Interview:Seid ihr bereit für eine Revolution?

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Madonna über Krieg, Sex und Videoclips - und über geheime Botschaften ihres neuen Albums "Confessions On A Dancefloor".

Diego Manrique

London, im Herbst: Europäische Pressevertreter drängen sich mit einigen asiatischen Journalisten in der Lobby des Luxus-Hotels Mandarin Oriental. Im Hintergrund erklingt Madonnas neue Platte "Confessions On A Dancefloor". Mit ernsten Mienen und tief in ihre Arbeit versunken machen sich die Popkritiker Notizen über die Musik, als handele es sich um eine klassische Komposition. Auftritt Madonna. "Ich denke, das Album ist großartig. Man sollte es sich so anhören, als wäre es eine Symphonie. Natürlich ist es ein Dance-Album, aber es vermittelt sehr wichtige Botschaften", sagt sie.

Madonna beim Konzert in London Anfang der Woche (Foto: Foto: AP)

SZ: Botschaften? Welcher Art?

Madonna: Ich möchte die Menschen zum Nachdenken bringen. Ich will keine Musik mehr machen, die bloß unterhält. Das wäre sehr oberflächlich. Die Botschaften werden sich Schritt für Schritt von selbst zeigen. Und dann gibt es da noch die Videos. Sie bereichern die Songs.

Der bekannteste Popstar der Welt zu sein, reicht der 47-jährigen Sängerin offenbar nicht mehr aus. Nun will sie uns auch noch aufklären. In ihrem letzten Album "American Life" aus dem Jahr 2003 wandte sie sich gegen die Kriege in Afghanistan und dem Irak. Am Ende von Jonas Akerlunds Clip zum Titelsong wirft Madonna ein Feuerzeug in Form einer Granate auf einen Doppelgänger von George W. Bush. Vor der Veröffentlichung ersetzte Madonna das brisante Video dann kurzfristig durch ein konventionelleres - was als cleverer Werbetrick interpretiert wurde. "Völliger Unsinn", empört sie sich. "Wir sprechen täglich mit MTV. Der Sender hatte allerlei Einwände gegen bestimmte Szenen. Jonas hat verschiedene Versionen nach New York geschickt, doch die wurden alle abgelehnt. Hätte ich keine Familie, hätte ich gekämpft."

SZ: Gekämpft? Was meinen Sie damit?

Madonna: Ich habe gesehen, wie sehr die texanische Countryband Dixie Chicks gelitten hat, nachdem die Musikerinnen sagten, dass sie sich schämten, aus demselben Bundesland zu kommen wie Präsident Bush. Sie wurden in den USA zu gehassten Frauen. Ich wollte meine beiden Kinder dieser Situation nicht aussetzen. Auch für die Karriere meines Mannes, des Filmemachers Guy Ritchie, wäre es verheerend gewesen.

SZ: Aber Sie haben immerhin einmal sogar den Vatikan provoziert - mit Ihrem Video "Like a Prayer".

Madonna: Damals hat mein Toursponsor Pepsi Cola am meisten Probleme gemacht. Die hatten Angst wegen der erotischen Anspielungen. Aber sie haben gezahlt, sind abgehauen und das war's. Als "American Life" zu Beginn des Irak-Kriegs herauskam, bestand die Gefahr, dass man mich als antipatriotisch dämonisiert. Mein Vater zum Beispiel ist sehr konservativ. Er lebt in der Nähe von Michael Moore, dem Autor von "Fahrenheit 9/11". Ich habe die beiden einander vorgestellt, und jetzt sind sie befreundet. Später gestand mir mein Vater, dass er Michael vorher für genauso gefährlich gehalten hatte wie einen Terroristen.

Das Interview findet unweit des Hyde Parks statt, wo Madonna beim "Live8"-Konzert aufgetreten war. An diesem Junitag hatte sie die Rolle einer Massenanführerin eingenommen: "Seid ihr bereit, eine Revolution zu beginnen? Seid ihr bereit, die Geschichte zu verändern?" Dann explodierten die Bomben in London. "Sie haben mich umgehauen. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich direkt gegen ,Live8' richteten. Am Tag des Konzerts schien London zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen, die davon überzeugt war, dass Afrika gerettet werden könne. Zwei Tage später gingen die Leute voller Angst auf die Straße und betrachteten einander als potenzielle Feinde."

SZ: In "Confessions On A Dance Floor" erinnert nichts an das Londoner Attentat. Stattdessen enthält das Album den Song "I Love New York".

Madonna: Nun ja, das Album war damals schon fast fertig, und ein Song über universellen Schmerz hätte schlecht hineingepasst. In dem New-York-Lied singe ich: "Ich mag keine Städte, aber ich mag New York." Das ist ein Witz. Ich brauche die Energie einer großen Stadt, egal ob Rom oder Paris. Und New York ist meine erste Liebe, es ist der Ort, wo ich meine Träume wahr gemacht habe.

Heute sieht Madonna trotz allem nicht sehr verführerisch aus. Kleider und Frisur scheint sie passend zur Dekoration des Hotels aus der Zeit König Edwards gewählt zu haben. Sie wirkt angespannt und detailversessen. Doch ihre Stirn zeigt nicht die kleinste Falte, selbst wenn ihr eine bohrende Frage zu schaffen macht. Hinter ihr wedelt ein Mitarbeiter mit einer Stoppuhr; niemand darf das vorgegebene Interview-Zeitfenster sprengen.

SZ: Macht es Ihnen was aus, wenn Britney Spears und Christina Aguilera mehr Platten verkaufen als Sie?

Madonna: Nein, nein, nein! Das Musikgeschäft ähnelt einem Langstreckenlauf. Es gab einmal eine Zeit, als die Spice Girls die Szene beherrschten. Und wo sind sie jetzt? Ich empfinde Sympathie gegenüber Mädchen wie Britney; sie hat viele Fehler gemacht, aber das habe ich auch. Und ich kann mich nicht darauf hinausreden, dass ich ein Teenager war, als ich angefangen habe.

SZ: Würden Sie sagen, dass Ihr Buch "Sex" (1992) ein Fehler war?

Madonna: Ich werde für die Fotos selbst nicht um Vergebung bitten. Es war gesund, sich in Zeiten von Aids für erotische Phantasien auszusprechen. Damals war ich allerdings kaum empfänglich für die Empfindungen anderer.

SZ: Sie wurden in den Neunzigern zum Vorbild für weibliches Selbstbewusstsein und Kontrolle. Waren Sie sich über die Macht des von Ihnen geschaffenen Rollenmodells bewusst?

Madonna: Im Auge des Sturms siehst du nicht, was um dich herum geschieht. Später, als Professoren Bücher über mich veröffentlichten und als diese Anthologie erschien, in der Frauen bekannten, sie hätten von mir geträumt, war ich überwältigt. Ich hoffe, dass diese Menschen jetzt bemerken, dass sich das Leben einer Mutter mit dem einer Künstlerin vereinen lässt.

Jemand von Madonnas Plattenfirma Warner erklärt ihren Erfolg wie folgt: "Sie hat keine großartige Stimme und sie ist keine wirkliche Schönheit. Sie tanzt ganz okay, aber nicht so gut wie ihre Begleittänzer. Ihre Größe liegt in ihrer Klugheit, wenn es daran geht, sich zu verkaufen, ein unwiderstehliches Paket zu schnüren." Die neue Madonna ist keine Entdeckerin mehr. Sie arbeitet als Hausfrau. Sie hat ein ganzes Bataillon von Helfern, aber prahlt damit, dass sie die Kindererziehung übernimmt. Sie empfängt kein Fernsehen, auch Zeitungen und Magazine kommen ihr nicht ins Haus. "Das ist eine Hygienemaßnahme. Ich will nicht, dass Lourdes und Rocco von dem Medienmüll vergiftet werden. Was sie über die Welt wissen müssen, lernen sie in der Schule oder wir sagen es ihnen."

SZ: Wie erkennen Sie neue Trends?

Madonna: Meine neun Jahre alte Tochter ist eine erstaunliche Informationsquelle. Und dann gibt es Stuart Price, meine rechte Hand im Musikgeschäft, für die weniger hörbaren Töne. Neben seinen Bands und seiner Tätigkeit als Produzent arbeitet er als DJ und weiß daher sehr genau, was ankommt.

SZ: Welche Musik haben Sie gehört, als Sie am neuen Album arbeiteten?

Madonna: Von Goldfrapp bis Depeche Mode, von Cerrone bis Giorgio Moroder, und ungewöhnlicheres Zeug, etwa die White Stripes. Ich habe Schwierigkeiten, ein komplettes Album durchzuhören; ich merke schnell, welche Songs nur die Platte füllen sollen, und langweile mich dann. Ich höre lieber Filmmusik; sie verlangt nicht meine volle Aufmerksamkeit und sie spornt meine Kreativität an.

SZ: Sie sind wohlhabend, aber Ihr Geiz gilt als legendär.

Madonna: (lacht) Ich weiß nicht, was die Leute über mich sagen. Es könnte wahr sein! Wenn du - wie es mir passiert ist - mit knurrendem Magen in New York aufwachst und nicht weißt, ob du während des Tages etwas zu essen bekommst, vergisst du das nicht. Ich kontrolliere immer noch obsessiv, wie viel ich im Supermarkt ausgegeben habe.

SZ: Haben Sie noch andere Obsessionen zu beichten?

Madonna: Schuhe. Manche Modelle von Blahnik traue ich mich nicht einmal anzuziehen. Ich probiere sie an, stelle mich mit ihnen vor den Spiegel... und stecke sie zurück in ihre Schachtel.

Der Mann mit der Stoppuhr meldet sich. Letzte Frage.

S Z: Gibt es noch Herausforderungen für Sie?

Madonna: Viele. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung. Je mehr du zu wissen glaubst, desto mehr verstehst du, wie wenig du weißt. Bei der Arbeit am Video von "Hung Up" habe ich diese Tänzer getroffen, die mich zu einer Show über das ganze Leben inspiriert haben. Sie werden sehen.

Deutsch von Steffen Kraft

© SZ vom 18.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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