Interview zur Zukunft des Journalismus (6):"Einzigartige Inhalte bleiben wertvoll"

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Der Qualitätsjournalismus wird von Profitgier demontiert. Im Interview spricht Robert Rosenthal über das Gegenkonzept unabhängiger Berichterstattung und seine Absicht aufzurütteln.

Leif Kramp und Stephan Weichert

"Zeitenwechsel" - eine neue Serie zur Zukunft des Journalismus geht Trends in der Presse und im Internet nach. Zusammen mit dem Berliner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik bereitet sueddeutsche.de dabei in den nächsten Wochen Interviews mit namhaften Experten auf. Alle Interviews sind unter sueddeutsche.de/zeitenwechsel abrufbar.

Das CIR, für das sich Robert Rosenthal engagiert, ist eine Nonprofit-Organisation, deren investigative Reportagen in Presse, TV, Radio und Online erscheinen. (Foto: Foto: privat)

sueddeutsche.de: Glückwunsch, Mr. Rosenthal, seit Dezember 2007 sind sie Geschäftsführer des "Center for Investigative Reporting" (CIR), dem ältesten gemeinnützigen Journalistenverband der Welt. Welche persönlichen Motive haben Sie ermutigt, sich für diese Arbeit zu engagieren?

Robert Rosenthal: Ich bin seit fast 40 Jahren Journalist und war Herausgeber des Philadelphia Inquirer, einer der besten Zeitungen der USA. Aber schon kurz nach meinem dortigen Dienstantritt im Jahr 1998 wurde den Zeitungen ihr Fundament entzogen. Die von Großkonzernen beherrschten Medienhäuser sahen sich mit schrumpfenden Gewinnen konfrontiert und dachten, der einzige Ausweg sei es, die Kosten radikal zu senken. In den letzten zehn Jahren habe ich miterlebt, wie Nachrichtenredaktionen regelrecht demontiert wurden. Ich entschied mich für den Posten beim CIR, weil ich mein Scherflein dazu beitragen möchte, neue Modelle für multimediale Nachrichtenorganisationen des 21. Jahrhunderts aufzubauen. Seit Jahren habe ich mich nicht mehr so sehr auf den Journalismus und die Möglichkeiten für Journalisten gefreut wie jetzt.

sueddeutsche.de: Welche Philosophie steckt hinter dem Kürzel CIR, und wie unterscheidet sich das Center von Organisationen wie Pro Publica oder dem Commitee of Concerned Journalists?

Rosenthal: Wir sehen unseren Auftrag kurz gesagt darin, mächtige und einflussreiche Institutionen und Personen zur Rechenschaft zu ziehen. Einer der wichtigsten Eckpfeiler der Demokratie in den Vereinigten Staaten war schon immer die Presse, und ihre Königsdisziplin ist die investigative Reportage. Je mehr Nachrichtenredaktionen wegrationalisiert werden, desto wichtiger wird unsere Arbeit, genauso wie erklärender und lösungsorientierter Journalismus immer wichtiger wird. Unsere Visionen und Ziele, Einfluss zu gewinnen und einen Unterschied auszumachen, teilen wir zum Beispiel mit Pro Publica. Ein wesentlicher Unterschied zu Pro Publica besteht darin, dass das CIR eine lange Tradition im Dokumentarfilmbereich hat, den wir noch weiter ausbauen wollen, um eine breitere Öffentlichkeit über alle verfügbaren Kanäle zu erreichen. Der Löwenanteil unserer Finanzierung stammt von Stiftungen, aber auch von Einzelpersonen.

sueddeutsche.de: Warum brauchen Medien und die amerikanische Öffentlichkeit überhaupt das CIR?

Rosenthal: Der Bedarf ist mehr als offensichtlich, sonst würde es in den USA oder in Europa doch keine Organisationen wie das CIR geben! Wir Journalisten wurden durch eine Unternehmenskultur entwertet, deren oberste Priorität der maximale Profit ist. Jede Nachrichtenredaktion in den USA ist in den vergangenen Jahren verkleinert worden, und investigativer Journalismus hat keine Priorität mehr für kommerzielle Medienhäuser. Produktions- und Vertriebskosten von Zeitungen haben Journalisten außerdem zu Zielscheiben gemacht. Wir müssen uns deshalb unkonventionelle Modelle mit ebenso unkonventionellen Partnern ausdenken. Denn der Stellenwert von Informationen wird im Zeitalter des Internet noch wertvoller und wichtiger werden genauso, wie wir glaubwürdigen, verlässlichen und einzigartigen Content brauchen.

sueddeutsche.de: Glauben Sie also, dass Organisationen wie das CIR in den letzten 30 Jahren noch an Bedeutung gewonnen haben?

Rosenthal: Aber klar, unsere Arbeit ist viel umfangreicher und relevanter als früher. Das CIR hat sich perfekt positioniert und übt heutzutage mehr Einfluss aus, weil der Multimedia-Bereich in der DNA unserer Organisation fest verankert ist. Es gibt rund um den Globus viele Themenfelder, die wichtig für uns sind wie Klimawandel oder die Bevölkerungsentwicklung, also Bereiche, in denen unsere Arbeit wirklich etwas bewegen kann. Und gerade weil die US-Regierung solch einen großen Einfluss hat, sind Geschichten und Reportagen, die sich eingehend mit unseren Politikern und Institutionen beschäftigen, von höchster Relevanz. Außerdem glaube ich, dass solche investigativen Geschichten von einer klaren und mächtigen Stimme erzählt werden müssen - der Stimme eines Geschichtenerzählers, der sein Publikum wachrüttelt.

sueddeutsche.de: Sie haben fast vier Jahrzehnte im Qualitätsjournalismus auf dem Buckel. Wie können journalistische Prinzipien im Umfeld des Web 2.0 heute noch überleben?

Rosenthal: Ich glaube, dass der Qualitätsjournalismus die Web-2.0-Generation im Prinzip nicht weniger interessiert als frühere Generationen - in Zukunft sogar eher mehr. Das Problem ist nur, dass viele Jugendliche ein Misstrauen gegen Medienkonzerne entwickelt haben, was an einem fehlenden Bewusstsein für deren Wesen und Strukturen liegt. Man kann es ihnen aber nicht verdenken: Die weltweit größten Nachrichten-Sites haben ohnehin alle dieselben Inhalte. Es werden sich jedoch neue Modelle finden, die wieder mehr Einfluss auf dieses Publikum haben - sofern unsere Arbeit deren Alltagsleben berührt und von ihnen als relevant und angemessen empfunden wird. Das CIR bemüht sich daher sehr um interaktive Anwendungen, weil diese für die Web-2.0-Generation einen Stellenwert haben wie für unsere Eltern einst die Zeitung.

sueddeutsche.de: Wie können Qualitätszeitungen wie The New York Times, The Guardian oder Süddeutsche Zeitung am besten mit ihrer unsicheren Zukunft fertig werden?

Rosenthal: Sie werden nur überleben, wenn ihre Geldgeber die Gewinnerwartungen zurückschrauben und sich noch geschickter und schneller in der multimedialen Welt zurechtfinden. Ihre größte Herausforderung wird es sein, die Aktionäre oder Besitzer bei Laune zu halten, wenn die Profite wegen der außergewöhnlich hohen Fixkosten, die der herkömmliche Vertrieb einer Zeitung verschlingt, zurückgehen. Inhalte, vor allem einzigartige Inhalte, bleiben wertvoll. Die Frage ist nur, ob die Qualitätspresse diese Einzigartigkeit auch weiterhin leisten kann.

sueddeutsche.de: Was halten Sie von Stiftungen oder staatlichen Zuwendungen als letzter rettender Strohalm für gedruckte Zeitungen?

Rosenthal: Ich glaube, dass wir um stiftungsbasierte Modelle zur Finanzierung der Presse künftig nicht herum kommen. Aber selbst dann wird die auf Papier gedruckte Zeitung nicht mehr der Hauptvertriebsweg sein. Ich halte staatlich unterstützte Zeitungen ohnehin für Teufelszeug: Jede öffentlich finanzierte Nachrichtenredaktion bekäme sofort Glaubwürdigkeitsprobleme. Wir müssen uns einfach damit abfinden, dass Zeitungen weiter schrumpfen oder sogar sterben werden. Aber uns Journalisten wird es immer geben, nur müssen wir ein neues Zuhause für unsere Kreativität, Hingabe und Arbeit finden. Ich bin zuversichtlich, dass uns das gelingt.

Robert J. Rosenthal leitet seit Januar 2008 des Center for Investigative Reporting (CIR) in Berkeley, Kalifornien. Zuvor arbeitete er fast 40 Jahre lang als Redakteur und Reporter im In- und Ausland, u. a. für "The New York Times", "The Boston Globe" und 22 Jahre beim "Philadelphia Inquirer" sowie fünf Jahre als stellvertretender Chefredakteur beim "San Francisco Chronicle". In den 1980er Jahren berichtete "Rosey" als Korrespondent vom afrikanischen Kontinent und aus dem von Israel besetzten Libanon. Außerdem war er an der Enthüllung der "Pentagon Papers" - der Geheimakten des US-Verteidigungsministeriums über den Kriegseinsatz in Vietnam - durch die "New York Times" beteiligt. Für seine Auslandsberichte erhielt er mehrere Preise und Auszeichnungen, darunter den "Overseas Press Club Award" und den "National Association of Black Journalists Award". Während seiner Amtszeit bekam der "Chronicle" den begehrten Pulitzer Preis für Feature Fotografie. Das 1977 gegründete CIR ist eine Nonprofit-Organisation, deren investigative Reportagen in Presse, TV, Radio und Online erscheinen, u. a. bei ABC ("20/20"), CBS ("60 Minutes"), CNN, NBC, PBS ("Frontline", "Frontline/World"), National Public Radio, "The New York Times", "The Los Angeles Times", "The Washington Post", "USA Today", "Salon.com" und "U.S. News & World Report". Weitere Infos unter: www.centerforinvestigativereporting.org

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