jahre alte Wirtin Maria Gangl vom Kurfürstenstüberl um die Ecke geholt - als Kuratorin! Die alte Dame hat nicht die progressivsten Arbeiten ausgewählt, aber es ist reizend mitanzusehen, wie sie still in sich hineinlächelnd inmitten der jungen Studenten agiert. Weil es gar so lange dauert, bis alles dort hängt, wo es hin soll, hat man ihr sogar einen bequemen Sessel bereitgestellt, von dem aus sie die akademische Welt um sich herum dirigiert. Herrlich!

Raus in die Welt und sich dort früh verorten, ist ein durchaus gängiges Prinzip. Und auch in diesem Jahr wird hierbei das Rad nicht neu erfunden. Aber einen zusätzlichen Schwung bekommt es beispielsweise durch Kim Noble (dessen Stück "You are not alone" im April an den Kammerspielen zu sehen war). Er hat als Artist in Residence seine Studenten nicht allein in der Akademie vor sich hinwerkeln lassen, sondern sie in den Stadtraum hinausgeschickt. Vor einigen Wochen realisierte er mit ihnen bereits das sehr spannende Kunstprojekt "Notel Prinzregent". Jetzt gibt es das Projekt "EpiRhizom" (www.epirhizom.org) - Arbeiten an Straßenecken, in Geschäften und andernorts. Wenn das mal keine künstlerische Variante des aktuell grassierenden Pokemon-Go-Fiebers wird?

Die Akademie verlässt auch die Projektklasse von Julian Rosefeldt. Die Schau "There Will Be Blood" setzt sich mit Globalisierung, Krieg, Flucht und Vertreibung auseinander und ist in der Ludwigs-Kirche bei der Universität zu sehen (bis 11. September). Und die Klasse von Olaf Nicolai wird mit der Ausstellung "A tree is best measured when it is down" demnächst zu Gast in der Galerie der Künstler an der Maximilianstraße sein (27. Juli bis 26. August). Noch einmal anders "outdoor", nämlich im Garten der Akademie: Dort finden sich unter anderem begehbare Rund-Skulpturen - sozusagen ein Ringschluss von Innen und Außen.

Jahresausstellung 2016, Akademie der Bildenden Künste München, Akademiestr. 2-4, bis 24. Juli. Eröffnung: Sa, 16. Juli, 11 Uhr (bis 23 Uhr), So-Fr 14-21 Uhr, Sa/So 23./24. Juli 11-21 Uhr, mehr Infos unter www.adbk.de

© SZ vom 16.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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