Interview mit Kevin Spacey:"Ich habe Jobs angenommen. Entschuldigung."

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Manchmal verwandeln sich normale Interviews in Therapiestunden. Dieses hier zum Beispiel. Es wurde dann auch mehr die Anamnese eines verstörten Hollywoodstars.

Interview: Philipp Oehmke

Weltruhm erlangte Kevin Spacey (45) 1995, als er in dem meisterhaften Thriller "Die üblichen Verdächtigen" einem weltweiten Publikum den Atem nahm, wofür er seinen ersten Oscar erhielt. Noch im gleichen Jahr gab Spacey in "Sieben" eine zweite unheimliche Darbietung - wieder als Bösewicht, wieder in einem Thriller. Seine Meisterleistung folgte 1999 in "American Beauty": Die Darstellung eines Familienvaters am Rande des Wahnsinns brachte ihm seinen zweiten Oscar ein. Anschließend wurde es stiller um Spacey. Letztes Jahr zog er nach London und übernahm dort mit mäßigem Erfolg die Leitung eines Theaters. Außerdem verwirklichte er mit der Verfilmung der Lebensgeschichte des Schlagersängers Bobby Darin einen Lebenstraum. Der Film heißt "Beyond the Sea" und kommt am 17. Februar bei uns in die Kinos. Spacey ist nicht verheiratet und kämpft seit Jahren gegen das Gerücht, er sei homosexuell.

"Manchmal wenn ich über diesen Kevin Spacey lese, kommt es mir vor, als ginge es um jemand anderen." (Foto: N/A)

SZ-Magazin: Kevin Spacey, haben Sie schon die Kritiken zu Ihrem neuen Film gelesen? Kevin Spacey: Habe ich nicht. Normalerweise lese ich Kritiken sofort. Sind sie schlecht? Ich wette, sie sind schlecht!

Und wenn sie schlecht wären? Ich werde sie einfach nicht lesen. Es ist mir egal, was die Kritiker zu diesem Film sagen. Bei Beyond the Sea geht es um so viel mehr als um die Meinung einer Hand voll Kritiker.

Wir sprechen über Ihren Film Beyond the Sea, der gestern in England in die Kinos kam. Sie haben als Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller das Leben des amerikanischen Schlagersängers Bobby Darin verfilmt. Ja, Bobby. Das war die bislang wichtigste Sache in meinem Leben. Verstehen Sie, meine Mutter hat schon als Mädchen die Musik von Bobby Darin gehört. Sie ist jetzt tot, aber ich bin mit diesem Bobby-Darin-Sound aufgewachsen. Er klingt bis heute in meinem Kopf, wenn ich an meine Kindheit denke. In diesem Film steckt zu viel Herzblut drin.

Ihre Stimme klingt so belegt? Ist alles in Ordnung mit Ihnen? Sie schauspielern jetzt, oder? Sie werden gleich verstehen, warum mich das bewegt. Aber vorher will ich noch mal auf die Kritik zurückkommen: Zum Glück bin ich den härtesten Kritikern schon entgegengetreten, da war ich nervös: Ich habe den Film Sandra Dee gezeigt, der Frau von Bobby. Und Dodd Darin, seinem Sohn. Und Bobbys Freunden. Mann, war ich erlöst, als die den Film mochten.

Aber die Zeitungen haben Beyond the Sea als Eitelkeitsprojekt und Einmannschau bezeichnet. Meine Mutter wurde krank, als ich das Drehbuch schrieb. Wissen Sie, Sie hat sich so gewünscht, dass ich diesen Film mache. Mehr als jeden anderen Film. Sie war auch immer unglücklich, dass ich in meinen bisherigen Filmen nie meine Musicalbegabung gezeigt habe. Meine Mutter hatte einen gewaltigen Einfluss auf mich. Da geht's mir wie Bobby in dem Film. Der hing auch so an seiner Mutter.

Wollen Sie sagen, Sie waren ein Muttersöhnchen? Eben nicht. Mir war nie richtig klar, was für eine beachtliche Frau sie war. Sie war klug. Sie war lustig. Ich habe ihr zugesehen, wie sie eine Familie beisammenhielt, wie sie arbeitete, denn mein Vater war ziemlich häufig arbeitslos.

Was musste passieren, damit Sie Ihre Bewunderung für sie entdeckten? Sie musste sterben. Ich habe ihre wahre Größe erkannt, als ich sah, wie gut sie mit ihrem Sterben umging. Wie sie es akzeptierte. Und wie sie uns beibrachte, mit ihrem Tod umzugehen. Sie hat nie ihren Humor verloren. Jeden Tag, egal, wie viel kränker sie wurde, sagte sie zu mir: Kevin, gib mir ein BD-Update!

Fackelte die Laube seiner Schwester ab, flog von der Militärschule und entdeckte dann zum Glück das Theater: Kevin Spacey (Foto: Foto: AP)

Was für ein Update? BD. Bobby Darin. Keine Ahnung, wie sie auf diese Abkürzung kam. Niemand sagte BD für Bobby Darin. Sie aber kürzte alles ab, sie fand das pragmatisch, glaube ich.

Haben Sie Ihre Mutter im Sterben begleitet? Ich habe sie aus Seattle zu mir geholt, als sie einen Gehirntumor bekam, und sie in einem Haus in Beverly Hills untergebracht. Ich saß jeden Tag bei ihr, habe ihr meine Versionen von Bobby Darins Liedern vorgespielt, mit ihr über Ideen geredet und ihr Dialoge aus dem Drehbuch aufgeführt. Sie wurde Teil der Entwicklung des Films. Aber egal, wie sehr Sie sich vorbereitet fühlen auf den Tod eines Elternteils: Als sie schließlich starb, war es niederschmetternd.

Deshalb wurde der Film über Bobby Darin auch ein Film über Ihre Mutter? Natürlich. Ich habe mich nach der Beerdigung gefragt, ob ich diesen Film wirklich zu Ende bringen soll. Meine engsten Freunde und meine Schwester, alle sagten mir: Kevin, sie hätte gewollt, dass du weitermachst. Meine Mutter schwebt immer hoch über diesem Film. Ihr Geist hat mich jeden Tag vorangetrieben. Deswegen handelt der Film außer von Bobby Darins Leben auch von dem Verhältnis einer Mutter zu ihrem Sohn. Es gibt so viele Parallelen.

Sie meinen das in dem Film dargestellte zärtliche Verhältnis zwischen Bobby Darin und seiner Mutter. Ähnelt es dem, das Sie zu Ihrer Mutter hatten? Ja. Aber auch einige der Entscheidungen seiner Karriere ähneln solchen, die ich getroffen habe. Bobby Darin hatte diesen schier unstillbaren Drang, sich immer neu zu erfinden. Ich bewundere ihn sehr.

Würden Sie sagen, Sie haben sich in den letzten Jahren neu erfunden? Ich musste den düsteren Kevin Spacey aus Die üblichen Verdächtigen und Sieben beerdigen. Der war ja sowieso ein komischer Typ! Wissen Sie, irgendwie kannte ich den gar nicht. Manchmal wenn ich über diesen Kevin Spacey lese, kommt es mir vor, als ginge es um jemand anderen. Ich habe zu der Rolle selber wenig beigetragen.

Ist es nicht komisch, dass so viele Personen der Öffentlichkeit immer behaupten, sie könnten nichts für ihr Image? Ich finde tatsächlich, dass dieser dunkle Spacey eine Art eigenständiges Leben angenommen hat. Ich habe vielleicht ein- oder zweimal harmlose Dinge über meine Kindheit erzählt. Die wurden dann ständig wiederholt und übertrieben. Also habe ich mich entschlossen, nicht mehr über mein Privatleben zu reden.

Ein Interesse an Ihrer Privatperson wird es immer geben, genauso wie Sie ein Interesse an Bobby Darins Privatleben hatten. Sie mussten damit rechnen, dass Gerüchte entstehen. Wenn Sie es so sehen wollen, bin ich vielleicht wirklich für mein Image verantwortlich. Weil ich nichts Privates preisgegeben habe, ließ ich das Publikum mit den dunklen Charakteren aus den Filmen allein.

Sie können das hier jetzt korrigieren. Was wollen Sie wissen?

Sie haben nur über Ihre Mutter geredet: Was war mit Ihrem Vater? Er war eben wenig da. Er hatte es schwer. Er musste oft neue Jobs annehmen.

Und Sie mussten häufig umziehen, manchmal im Halbjahresrhythmus: Wenn man sich ständig einer neuen Umgebung anpassen muss - wird man da nicht automatisch zum Schauspieler? Ich glaube, in meinem Fall war es tatsächlich so. Aber es wird wirklich übertrieben, wenn Leute über meine Kindheit reden. So wild war sie auch nicht.

Sie sind von Schulen geflogen, Ihr Vater steckte Sie in ein Militärcamp, auch dort flogen Sie raus. Ja, ja, bitte. Ich weiß. Da gibt es nichts zu diskutieren. Aber im Kern hatte ich eine glückliche Kindheit. Bis ich irgendwann Rebell sein wollte.

Wogegen konnte man 1976 mit 17 in Kalifornien rebellieren? Sonntags machte mein Vater mit mir Schönschreibübungen. Ich schwöre Ihnen, mit 17 geht Ihnen so was auf den Wecker.

Sie zündeten das Gartenhaus Ihrer Schwester an. Es war ein alter Verschlag. Aber mein Vater sagte: "Zum Teufel mit deiner Rebellion!" und schickte mich auf eine Militärschule. Dort lief es dann aber nicht besser: Ich habe einem Mitschüler einen Autoreifen an den Kopf geworfen und flog wieder. Zurück an einer normalen Schule habe ich das Theater entdeckt. Das hat dann funktioniert.

Was genau? Diese ganze fehlgeleitete Energie, die ich hatte: Theater war die Möglichkeit, sie loszuwerden.

War Ihr Vater zufrieden mit Ihnen? Hm. Ich bin bald nach New York gegangen. Ich habe ihn nicht mehr so häufig gesehen. Aber was immer zwischen mir und meinem Vater stand, ich habe es aus der Welt geschafft, bevor er starb.

Zum Beispiel, dass Sie seinen Namen nicht tragen wollten? Eigentlich heißen Sie Kevin Fowler. Ich hieß Kevin Spacey Fowler. Spacey war der Mädchenname meiner Mutter. Als mein Großvater starb, nahm ich seinen Namen zur Erinnerung an.

Angeblich arbeitet Ihr Bruder an einem Buch. Es soll heißen: "Ich bin Kevin Spaceys Bruder, ob's ihm passt oder nicht". Darin soll stehen, Ihr Vater sei ein Nazi gewesen und habe Sie geschlagen. Ich habe zu meinem Bruder niemals eine Beziehung gehabt. Er sagt, er bringe endlich die Wahrheit über mich ans Licht.

Was für ein Horror. Ich will es so sagen: Hätte ich jemals eine Beziehung zu ihm gehabt, würde ich mich verraten fühlen. So ist es, als schriebe ein Fremder über mich. Der Typ ist mit 17 zu Hause ausgezogen. In den 25 Jahren, die ich in New York gelebt habe, hat er mich kein einziges Mal besucht, um mich im Theater zu sehen.

Werden Sie sich wehren? Ach, ich halte das aus. Schlimm ist es vor allem für meine Familie. Anders als ich haben die es sich nicht ausgesucht, in der Öffentlichkeit zu stehen, und werden auch nicht dafür bezahlt.

Könnte man sagen, dass Sie im Moment ein bisschen viel Ärger haben? Machen Sie sich keine Sorgen um mich.

Die New York Times schrieb, dass Ihre Karriere feststecke: Nach Ihrem zweiten Oscar 1999 für American Beauty haben Sie in schwächeren Filmen gespielt, sind nach London gezogen und haben nun drei Jahre an einem Film gearbeitet, von dem viele glauben, er diene der Befriedigung persönlicher Obsessionen. Ist doch witzig. Am meisten amüsiert mich die Theorie, ich sei nach London gezogen, weil meine letzten Filme in Hollywood nicht mehr so gut liefen! Wissen Sie, wann ich die Entscheidung getroffen habe, die Intendanz des Old Vic-Theaters in London anzunehmen? In der Nacht, als American Beauty Premiere hatte. Ich wollte einfach nicht für die nächsten Jahre Film an Film reihen.

Aber Sie haben dann ja doch in ein paar minder spektakulären Filmen wie K-Pax und Das Leben des David Gale gespielt. Mein Herz wollte diesen Film über Bobby Darin machen. Gleichzeitig, erstaunlicherweise, muss man von irgendetwas leben. Also, was mache ich? Ich habe Jobs angenommen. Entschuldigung. Natürlich war mir klar, dass American Beauty die Messlatte war. Und dass die hoch hing. Und dass ich sie wahrscheinlich mit den darauf folgenden Filmen reißen würde. Soll ich deshalb aufhören zu arbeiten?

Sind Sie vielleicht auch deswegen nach London gegangen, weil in Hollywood so viel Schrott gedreht wird? Wenn Sie die zwanzig oder dreißig großen Mist-Blockbuster pro Jahr meinen: Ja, dann bin ich geflohen. Ansonsten muss ich Ihnen widersprechen: Gucken Sie sich die letzten fünf Jahre an: Es gab da immer mehr vitale, mutige und künstlerisch anspruchsvolle kleine Filme, die dann von den Studios gekauft wurden. Die haben nämlich begriffen, dass sie den Menschen nicht immer weiter Mist anbieten können.

Und wenn Ihr Bobby-Darin-Film jetzt floppt? Könnten Sie damit leben? Werde ich müssen. Letztlich muss ich mir doch die Frage stellen: Wofür lebe ich eigentlich? Für das, was andere Leute denken, was ich tun sollte? Ach! Es wird immer ein Dilemma geben zwischen professionellen Erwartungen und persönlicher Freiheit. Äh, wie waren denn nun die Kritiken?

Durchwachsen. In Ordnung. Ich habe getan, was ich tun musste.

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