Interview mit Antje Vollmer:Pro Musikquote: "Das Radio ist unerträglich"

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Antje Vollmer, Bundestagsvizepräsidentin und kulturpolitische Sprecherin der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen, ist Mitinitiatorin der Bundestagsanhörung zur Radioquote für deutsche Musik.

Interview: Dirk Peitz

SZ: Seit Mitte der neunziger Jahre gab es diverse Forderungen nach einer Radioquote für deutsche Musik - vom Pop- und Rockmusikerverband, von den Phonoverbänden, dem ehemaligen Kulturstaatsminister Nida-Rümelin, dem Bundestagspräsidenten Thierse, zuletzt auch vom Musikrat. Allesamt sind folgenlos geblieben. Weshalb sollte die neuerliche Musikerinitiative etwas daran ändern? Vollmer: Aus zwei Gründen - erstens stehen jetzt fast alle wichtigen Musiker aus dem Rock- und Popbereich hinter dem Aufruf, auch die Jungen und die großen Namen. Zweitens hat sich die Wirklichkeit im deutschen Rundfunk so dramatisch entwickelt, dass auch das Publikum das Gedudel mittlerweile satt ist. Ich selbst bin viel im Auto unterwegs und kann das Radio nicht mehr ertragen - immer die gleichen Lieder von den gleichen paar weltweit erfolgreichen Bands.

SZ: Die für den Rundfunk zuständigen Länder haben sich bislang gegen eine Quote gewehrt. Im vergangenen Jahr hat die Ministerpräsidentenkonferenz dann in einer nicht bindenden Protokollerklärung zum Rundfunkänderungsstaatsvertrag die Hörfunkanstalten aufgefordert, mehr deutschsprachige Musik zu senden. Ist dieser Appell gescheitert? Vollmer: Offenkundig.

SZ: Die Konsequenz wäre nun die Quote, auch gegen den Willen der Sender? Vollmer: Ja. Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten - entweder macht man eine Bundesinitiative, oder einige Länder preschen vor und ändern ihre Rundfunkgesetze. Ich glaube, dass es bald einen regelrechten Wettbewerb unter den Ländern diesbezüglich geben wird. Überlegungen gibt es ja, in Ostdeutschland wie in Bayern oder dem Saarland. Letztlich ist es egal, wer damit anfängt - es wird daraus ein Druck auf die anderen Länder und die jeweiligen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erwachsen. Wobei mich die Haltung der Sender am meisten erstaunt: Die haben doch die Volksmusik bis zum Überdruss populär gemacht. Wieso sollten sie nun nicht in der Lage sein, Programme mit deutschsprachiger Musik von Qualität zu produzieren?

SZ: Würde eine freiwillige Selbstverpflichtung nicht ausreichen? Vollmer: Ich neige dazu, bei der Musik zu einer Gesetzgebung zu kommen, wie sie die Franzosen haben. Deren Erfahrungen werden einer der Kernpunkte der Anhörung sein.

SZ: Wäre die französische Quote mit vierzig Prozent inländischer Musik ein Vorbild für Deutschland? Vollmer: Wie hoch eine solche Quote schließlich läge, darüber muss man diskutieren. Ihr Erfolg in Frankreich ist daran messbar, dass der Anteil der inländischen Musik an den Charts rapide gestiegen ist. Da zeigt sich: Man muss dem Publikum nur Gelegenheit geben, vom Musikangebot aus dem eigenen Land überhaupt zu erfahren. In Deutschland ist es derzeit so, dass das Publikum in den Radioprogrammen bis auf wenige Ausnahmen nicht erfährt, welche musikalische Vielfalt und Qualität es im Land gibt. Weil die Sachen nicht gespielt werden.

SZ: Garantiert aber eine Quotierung per se mehr Vielfalt und Qualität? Vollmer: Sie garantiert dem Publikum die Wahlfreiheit, sich überhaupt informieren zu können, was es gibt. Am Ende entscheidet es eh selbst, was es hören will. Dabei wird nicht zwangsläufig Qualität geschaffen - aber eine Voraussetzung für deren Entstehen.

SZ: Sollte eine Quotierung nur für deutschsprachige oder für jede in Deutschland produzierte Musik gelten? Vollmer: Die Künstler plädieren für Musik aus Deutschland, egal ob deutschsprachig oder nicht. Was rechtlich möglich ist, wird die Anhörung zeigen.

SZ: Ist eine Quotenregelung nicht zwangsläufig anachronistisch angesichts der globalisierten Musikmärkte? Vollmer: Sie ist gerade eine Antwort darauf. Es ist feststellbar, dass der Globalisierungsprozess im Musikmarkt nicht mehr Vielfalt, sondern mehr Monokultur produziert. Für weltweit operierende Plattenfirmen ist es relativ egal, womit sie ihre Umsätze erzielen. Pro Land werden im Moment nur zwei, drei nationale Künstler zur Kenntnis genommen.

SZ: Stattdessen würde die Quote einen neuen Markt für diese Industrie kreieren. Ist das also nicht bloß Wirtschaftsförderung für eine kriselnde Branche? Vollmer: Die Schaffung eines neuen Marktes empfinde ich nicht als Vorwurf, sondern als erstrebenswertes Ziel. Am Ende dient das dem nachvollziehbaren Wunsch, dass die Menschen außer den ohnehin präsenten globalen Welthits auch eigene Musik kennen lernen - und dass Künstler überhaupt existieren können.

© SZ vom 10.9.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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