Interview mit Arthur C. Clarke:"Vielleicht sind die Extraterrestren schon unterwegs"

Lesezeit: 7 min

Der berühmte Science-Fiction-Autor über seine Experimente mit Laserstrahlen im Weltall, Außerirdische und Religiosität.

Interview: Werner Bloch

SZ: Sir Arthur, Sie gelten als der berühmteste Science-Fiction-Autor der Welt...

Arthur C. Clarke (Foto: Foto: Reuters)

Nun ja, wenn Sie es sagen. Aber schauen Sie mal: Haben Sie eine Ahnung, was ich hier in diesem Reagenzglas in meiner Schublade habe?

SZ: Nein. Irgendein dunkelgraues Pulver.

Das ist Mondstaub. Hat mir Neil Armstrong von der Mondlandung mitgebracht. Ich hatte noch viel mehr davon, aber leider hat man mir den Rest vor vier Wochen gestohlen. Und was ist in diesem fingerhutgroßen Styroporbecher hier?

SZ: Keine Ahnung!

Dieser Becher stammt von der Titanic! Da sieht man, was aus so einem Ding in zwei Meilen Tiefe wird. Erstaunlich, nicht wahr?

SZ: Haben Sie selbst bei einer Ihrer Unterwasserexpeditionen danach getaucht?

Oh nein, so tief bin ich nie gekommen. Das haben mir Freunde mitgebracht, als kleines Andenken. Aber ich tauche immer noch - trotz meiner 87 Jahre und trotz meiner Lähmung. Das Problem ist nur, wieder aus dem Wasser rauszukommen. Mittlerweile müsste man mich mit einem Kran herausziehen. Und zwar mit einem ziemlich stabilen Kran.

SZ: Sir Arthur, Sie haben ein halbes Dutzend Weltbestseller geschrieben. Das Merkwürdige daran ist: Sie leben seit fünfzig Jahren hier in Sri Lanka. Was hat Sie eigentlich hierher gebracht?

Eine Kurzantwort wäre: fünfzig englische Winter. Ich kam erstmals 1954 nach Sri Lanka, wenn ich mich recht erinnere. Und es stimmte alles, ich fühlte sofort, dass ich angekommen war. Es ist ein zauberhaftes Land, mit zauberhaften Menschen...

SZ: ...und einer der schönsten Küsten der Welt.

Richtig, und ich interessiere mich nun mal sehr für das Wasser und für die merkwürdigen Lebewesen, die darin wohnen. Ich bin auch nahe dem Meer geboren, in Somerset. Und dann habe ich wie gesagt diese Leidenschaft für das Tauchen, diese phantastische Erfahrung der Schwerelosigkeit, die man nur im Wasser hat oder im Weltraum. Ich bin froh, daraus meinen Beruf gemacht zu haben.

SZ: Kommen wir zu einem weiteren merkwürdigen Punkt: Sie betreiben eine Tauchschule in Sri Lanka, Underwater Safaris. Wie haben Sie den Tsunami überstanden?

Gar nicht. Wir haben alles verloren. Rund 30 Millionen Rupies, etwa 250000 Euro, sind uns durch die Lappen gegangen. Nun kommen keine Touristen mehr, aber was sollten sie auch hier? Unseren Tauchlehrer haben wir nämlich auch verloren. Übrigens: Erkennen Sie den Typen auf dem Foto?

SZ: Den Papst?

Nein, das andere Foto.

SZ: Apollo 11. Das sind Sie und...

Genau. Wieder Neil Armstrong. Hat mich übrigens sehr amüsiert, was manche durchgeknallten Zeitgenossen über die Mondlandung behauptet haben: Die ganze Apollo-Mission sei ein Fake und stamme aus einem Hollywood-Studio nach einem Drehbuch von - na, raten Sie mal? Genau - von mir!

SZ: Stimmt, klingt ja irgendwie auch nach Ihnen.

Es ist natürlich Unsinn, alles Verschwörungstheorien. Ich habe jedenfalls daraufhin der Nasa einen Brief geschrieben und gedroht: "Meine Rechtsanwälte haben mich darauf hingewiesen, dass ich für dieses Werk niemals bezahlt worden bin. Schreiben Sie daher schnell einen Scheck aus oder Sie werden von meinen Killer-Rechtsanwälten Dellsnatch und Bubberclutch hören." Bisher ist aber noch kein Geld eingetroffen.

SZ: Schade - zumal Sie der Mondlandung in Ihren Büchern immer voraus waren. 1964 begannen Sie mit Kubrick ein Drehbuch zu schreiben. Daraus wurde dann "2001 - Odyssee im Weltraum".

Ein toller Film.

SZ: Der auch Sie weltberühmt machte, weit über die Gemeinde von Science-Fiction-Fans hinaus. War es leicht, mit Stanley Kubrick zusammenzuarbeiten?

Ganz und gar nicht. Ich habe darüber ein ganzes Buch geschrieben: "The Making of 2001." Aber jetzt finde ich noch nicht einmal mein eigenes Exemplar, verflucht. Stanley und die ganze Familie... Ich war von allen, auch von seiner Frau, sehr angetan. Natürlich haben Stanley und ich uns über Details in der Handlung gestritten, und es gab da wirklich ein paar ganz grässliche Auseinandersetzungen, aber das Ergebnis steht ja für sich.

SZ: Ihr neues Buch, "Die Zeit-Odyssee" haben Sie zusammen mit dem britischen Autor Stephen Baxter verfasst. Wie können zwei Science-Fiction-Autoren überhaupt zusammenarbeiten?

Naja, man passt entweder ganz wunderbar zusammen oder eben gar nicht. Dazwischen gibt es nichts. In diesem Fall habe ich mir den Plot ausgedacht und aufgezeichnet. Baxter hat dann die Details eingefügt und ein paar Veränderungen vorgenommen. Dann haben wir darüber diskutiert, er hat mich hier in Colombo besucht. Wahrscheinlich weiß mittlerweile keiner von uns beiden mehr, wer was genau getan hat.

SZ: Worum geht es? Eine Fortsetzung von "2001"? Die haben Sie doch schon einmal geliefert, vor 20 Jahren mit dem Buch "2010 - Odyssee Two." Wird das jetzt eine ganze Serie?

Irgendwie schon, aber dann auch wieder nicht. Ich würde sagen, die "Zeit-Odyssee" steht gleichsam im rechten Winkel zu früheren Projekten. Es geht um das Auseinanderbrechen des Raum-Zeit-Kontinuums. Unangenehme Sache, so was. Aber deshalb existieren eben mehrere Epochen gleichzeitig nebeneinander. Das ist einleuchtend, finden Sie nicht?

SZ: Hm, ja. Sie selbst sind räumlich sehr eingeschränkt, sitzen seit einigen Jahren im Rollstuhl. Wie ist das passiert?

Oh, ich will nur soviel dazu sagen: Ich habe versucht, ein bekanntestes physikalisches Theorem zu wiederlegen, das besagt: Zwei Gegenstände können sich unmöglich zur selben Zeit am selben Ort aufhalten. Einer dieser Gegenstände war eine Türöffnung, der andere mein Kopf. Er funktioniert aber immer noch ziemlich gut, nur mit der Atmung habe ich Probleme, ich keuche und hüstele, wie Sie hören. Immerhin spiele ich noch manchmal Tischtennis, im Rollstuhl.

SZ: Und Sie schreiben weiter, nach einem halben Dutzend Bestseller. Worauf sind Sie denn besonders stolz?

Klare Sache - darauf, dass ich den Nachrichtensatelliten erfunden habe, damals in den vierziger Jahren. Das ist schwer zu übertreffen, oder? Die Welt ist ja heute ohne Satelliten nicht mehr denkbar. Dabei hat es 25 Jahre gedauert, bis meine Idee von den geostationären Satelliten umgesetzt wurde. Ich habe mir auch meine Gedanken über die Wettervorhersage gemacht. Sehr nützlich, diese künstlichen Himmelskörper.

SZ: Da müssten Sie heute noch Geld für das Patent bekommen.

Nein, aber es geht mir auch so nicht schlecht. Ich habe den Lauf der Welt mehrfach verändert. Während des Zweiten Weltkriegs...

SZ: ...Sie waren damals bei der Royal Air Force...

...richtig, da konnte schon mal leicht etwas schief gehen.

SZ: Zum Beispiel?

Es gibt da eine Geschichte, die ich noch niemandem erzählt habe. Einmal überwachte ich den Aufbau von Radaranlagen an einem Flughafen. Dabei bemerkte ich, dass unsere Trucks viel zu nahe an der Flugpiste standen. Gefährlich! Ich änderte also die Aufstellungspläne, und das hat den Lauf der Weltgeschichte verändert. Am nächsten Tag kam nämlich genau an dieser Stelle ein Bomber vorbei. Der hätte uns plattgemacht. Und in einem unserer Trucks befand sich gerade der militärische Leiter des Manhattan Projects - das amerikanische Projekt zur Herstellung der Atombombe. Netter Kerl, unser Gast. Wäre wirklich schade um ihn gewesen. Und wer weiß, ob die Amerikaner die Bombe so schnell hätten bauen können.

SZ: Ihre Gedanken waren auch schon während des Krieges im Weltraum, oder?

Natürlich. Einmal hatte ich Zugang zu dem mächtigsten Laser der Welt. Ich versuchte damit, ein Echo des Mondes zu bekommen - ohne Erfolg. Zum Glück ist der Mond durch meine kleinen Spielchen auch nicht runtergefallen, so ganz sicher konnte man sich damals nicht sein!

SZ: Eine Lasershow im Weltraum!

Manchmal beame ich tatsächlich im Weltraum herum und frage mich, ob der Laserstrahl von irgend jemandem empfangen wird. Und wenn ja, ob sie hierher auf dem Weg sind. Und wenn sie es sind, dann hoffentlich nicht auf der Suche nach neuem Protein!

SZ: Welches Ihrer Bücher gefällt Ihnen rückblickend am meisten?

"Die neun Milliarden Namen Gottes". Es ist einmal zum besten Science-Fiction-Buch aller Zeiten gewählt worden. Ich habe übrigens vom Dalai Lama ein schönes Dankesschreiben bekommen. Der Dalai Lama fand das Buch sehr interessant - ob es dem Papst auch gefiel, weiß ich nicht.

SZ: Ist das auf dem Foto denn nun der Papst Johannes Paul II., der neben Ihnen steht?

Ja. Es gab damals im Vatikan eine große Weltraumkonferenz. Ich bin viel in der Welt herumgeflogen, ständig gab es diese Konferenzen, und ich bekam alle möglichen Orden und Diplome, die Sie in meinem Flur sehen können. Ich war auch mal Fellow am King's College...

SZ: Und Sie waren im Vatikan?

Ja, und ich traf dort eine Menge Bekannte wieder. Der Vatikan hat sich seit Galilei mit den Astronomen längst ausgesöhnt, da gibt es kein Problem mehr.

SZ: Sind Sie religiös?

Nein, ich lehne jede Art von Religion ab. Die Religion hindert einen daran, die Wahrheit über das Universum herauszufinden.

SZ: Und die Wissenschaft? Hier hängen ja auch erstaunlich viele Fotos von Wernher von Braun.

Ich kannte Wernher ziemlich gut. Wir haben ein paar Fotos zusammen gemacht. Außerdem habe ich ihn zum Tauchen bekehrt, dafür war er mir sehr dankbar. Wernher war sehr freundlich, ich habe ihm dafür vergeben, dass er viele meiner Landsleute umgebracht hat. Kennen Sie das Gedicht: "If the rocket goes up who cares where it comes down?/ That's not my department, says Wernher von Braun." Hahaha! Furchtbar, nicht wahr?

SZ: Sie gelten als Experte für außerirdische Intelligenz. Wie groß ist eigentlich die Wahrscheinlichkeit, dass wir eines Tages Besuch aus einer anderen Welt erhalten?

Das ist, auf lange Sicht gesehen, unvermeidlich. Vielleicht in ein paar Millionen Jahren. Vielleicht auch schon bald. Für die nahe Zukunft gibt es da keine gesicherten Erkenntnisse, da kann man nur spekulieren. Es ist ziemlich sicher, dass es in unserem Sonnensystem keine geeigneten Planeten für weiteres Leben gibt. Und das nächste Sonnensystem ist Lichtjahre entfernt.

SZ: Das heißt, wir bleiben unter uns?

Vielleicht sind die Extraterrestren auch schon unterwegs, wer will das schon genau sagen? Wir haben ja unsere Anwesenheit auf der Erde ziemlich deutlich gemacht, durch unsere Radioprogramme, durch Radarstrahlen und unsere Atomexplosionen. Sie müssten längst von unserer Existenz wissen.

SZ: Aber ist das nicht alles nur Phantasie von Science-Fiction-Hardcore-Fans, wilde Spekulationen, ein Ammenmärchen für das neue Jahrtausend?

Nein. Die unwahrscheinlichste Hypothese von allen ist, dass wir der einzige bewohnte Planet in diesem gigantischen Universum sind. Das ist angesichts der immensen Räume im Kosmos zweifelsfrei nicht so.

SZ: Sie mischen sich immer noch mit Zeitungsartikeln und Aufsätzen ein. Was bleibt Ihnen noch zu tun?

Ich würde gern mein Leben zusammenfassen und als DVD herausgeben - damit alles schön archiviert ist, wenn ich abtrete. Leider finde ich nicht mal mehr die Exemplare meiner eigenen Bücher. Und ich beginne, ihre Titel zu vergessen. Das ist traurig, das hätte ich nie für möglich gehalten. Ja, und dann habe ich noch dieses andere Projekt: einen Dekalog - die Liste der zehn bedeutendsten Bücher in der Geschichte der Science-Fiction, angefangen mit Gullivers Reisen, dem ersten Science-Fiction-Werk der Welt. Wenn man den Bogen nicht bis zu Homer spannen will, was vielleicht doch etwas übertrieben wäre.

SZ: Sir Arthur, Sie haben sich immer wieder skeptisch gegenüber der menschlichen Zivilisation und ihren Errungenschaften geäußert. Sie behaupten sogar, auf die Dauer könne Intelligenz nur im Weltraum überleben, auf der Erde würden wir sie mit Sicherheit zerstören. Woher dieser Kulturpessimismus?

Ich finde, die Zivilisation ist eine gute Idee. Nur sollte endlich mal jemand anfangen, sie auszuprobieren.

SZ: Gibt es denn keinen Fortschritt?

Nur in der Technik und in den Naturwissenschaften. Ansonsten kommt die Menschheit nicht voran. Der technische Fortschritt ist ja das, was uns an Science- Fiction reizt. Das ganze Vergnügen am Schreiben: Wir nehmen die Welt vorweg, wie sie sein könnte. Und wie sie sicherlich einmal sein wird.

© Sir Arthur C. Clarke wurde am 16. Dezember 1917 in Minehead, Somerset, geboren. Er gilt als der bedeutendste Science-Fiction-Autor des letzten Jahrhunderts. Einem großen Publikum wurde er durch die Zusammenarbeit mit Stanley Kubrick für den Film "2001 - Odyssee im Weltraum" und auch durch seine Fernsehkommentare der amerikanischen Mondlandungen Apollo 11, 12 und 15 bekannt. Clarke erfand 1945 das Prinzip des Nachrichtensatelliten und erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen, auch den Ritterschlag durch Prinz Charles.<p>Seit 1956 lebt er in Colombo, der Hauptstadt von Sri Lanka.</p> - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: