Interview mit Oliver Hirschbiegel:"Wenn wir uns selber finden, verlieren wir die Welt"

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Der Regisseur über Blindflüge am Drehort, die Arbeit mit der Sprache, das Tempo eines Hollywoodstars und seinen Film "Ein ganz gewöhnlicher Jude".

Anke Sterneborg

Nach dem internationalen Erfolg des "Untergang" und der Oscarnominierung kamen schnell die amerikanischen Angebote für Oliver Hirschbiegel. Inzwischen hat er in Windeseile mit Nicole Kidman seine erste US-Produktion abgedreht, eine sehr freie Adaption der "Invasion der Körperfresser". Den deutschen Geschichten wird er trotzdem treu bleiben.

Oliver Hirschbiegel (Foto: Foto: AP)

SZ: Dieser kleine Film über einen Juden wirkt wie ein Gegenmittel zum großen Film über die Nazis ...

Oliver Hirschbiegel: Nun, die Entscheidung, diesen Film zu machen, fiel schon ein Jahr vor "Der Untergang". Als ich dann bei den Vorbereitungen zum "Untergang" merkte, wie umfangreich das wird, habe ich gebeten, das Projekt zu verschieben. "Das Urteil" hat man mir angeboten - es hat mich als Regisseur fasziniert, und nicht als Deutscher. Auch dieser Stoff wurde mir zuschickt und zu meiner großen Überraschung hatte ich plötzlich Lust, noch einen Monolog zu machen, nach "Mein letzter Film" mit Hannelore Elsner. Dieser seltsame, gebrochene, fast gescheiterte Mann, der da mit sich ringt, hat mich interessiert...

SZ: Nach der Lebensbeichte einer Frau die Lebensbeichte eines Mannes: Gibt es da Unterschiede bei der Arbeit?

Hirschbiegel: In beiden Fällen hat sich Liebe eingestellt ... und zwar, wie ich das mit anderen Schauspielern so noch nicht erlebt habe. Wir hatten eine Liste mit zehn Schauspielern, Ben Becker war für mich die sperrigste Variante, und das hat mich gereizt. Ich habe ihn immer als unheimlich kraftvollen Schauspieler gesehen und gespürt, dass da noch viel mehr ist, eine Sensibilität, eine Zartheit, aber auch Zweifel und Ängste, das war genau das, was ich aus diesem Juden Goldfarb rausholen wollte. Dieses Poltern gefiel mir und, dass es so deutsch ist.

SZ: Wie können Sie einen Schauspieler bei dieser tour de force unterstützen?

Hirschbiegel: Indem ich ihn niemals allein lasse, bei jeder Geste, jedem Wort, jeder Pause bei ihm bin. Ich gebe ihm nach jedem Take Hinweise und Korrekturen. Wenn das zwischen einem Regisseur und einem Schauspieler funktioniert, ist das eine Art Blindflug. Ich weiß auch nicht, warum gute Leute bei Terrence Malick so brillant spielen, und bei anderen Regisseuren so wenig präsent sind. Ich kann mich nur an meinem gesunden Menschenverstand orientieren, und an meinen Vorbildern, ich frage mich dann eben, wie es Hitchcock oder Hawks machen würden, ob ich mit der Kamera hochfahre oder doch lieber auf Augenhöhe bleibe.

SZ: Dieser sehr starke Text von Charles Lewinsky hat ja eine Macht, der man etwas entgegensetzen muss - hat Sie das beunruhigt?

Hirschbiegel: Die Arbeit mit der Sprache ist das Interessante an unserem Job. Von einem Stück gibt es grandiose Inszenierungen und grauenhafte Fehlschläge - je nachdem ob die Texte falsch bearbeitet wurden vom Regisseur, den Schauspielern.

SZ: Das ist schon erstaunlich, ein Filmregisseur, dem die Sprache das Wichtigste ist, nicht die Bilder.

Hirschbiegel: In diesem Fall ist es eine besonders starke Symbiose von Text und Bildern, mehr noch als in "Mein letzter Film". Hier haben wir wirklich Film gemacht, mit allen Mitteln, Fahrten, Schwenks, Aufsichten, Untersichten, Close-ups, Totalen, heftigen und sanften Bewegungen ... doch das wird alles zu einem Teil des Textes.

SZ: In welchem Maße wird so ein Projekt auch zur Selbstbefragung?

Hirschbiegel: Hegel hat gesagt: "Wenn wir uns selber finden, verlieren wir die Welt, und wenn wir die Welt finden, verlieren wir uns selber". Das ist der Dauerkonflikt, in dem jeder denkende Mensch lebt und stirbt. Das liegt jeder Geschichte zugrunde, die sich ernsthaft mit dem Leben beschäftigt. Als Regisseur wiederum muss ich in der Lage sein, mich in jede Welt und jede Figur einfühlen zu können, von der ich erzähle.

SZ: Goldfarb klagt eine Normalität ein, die im Grund gar nicht möglich ist.

Hirschbiegel: Das ist das Ärgerliche. "Mein bester Freund ist Jude" ... Warum muss man das überhaupt sagen? Er ist doch genauso Deutscher wie ich. Es ist ein absolutes Ärgernis, dass ich darüber überhaupt nachdenken muss.

SZ: Ihr amerikanisches Projekt mit Nicole Kidman ist bereits abgedreht, das ging erstaunlich schnell ...

Hirschbiegel: Dieses Angebot kam mit vielen anderen, als ich wegen der Oscarnominierung in Los Angeles war, und es war das einzige, das originell war. Dann kam Nicole Kidman, weil sie den "Untergang" gesehen hatte. Sie musste ab Januar mit Baz Luhrmann drehen, da war klar, es musste schnell gehen.

SZ: Und wie haben Sie die Unterschiede zwischen hier und dort erlebt?

Hirschbiegel: Es gibt da ein Gesetz, das weltweit gilt: Die Summe des Unglücks bleibt konstant. Auch mit 62 Millionen hat man oft zu wenig Geld und zu wenig Zeit, um aus einer Szene das Beste herauszuholen. Ich bin froh, ein Europäer zu sein, und ich war sehr froh, wieder hierher zu kommen. Ich gehe dahin, wo die spannende Geschichten herkommen, egal ob das ein großer Studiofilm oder ein kleiner Independent in Amerika ist, oder ein Fernsehfilm in Deutschland. Meine Wurzeln sind hier. Und die Lebensqualität ist in Europa besser, das fängt mit dem Essen an und hört mit kleinen Dingen wie den Mobiltelefonen auf, die dort viel schlechter funktionieren.

© SZ vom 19.01.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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