Interview mit Cosmic Baby:"In der Massenkonfektion wird das Genre fragwürdig"

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Als Cosmic Baby war Harald Blüchel der Star der internationalen Techno-Szene. Ende der Neunziger beklagte er die Verflachung elektronischer Musik und kehrte der Szene den Rücken. Mittlerweile hat der Künstler seine radikalen Konsequenzen gezogen.

Philipp Mattheis

"Der erste Star der Technomusik", "Technowunderkind", "Mozart des elektronischen Zeitalters" - in den Neunzigern war Harald Blüchel alias "Cosmic Baby" der Star der internationalen Technoszene. Ende der Neunziger kehrte er der Szene den Rücken - sein letzter Live-Auftritt liegt sieben Jahre zurück. Öffentlich trat er nur noch als Komponist für Theatermusik an den Schauspielhäusern in Stuttgart, Zürich und Hamburg in Erscheinung. Nun beginnt er eine Album-Trilogie - mit dem Sound von damals haben die neuen Stücke nichts mehr zu tun.

"Irgendwann verschwand der Mensch hinter der Kunstfigur" - Cosmic Baby Mitte der Neunziger. (Foto: Foto: harald-bluechel.com)

sueddeutsche.de: Ihre letzte Veröffentlichung liegt acht Jahre zurück. Warum ist soviel Zeit vergangen, bis Sie wieder ein Album veröffentlichen?

Harald Blüchel: Ich brauchte sehr lange, die Erfahrungen meines bisherigen Lebens zu verarbeiten. Ende der Neunziger war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich an der existentiellen Frage nicht mehr vorbei kam - ob ich an einem lieb gewordenen Status festhalten sollte, der mir unterschwellig mehr und mehr Unbehagen bereitete.

sueddeutsche.de: Mitte der Neunziger standen Sie im Rampenlicht aller wichtiger Musik-Medien. Sie galten als Star und Liebling der Techno-Szene. Warum arbeiten Sie nicht unter Ihrem alten Namen weiter?

Blüchel: Die Musik auf "Stellar Supreme" und "thinking about myself", auch die Art, wie ich Live-Konzerte spielte, entsprach meinem damaligen Lebensgefühl. Ich fühlte mich als "Cosmic Baby" authentisch. Doch das entwickelte sich mehr und mehr zum zwanghaften Abbild, zur Rolle, zur Marke: Für das Publikum, wie für mich selbst verschwand der Mensch Harald Blüchel hinter der Kunstfigur. Ich erlebte, dass mir mein eigenes Programm davon flog. Das ging soweit, dass ich mir irgendwann sowohl im Studio als auch im öffentlichen Raum die Gedanken machte: Entspricht das jetzt noch "Cosmic Baby" oder nicht? Erst in der Reflexion aus einem gewissen Abstand heraus wurde mir klar, dass es sich hierbei nicht nur um ein individuelles, sondern um ein allgemein gesellschaftliches Dilemma handelt...

sueddeutsche.de: Weil man versucht, dem Bild zu entsprechen, das die Umwelt von einem hat?

Blüchel: Genau. Jeder versucht sich den Erwartungen seiner Umwelt entsprechend zu verhalten, weil man in einer auf Konkurrenz und Markt basierenden Gesellschaftsform eben nur derjenige zählt, der "erfolgreich" ist. Wir haben dieses Verhalten aus unserer Sozialisation heraus so verinnerlicht, dass es von vielen Verlustängsten begleitet ist, zu einem "was bin ich eigentlich Selbst?" oder "bin ich ausschließlich die Summe der ankonditionierten Bilder?" zu kommen.

sueddeutsche.de: In Ihrer Biografie steht unter dem Jahr 1995 "Reaktion auf die immer ungeniertere Vermassung seines Sounds durch Andere mit der ersten Eigenveröffentlichung, der 40-minütigen Komposition 'Stunde Null'". Gab es für Sie einen punktuellen Bruch mit der Techno-Szene?

Blüchel: Nein, das war eher ein evolutionärer Prozess. Im Laufe der Zeit veränderte sich die Szene stark und hatte wenig bis nichts mehr mit dem zu tun, was mich anfangs begeisterte: aus einer eher kollektiven Spielwiese wurde ein Unterhaltungs-Marktplatz wie jeder andere.

sueddeutsche.de: Sie waren 1989 auf der allerersten Love-Parade in Berlin mit 150 Teilnehmern. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Blüchel: Es war wunderbar. Ich kam aus Nürnberg nach Berlin. Kaum war ich dort, habe ich Leute kennen gelernt, die genau dasselbe wollten wie ich: mit ein paar Synthezisern und Rhythmus-Maschinen eine neue Musik machen. Ich konnte an einer spannenden Entwicklung von etwas Neuem teilhaben und mitgestalten - etwas, das sich wohl jeder Künstler wünscht. Es gab damals keine Unterschiede zwischen Fans und Machern.

sueddeutsche.de: Wann hat sich das verändert?

Anfang dieses Jahres starb Mark Spoon an Herzversagen im Alter von 39 Jahren. (Foto: Foto: markspoon.com)

Blüchel: Techno wuchs Anfang der 90er sehr schnell. Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen: Eine Musikbewegung fand außerhalb der Leit-Medien und Major-Labels statt und wuchs überall auf der Welt - egal ob Detroit, Berlin oder London. Der Begriff "global village" hatte damals für mich noch nicht den faden Beigeschmack von heute.

sueddeutsche.de: Sehen Sie sich heute noch als Teil einer "Techno-Szene"?

Blüchel: Spätestens 1999, als diese Musik zwei Jahre vor ihrem kommerziellen Höhepunkt stand, der gleichzeitig Gipfelpunkt einer künstlerisch beschämenden Armseligkeit war, habe ich aufgehört, mich mit Techno als perspektivische Popkultur auseinanderzusetzen.

sueddeutsche.de: Sie waren damals einer der wichtigsten Protagonisten der Techno-Bewegung. Standen Sie in künstlerischen Austausch mit Techno-Größen wie Sven Väth oder Westbam?

Blüchel: Mit Westbam hatte ich nie etwas zu tun. Wir standen in krassen Gegensatz zueinander. Mit Sven Väth verstand ich mich eine Zeitlang wunderbar. Aber heute gibt es nur noch sehr wenig Leute, die aus dieser Musik kommen und mit denen ich noch in Kontakt stehe. Ich habe den Eindruck, das Gros dieser Leute ist menschlich stehen geblieben.

sueddeutsche.de: Am 11. Januar dieses Jahres ist Mark Spoon, ein weiterer Protagonist des Techno, gestorben - mitunter an den Folgen exzessiven Drogenkonsums. Welche Rolle haben Drogen damals gespielt?

Blüchel: Für viele sicherlich eine sehr große. Je größer die Bewegung wurde, desto mehr Drogen kamen ins Spiel. Das waren Flucht- und Nachahmungseffekte: Es ist sehr verlockend, sich wegzuschießen, um sich bedingungslos mit "Haut und Haaren" einer Sache auszuliefern. Ich wollte genau das Gegenteil davon: durch bewusst Erlebtes die realen Zustände verändern. Letztendlich war das aber genauso naiv.

sueddeutsche.de: Viele der Stücke auf "thinking about myself" und "Stellar Supreme" waren ihrer Zeit weit voraus. 1994 erschien die erste der "Cafe del Mar"-Compilations, die einen "Chill-out-Boom" auslösten. Wie empfinden Sie Musik dieser Art?

Blüchel: Wer freut sich nicht darüber, Anteil an einer musikalischen Entwicklung zu haben. Doch schnell wurde aus der Freude darüber erst ein ungläubiges Staunen, dann nur noch Ärger: Es hagelte Kopien von Kopien von Kopien, die in ihrer zunehmenden Belanglosigkeit nur noch verbrannte Erde hinterließen. Analytisch betrachtet ist das nichts Neues: In der Massenkonfektion wird irgendwann das gesamte Genre fragwürdig und ungenießbar, weil ihre Flut die wenigen guten Beispiele natürlich mit wegspült.

sueddeutsche.de: Die Musik dem Album "Die Toteninsel" und dem Nachfolgendem "caged" hat mit Techno nichts mehr zu tun. Was ist in der Zwischenzeit passiert?

Blüchel: Meine Verortung in der Gegenwart hat sich geändert. Wollte ich in der "Cosmic Baby"-Welt noch einfache, sozusagen reine Zustände wie "traurig", "verliebt", "glücklich" in musikalisch gefälliger Form abbilden, so interessieren mich seit Jahren komplexere, widersprüchliche innere Abläufe. Das bedeutet: Suche nach neuen Darstellungsformen, Klängen und Kompositionstechniken. Was wiederum bedeutet: studieren, handwerklich dazu lernen, experimentieren und bewährte Wege verlassen. Das braucht Zeit und Geduld. Rückbesinnungen auf Felder der klassischen Moderne wie "Musique Concrete" haben mich inspiriert. Ich würde meine eigene Musik heute eher als "Hörstücke" bezeichnen.

sueddeutsche.de: In der "Toteninsel" verbinden Sie Elemente klassischer Musik mit elektronischen Klängen, "caged" ist ausschließlich für klassische Instrumente geschrieben. Wo sehen Sie die Chancen und wo die Grenzen elektronischer Musik?

Blüchel: Das Verlockende und Faszinierende an elektronischer Musik ist die Möglichkeit, mit relativ geringem Aufwand und ohne handwerkliche Fähigkeiten komplexe Ideen akustisch umsetzen zu können. Leider folgt daraus nicht zwangsläufig eine größere musikalische Vielfalt. Genau das Gegenteil ist zu hören: Die Musik klingt tendenziell immer gleicher, immer uniformer, un-unterscheidbarer, beliebiger - was wiederum kein musikspezifisches Problem ist, sondern einen allgemeinen Zustand betrifft...

sueddeutsche.de: Woran liegt das?

Blüchel: Es geht nicht mehr um die Hingabe und das Erlebnis, etwas für und an sich zu schaffen, sondern darum, möglichst schnell ein erfolgreich vermarktbares Produkt bereit zu stellen. Ganz allgemein: Wir sprechen längst nicht mehr vom Kunstwerk, das sich nach dem eigenen Gehalt und seiner stimmigen Gestaltung richtet, sondern von industriellen Kunstprodukten, die sich ausschließlich am Profitmotiv messen lassen.

sueddeutsche.de: Im Booklet von "caged" beklagen Sie die totale Vereinahmung des Menschen durch Ökonomie. In "Die Toteninsel" geht es Ihnen um den Widerspruch zwischen dem, was wir "denken zu sein" und was wir wirklich sind. Kann Musik überhaupt solche komplexen Probleme aufgreifen?

Blüchel: Ich kann nicht so tun, als gäbe es da eine Grenze zwischen einer quasi idealen Kunstsphäre und den gesellschaftlichen Problemen, vor denen ich als realer Mensch nun mal nicht die Augen verschließen kann. Ich suche in der Analyse von Systemen nach eigenen Standpunkten. Kein System funktioniert so, wie es sich selbst darstellt. Auch dieses nicht, das, je stärker die gesellschaftlichen Widersprüche zunehmen, uns immer hysterischer einzureden versucht, so liberal, frei und unideologisch wie nur irgendwas zu sein - und gleichzeitig ständig den Druck auf die wachsende Anzahl ihrer Bürger erhöht, die an ihrem drohenden Fall in das existentielle Nichts selbst Schuld sein sollen.

sueddeutsche.de: Das klingt sehr schön idealistisch. Aber meistens geht es doch nicht um ein Entweder-oder, sondern ein Sowohl-als auch. Sie waren berühmt, hatten einen guten Namen - warum wollen Sie darauf nicht aufbauen? Sie hätten es heute um einiges leichter...

Blüchel: Aber genau diese Suggestion des "Sowohl als auch", dieses "die goldene Mitte finden", ist doch die Wurzel dieser konturlosen, quotenkonformen, als sexy, schick und erfolgreich hin-designeten Scheinindividualität, die uns als Lebensfreude, Orientierungs- und Wertmaßstab verkauft wird. Dieser Beckmann-Merkel-Bohlen-Fliege-Pluralismus macht mich krank. Der Schriftsteller Helmut Krausser brachte es einmal sehr schön auf den Punkt: Man muss kapieren, dass das alles nur Masken ein und derselben Figur sind. Die Verblödungsgesellschaft bedient man, sobald man sich mit ihr einlässt. Egal wie.

sueddeutsche.de: Sie machen Ihre Pressearbeit selbst, kümmern sich um den Vertrieb und die Pressung. Ist das nicht wahnsinnig viel Arbeit?

Blüchel: Ja, das ist es. Andererseits konnte ich für mich den Beweis antreten, dass es möglich ist, Musik zu meinen künstlerischen Bedingungen zu gestalten: Ohne Businesspläne, Marketingargumente, Promokampagnen und das ständige Schielen auf irgendwelche Charts und Medienbarometer. Ohne Sponsoring mit freundlicher Unterstützung der Firma X oder Y, ohne diese wichtigtuerischen und gleichzeitig entwürdigenden Blablablas mit Personen, die irgendwie "wichtig" für "das Produkt" zu sein scheinen. In meinen Augen wiegt ein wachsendes Stück qualitativer Unabhängigkeit den Verlust von quantitativem Aktionsradius, der allgemein als "Erfolg" und "Popularität" verstanden wird, auf.

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