Interview: Franz Ludwig von Stauffenberg:"Er war kein Saulus, der zum Paulus wurde"

Lesezeit: 12 min

Ein Gespräch mit Franz Ludwig von Stauffenberg, dem jüngsten Sohn des Hitler-Attentäters, über seinen Vater.

(SZ v. 19.07.2003) Herr von Stauffenberg, wie ist die Politik Ihrer Familie gegenüber Anfragen aus der Öffentlichkeit? Es gibt ja Familien des Widerstandes, die sich völlig verweigern, und es gibt andere, die die Forschung tatkräftig unterstützen.

Claus Graf Schenk von Stauffenberg (1907-1944), deutscher Offizier und Widerstandskämpfer, mit seinen Söhnen Franz Ludwig (links) und Heimeran. (Foto: dpa)

Das zweite haben wir, und vor allem natürlich meine Mutter, denn sie ist ja Zeitzeugin, auch immer so gehalten. Wir wollten nie den Widerstand gegen Hitler wegdrücken oder verschweigen. Wir haben deswegen all diejenigen unterstützt, die hier geforscht haben. Wir haben dies auch in Fällen getan, in denen wir von vornherein davon ausgehen mussten, dass das Ergebnis den historischen Tatsachen nicht entsprechen würde. So etwa, als sich - zu einem relativ späten Zeitpunkt - die DDR-Historiographie meines Vaters annahm und aus ihm einen von anderen, "bösen" Offizieren missbrauchten Sozialisten und Kommunistenfreund machte.

Aber die Freundschaft Ihres Vaters zu Sozialdemokraten wie Carlo Mierendorff und Julius Leber ist doch eine Tatsache, nicht wahr?

Ja, und auf die sind wir stolz. Ich halte Julius Leber für einen der ganz großen eigenständigen Köpfe des Widerstandes.

Was hat Ihren Vater mit Männern wie Leber und Mierendorff zusammengeführt?

Darauf kann ich selbst kaum antworten. Ich habe das nie im einzelnen erforscht. Es ist für meine Mutter und uns auch nie ein Problem gewesen, denn wir bewegten uns nicht in engen national-konservativen Kreisen oder Vorstellungen, wie man sie uns vielleicht vom Namen her unterstellt. Sie sind sicherlich zusammengekommen in ihrer Gegnerschaft zum Regime. Sie haben sich gefunden in ihren Überlegungen zu dem, was getan werden müsse, aber auch zu dem, was nach einem erfolgreichen Umsturz anstehen würde, um das Land zu stabilisieren und den Krieg zu beenden. Dabei haben sie sich wohl gegenseitig als kompetente, verläßliche und vernünftige Gesprächspartner kennengelernt. Ich glaube, diese gegenseitige Beurteilung der Personen spielt eine viel größere Rolle, als immer angenommen wird. Mein Vater war mit Sicherheit kein Sozialdemokrat, aber er war auch kein Nationaldeutscher.

Teilen Sie meinen Eindruck, dass in den letzten Jahren in stärkerem Maße moralische Kategorien in der Beurteilung des Widerstands ins Spiel gekommen sind? So dass jetzt Fragen des Wissens, der Mitwisserschaft, aber auch antisemitischer Haltungen eine größere Rolle spielen als noch vor 20 Jahren?

Es gibt seit Mitte der achtziger Jahre verstärkt eine Reihe von Bemühungen, neue Seiten oder neue Blickwinkel auf den Widerstand zu öffnen und damit ins Gespräch zu kommen. Ich habe den Eindruck, dass zahlreiche dieser fulminanten Enthüllungen der Selbstprofilierung des Autors dienen - und weniger der Sache: Denken Sie an jemanden wie Daniel Goldhagen.

Sie haben also nicht den Eindruck, dass sich das Bild des Widerstandes im Lauf der Jahre verbessert, geklärt, ins Richtige gewandelt hat?

Nein, ich glaube nicht, dass es sich verbessert oder präzisiert hat. Sondern ich glaube, dass es insgesamt durch die unterschiedlichen Zielrichtungen der Veröffentlichungen, auch aus der Fachwelt, Vernebelungen und Verzeichnungen erfahren hat. Eine unrühmliche Rolle spielt hier auch Hans Mommsen, der mit einer Reihe von Unterstellungen versucht hat, bekannte Figuren des Widerstandes zu diskreditieren. Er hat insbesondere Goerdeler, teilweise aber auch Beck versucht zu diffamieren. Goerdeler wurde massiver Antisemitismus unterstellt.

Und Ihr Vater?

Wurde da auch mit hineingezogen. Aber verglichen mit Goerdeler war das noch ganz harmlos, der wurde ja regelrecht zu einem Hitler-Fan umgedeutet, der nur in der Machtkonkurrenz gescheitert sei, aber gar nicht im geistigen Widerspruch gestanden habe.

Wie stehen Sie zu Vorwürfen des Antisemitismus gegen Ihren Vater?

Diese Vorwürfe sind bisher so rar und absurd gewesen, dass ich keine Notwendigkeit gesehen habe, eine historische Gegenforschungsaktivität zu entfalten. Das ist auch nicht mein Beruf. Wenn jemand einen solchen Bekanntheitsgrad hat in einer solchen ungewöhnlichen Rolle wie mein Vater, dann gehört es mit zum normalen Erscheinungsbild, dass er nicht nur kritiklose, emotional aufgeputschte Bewunderer, sondern auch eine massive Gegnerschaft hat, ob sie nun in die Denunziation als Volksverräter mündet, wie sie sehr bald und intensiv kam, oder in die als realitätsfremder Aktionist, der in der Durchführung gepfuscht habe. Es hat bei uns im Land immer eine heimliche Ablehnung meines Vaters und seiner Gefährten gegeben, die sehr viel stärker war, als offen ausgesprochen wurde.

Was halten Sie von der Tendenz, beginnend mit Eberhard Jäckel, fortgesetzt von Joachim Fest, die Sinnlosigkeit der Situation zu dramatisieren, in der dann doch gehandelt wurde - also nur noch ein Zeichen zu setzen? Das geht schließlich so weit wie in dem Buch dieses Berliner Soziologen, der vor ein paar Jahren behauptet hat, die Leute des Widerstandes hätten Hitler gar nicht mehr wirklich töten wollen, es sei ihnen nur noch um das Zeichen, um das Symbol gegangen.

Auch das gehört zu jenen Bemühungen, von denen ich sprach, den Versuchen späterer Wissenschaftler und Publizisten, ambitionierter Leute, etwas Neues auszubreiten.

Und was ist dran an der Idee vom symbolischen Handeln?

Wenn man den Widerstand reduzieren will auf die Suche nach einem rein symbolischen Akt, dann halte ich das für unsagbar kindisch und unwürdig. Das reduziert eine beachtliche Zahl von Menschen sehr unterschiedlicher Herkunft und Überzeugung auf psychopathische Gestalten. Und das waren sie nun sicher nicht.

Gibt es besonders auffällige Stereotype, Ihren Vater betreffend, die beharrlich überliefert werden?

Dazu gehört das Bild vom vermeintlichen "Preußen" Stauffenberg. Ganz abgesehen davon, dass er Schwabe war - er war alles andere als ein Muster an Ordentlichkeit und Zackigkeit. Allerdings galt er als gut aussehend, und offenbar hat er ein beneidenswert großes persönliches Charisma besessen. Wo immer er auftrat, sammelte er Leute um sich, und zwar nicht nur Untergebene, sondern auch Übergeordnete. Er war Mittelpunkt, und die Generale standen am Rand des Kreises. Aber er war nie der zackige preußische Soldat, und konnte es auch gar nicht sein.

Lag das an seiner Herkunft aus dem George-Kreis?

Sehen Sie, Peter Hoffmann, dem wir dieses Bild verdanken, hat lange, sehr lange nach allen verfügbaren Quellen und quellennahem Material gesucht. Dennoch gibt es in seiner Darstellung vom Leben meines Vaters Ungleichgewichtigkeiten, die aus den Zufällen der Überlieferung herrühren. Zu diesen Einseitigkeiten gehört die Überbetonung der Prägung durch den George-Kreis. Sie nimmt in dieser Biografie einen quantitativ zu großen Platz ein, insbesondere nach Maßgabe des späteren Widerstands.

Nimmt das der Figur etwas von ihrem Eigenwert?

Ich würde sagen, es verzeichnet und esoterisiert die Person meines Vaters in unzutreffender Weise.

Was kommt Ihrer Meinung nach zu kurz?

Das ist schwer zu beantworten. Das meiste hat sich ja vor meiner Zeit abgespielt. Ich glaube, was insgesamt zu kurz kommt, ist die Vielfalt des tatsächlichen und realen Lebens, das keinen Niederschlag gefunden hat in Briefen oder literarischen Versuchen. Und die Zeugnisse, die es hätte geben können, sind der Gestapo in die Hände gefallen. Oder sie wurden vorher verbrannt wie das Tagebuch meines Vaters aus der Zeit von 1938: ein Quasi-Tagebuch, das er, aus Angst vor einer Entdeckung von Briefen, geschrieben hat. Er hat an der Besetzung des Sudetenlandes teilgenommen und davon sehr kritische Berichte geschrieben. Die brachte er nachhause mit für meine Mutter, nachdem sie sich schon geärgert hatte, dass er ihr nicht geschrieben hatte. Und als es dann eng wurde, hat meine Mutter vorsichtshalber dieses Tagebuch an Freunde gegeben.

Wann war das?

Das war 43/44, als sie wusste, dass er in einer Widerstandssache drin war, wobei sie allerdings bis zum Schluß nicht wusste, in welcher zentralen Rolle er sich befand.

Immerhin wusste sie seit etlichen Jahren, dass er im Dissens mit dem Regime war?

Sehen Sie, es gibt eine Geschichte, die auch nirgends überliefert ist, weil sie im Widerspruch steht zu der Saulus-Paulus-Legende, die immer noch sein Bild bestimmt. Ich glaube, es war anläßlich des Einmarsches in die Tschechoslowakei oder des "Anschlusses" Österreichs. Damals gab es ja sehr ernsthafte Überlegungen zu einem Umsturz, in die mein Vater noch nicht einbezogen war. Er war ja noch ein ganz junger Offizier. Da gab es ein Gespräch mit seinem Onkel Nikolaus von Uexküll. Der war der Bruder seiner Mutter und spielte in Berlin eine sehr bedeutende, bisher wohl unterbewertete Rolle in der Beeinflussung seiner Neffen Claus und Berthold. Er versuchte meinen Vater davon zu überzeugen, dass es notwendig sei, etwas zu tun. Und darauf gab mein Vater zur Antwort, dass damals - es muss schon nach dem Münchener Abkommen gewesen sein -, als das ganze Volk hinter Hitler stand, es ein Hirngespinst und von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wäre, etwas dagegen machen zu wollen. "Das einzige, was man uns nachsagen würde, wäre, dass wir Verräter seien." Und meine Mutter, die mit ihnen auf dem Rückweg vom Lautlinger Bahnhof war, wurde ein wenig voraus- oder hinterhergeschickt, damit die beiden allein reden konnten. Das hat sie freilich nicht gern gehabt. Aber sie war sowas auch schon gewohnt. Als sie dann zusammen daheim ankamen, sagte meine Mutter zu den beiden: "So, habt ihr wieder Verschwörerles gespielt?" Das heißt, die Idee, dass das, was aus Berlin passiert, schlecht war, war meinem Vater damals weder fremd, noch lehnte er - erst Saulus, dann Paulus - diese Bewertung ab. Ähnliches muss auch schon geschrieben gewesen sein in jenem Tagebuch. Aber das heißt natürlich lange noch nicht, dass er damals schon ein entschlossener Mitverschwörer oder selber zum aktiven Widerstand entschieden gewesen ist.

Das heißt, Ihre Mutter wusste schon relativ früh von verschwörerischen Aktivitäten ihres Mannes?

Also ab 1938 mit Sicherheit, ja. Meine Mutter hat nicht von der zentralen Führungsrolle meines Vaters gewusst. Sie wusste nicht, dass er in der Schlüsselfunktion war, weder von der generalstabsmäßigen Vorbereitung, noch gar, dass er selber die Bombe legen würde. Mein Vater hat sie da bewusst außen vorgelassen. Und es gab auch eine Absprache mit meiner Mutter: Sollte ihm was passieren und die Gestapo kommen, dann sollte sie sich komplett ahnungslos stellen und die harmlose Frau mit Kinder, Küche, Keller, Kirche spielen. Um sie Frau und die Kinder zu schützen, hat mein Vater sie wohlweislich nicht im einzelnen ins Vertrauen gezogen.

Durch die gesamte Literatur des Widerstandes hindurch wird immer wieder die ungewöhnliche Entschlossenheit Ihres Vaters hervorgehoben, die Zähigkeit, mit der er seine Pläne verfolgte und sich auch durch Fehlschläge nicht entmutigen ließ. Wie erklären Sie sich die?

Ich verstehe Ihre Frage, aber sie ist ungeheuer verführerisch und gefährlich, weil sie ganz schnell zu dem führt, wogegen ich allergrößte Skepsis habe, zur popularpsychologischen Behandlung von menschlichen Verhaltensweisen. Mein Vater war der jüngste der drei Brüder, aber offenbar der selbstbewussteste und wahrscheinlich auch der ambitionierteste. Und in dem, was er an Ambitionen und Erwartungen an die Zukunft hatte, war er sehr stark ethisch geprägt. Also nicht möglichst viel Geld verdienen, nicht eine große oder hohe Karriere machen. Seine Vorstellung war, dass das, was er einst sein und tun würde, einen möglichst hohen Wert haben sollte.

Er hatte einen hohen Ehrbegriff?

Wenn Sie das Wort Ehre nehmen, dann kann das schnell wieder vordergründig im Sinne von Orden und Ehrenzeichen verstanden werden. Ihm ging es um Wert: Seine Sache musste Substanz haben. Hierbei wird allerdings die Vorstellungswelt des Kreises um George von Bedeutung gewesen sein, wenn auch nicht ausschließlich. Vielleicht - aber da komme ich schon wieder in die Nähe einer eigentlich unerlaubten sozialpsychologischen Deutung - war auch die familiäre Herkunft meines Vaters wichtig. Sein Vater stand ja im Dienst - und zwar in führender Stellung - beim König von Württemberg, seine Mutter war Hofdame bei der Königin. Sie war literarisch hoch interessiert. So stand sie beispielsweise im Briefwechsel mit Rilke. Da kam also über die Mutter einiges an literarisch-philosophisch Weltanschaulichem in dieses Familienleben hinein. Und als Bub mit elf Jahren hat er dann das Ende jener Welt erlebt, in der er bis dahin groß geworden war, also Stuttgart, das Königshaus, das Familienleben - ein für seine Familie tiefer Umbruch. Im Hintergrund der Erziehung meines Vaters stand nicht eine preußische Kadettenanstalt, sondern ein Gymnasium in Stuttgart in einem Umfeld, von dem wir von Theodor Heuss her noch wissen, dass dort der intellektuelle, professorale Liberalismus eine erhebliche Rolle gespielt hat. Es war also eine intellektuell plurale, eine liberal und literarisch geprägte Umwelt, die hier auf ihn eingewirkt hat. Die Entscheidung, Offizier zu werden, beruhte ja auch nicht auf der Lust am Militärischen oder am Kriegsspielzeug, sondern auf der Einsicht, dass in dieser Umbruchsituation geeignete und starke Führungspersönlichkeiten auch und gerade in der Reichswehr benötigt werden.

Sie würden sagen, diese Betonung der Entschlossenheit, das ist schon eine Stilisierung, damit beginnt schon der Heldenkult?

Dass er ungewöhnlich entschlossen, hartnäckig und sich selber treu war und geblieben ist, das ist sicherlich richtig. Dies aber nun absolut zu setzen und daraus ein dominierendes Bild zu machen, das wäre schon Stilisierung. Gewiss ist das bei ihm eine überdurchschnittliche, undurchschnittliche Charakteristik, da habe ich gar keine Zweifel. Aber das zu vereinsamen und zu heroisieren, das halte ich für genauso falsch wie die Saulus-Paulus-Legende, die besagt, er sei anfangs ein begeisterter Anhänger Hitlers gewesen und erst in einem dramatischen Erkenntnisprozess - kurz vor Damaskus - zur Einsicht gekommen. Diese zwanghaften Deutungen bleiben allesamt falsch: Diese Eindimensionalität haben Menschen nicht, jedenfalls nicht Menschen, die was taugen.

Muss alles an ihn Erinnernde für immer verschollen gelten, oder kann man damit rechnen, dass noch mehr wieder auftauchen wird - so wie vor einigen Jahren der Ehrensäbel von der Kavallerieschule in Hannover?

Na ja, der Säbel hat seine eigene kleine Geschichte. Vermutlich hat ihn mein Vater mit in Berlin gehabt, als er bei seinem Bruder und bei seiner Schwägerin hauste. Dort war er untergebracht, während die Familie in Bamberg war. Er tat ja Dienst in Berlin, und da mag er den Säbel für besondere Feierlichkeiten parat haben wollen. Die Wehrmacht hatte diese Säbel durch Hängedolche ersetzt; ich kann mich noch an den von meinem Vater erinnern. Aber auf dem Säbel stand sein Name graviert. Vermutlich ist er in Berlin in russische Hände gefallen, und so kam er über sowjetische Stellen an Max Reimann und wiederum an dessen Nachfolger Herbert Mies. Er ist diesen Weg gegangen als eine Art von Kriegssouvenir besonderer Art, während irgendwelche - soweit vorhandenen - Korrespondenzen in Bamberg gelegen haben. Über die sind dann erst die Gestapo, und über eventuelle Reste danach die Amerikaner gekommen.

Sonst ist nichts geblieben?

Es gibt noch, ich weiß nicht, wieso und warum, die beiden Schulterstücke, die mein Vater bei seiner Verwundung am 7. April 1943 in Tunesien getragen hat, auf denen noch Blut zu sehen ist. Es gibt auch noch die Büste, die Frank Mehnert geschaffen hat. Aber das sind Einzelstücke.

Kommen wir noch einmal zu der Vorstellung vom anfangs begeisterten Hitleranhänger Stauffenberg. Die stützt sich ja in erster Linie auf die Geschichte von dem Fackelzug durch Bamberg am 30. Januar 33, an dessen Spitze er in Uniform marschiert sein soll. Weshalb bezweifeln sie die?

Was auf jeden Fall falsch ist, das ist die Behuptung, er habe in voller Uniform an der Spitze eines solchen Umzuges teilgenommen. Diese Darstellung beruht auf den Ausagen, den mittelbaren Aussagen von Leuten, die ihn nachher getroffen haben. Die einen sagen, er habe seine Verspätung damit entschuldigt, dass er - die einen sagen: an diesem Zug teilgenommen habe. Dass jemand ausgesagt habe, er habe diesen Umzug angeführt, kann man ohnehin nirgends nachlesen. Andere wiederum sagten, er habe sich von diesem Umzug aufhalten lassen und sich nicht körperlich distanziert.

Kann man den Tatsachen nicht näher kommen?

Ich habe damals, als diese Legende wieder hochkam, in den Archiven des "Bamberger Tageblattes" nachgelesen und konnte von einem solchen Umzug am 30. Januar 1933 nichts finden. Außer dass es in irgendeinem Außenbezirk so etwas gegeben habe. Schon geografisch war nicht erklärlich, dass mein Vater daran teilgenommen hätte. Was aber an dieser Legende nicht stimmt, ist, dass hier mein Vater eine Rolle gesucht und gespielt habe, in der er als Anhänger des Nationalsozialismus demonstrieren wollte. Was möglich bleibt, ist, dass anlässlich eines solchen Vorfalls über die Frage diskutiert worden ist, ob ein Angehöriger der Reichswehr, ein Offizier, mit machen oder dabeibleiben dürfe oder aber sich distanzieren müsse. Aber auch solches ist nur belegt von Personen, die von nachherigen Gesprächen berichtet haben.

Was wissen Sie sonst über seine Einstellung?

Aus der gleichen Zeit ist eine andere Episode berichtet und verbürgt und zwar durch einen Unteroffizier seiner Einheit. Als mein Vater von der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler erfahren habe, in einer Übungspause, während der Rast, da habe er seinen Kaffebecher auf einen Stein geknallt und gesagt: "Hat es das Schwein also doch geschafft!" Daraus aber nun eine frühzeitige Opposition abzuleiten, wäre genauso falsch. Sicher ist nur, dass in dieser Zeit mein Vater wie viele seiner Altersgenossen sehr skeptisch gegenüber den politischen Zeitläuften war und dass er sich damals, am Ende der Weimarer Republik, von den politisch Führenden wenig erwartete. Aber es war den Soldaten der Reichswehr verboten, sich politisch zu betätigen und zu beteiligen. Ich weiß, dass mein Vater dieses Verbot ernst nahm - auch im Sinne der Freiheit, sich an niemand binden zu müssen, sondern skeptische Distanz zu wahren. Insofern ist diese Saulus-Paulus-Geschichte für uns alle, meine ganze Familie, ziemlich ärgerlich. Wohlgemerkt: nicht die Behauptung, er habe sich geändert, ist ärgerlich. Sondern die Unterstellung eines rituellen Demonstrationspathos, das meinem Vater fremd war: So war er nicht. Die Story ist etwas für Filmemacher und Boulevardpoeten.

Worauf verlassen Sie sich, wenn Sie das so bestimmt sagen?

Zunächst auf meine Mutter, auf ihre äußerst sachlichen, nüchternen und ungeschönten Berichte über meinen Vater und eben auch aus jener frühen Zeit. Und was diese behauptete anfängliche Bejahung des Nationalsozialismus angeht: Sie lässt sich nicht feststellen. Was sich feststellen lässt, ist eine generelle Unzufriedenheit mit der Situation und dem Erscheinungsbild der Weimarer Republik insgesamt. Ich habe aber auch nirgendwo gefunden, dass mein Vater die Weimarer Republik als solche in Frage gestellt hätte. Doch dass die Dinge, so wie sie sich entwickelt haben, unbefriedigend waren und zur Kritik sehr viel Anlass gaben, das ist sicher richtig. Aber es ist ebenso eindeutig und klar, dass er den Nationalsozialisten skeptisch bis ablehnend gegenüberstand und sie schon gar nicht bewundert hat. Außer dieser einen kolportierten Episode gibt es keinerlei Hinweise dafür, dass mein Vater sich irgendwo als Anhänger des Nationalsozialismus erklärt habe oder sich gar für ihn theatralisch in Szene gesetzt hätte. Alle berufen sich immer nur auf diese Legende.

Würden Sie oder Ihre Geschwister sagen, Ihr Leben habe sich im Schatten des 20. Juli abgespielt?

Ich lehne das Wort "Schatten" ab. Aber dass der 20. Juli alle von uns geprägt hat, dass er alles beeinflusst hat, was aus uns geworden ist und wozu wir uns entwickelt haben, alle unsere Überzeugungen, das ist sicher.

Interview: Ulrich Raullff

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: