Interview: Enya:Der Regen und die Seele

Lesezeit: 10 min

Seit ihr Song "Only Time" zu den Bildern vom Terroranschlag in New York gespielt wurde, ist sie ein Begriff. Mittlerweile hat sie mehr als 60 Millionen Platten verkauft. Und doch: sie weiß, was Einsamkeit ist.

Gabriela Herpell

SZ: Es ist so sonnig heute. Ganz und gar untypisch für Irland, oder?

Die irische Sängerin Enya lebt zurückgezogen (Foto: Foto: dpa)

Enya: Ja, es ist unglaublich, denn es ist nun mal kein Irrtum und kein Klischee, in Irland ist es wirklich meistens bewölkt und neblig. Und es regnet viel. Heute dagegen sieht alles ganz anders aus, die Leute lächeln. Und jeder redet über das Wetter, einfach weil es so ungewöhnlich ist.

SZ: Reden die Leute hier denn nur über das Wetter, wenn die Sonne scheint?

Enya: Nein, dauernd. Der Regen macht auch einen Teil der irischen Seele aus.

SZ: Die irische Seele - da denkt man an Frohsinn, an ein Pub, wo einer auf dem Akkordeon Volkslieder spielt, wo alle singenund jeder trinkt ... Ihre Musik ist dagegen weder ungestüm noch folkloristisch. Sondern rätselhaft bis sphärisch.

Enya: Finden Sie?

SZ: "Die Stimme der Stille" werden Sie auch genannt, und Ihr Singen beschreiben viele als geheimnisvolles Hauchen.

Enya: Das liegt vielleicht daran, dass ich manchmal in der alten gälischen Sprache singe, mit der ich aufgewachsen bin.

SZ: In deutschen Ohren klingt Ihre Musik jedenfalls nach Elfen und Melancholie. Nicht unbedingt irisch, auch nicht irdisch: wie aus einer Zwischenwelt.

Enya: Das Mystische ist tief verankert in der irischen Kultur, ebenso die Melancholie. Meine Musik hat eine Menge irischer Elemente. Allerdings ist mir klassische Musik tatsächlich näher als lustige Pub-Musik wie die von den "Pogues".

SZ: CNN unterlegte die Bilder vom 11. September 2001 mit Ihrem Lied "Only Time", und von da ab folgten fast alle Sendeanstalten. Wie fanden Sie das?

Enya: Die einstürzenden Türme, die man immer wieder in den Nachrichten sah, dieses viele Leid war grauenhaft. Als ich dann hörte, dass viele Menschen mein Lied mit Trost und Zuflucht verbanden, machte mich das glücklich.

SZ: Der Mensch, der bei dem Sender auf die Idee kam, hat Ihnen auch ein ganz schönes Comeback beschert. Nicht nur in Deutschland schnellte der Song, der ja schon ein Jahr alt war, auf Platz eins.

Enya: Ich habe immer genügend Platten verkauft, das war in dem Sinn kein Comeback. Ich war allerdings vorher sicher unbekannter, nach dem 11. September wussten auf einmal viel mehr Menschen von mir. Ich war plötzlich auf tausend Partys eingeladen. Aber ich habe weiter das getan, was ich am liebsten tue: ein normales Leben führen.

SZ: So normal ist Ihr Leben auch wieder nicht. Sie verbringen die meiste Zeit in einem Studio und sind dafür bekannt, Wochen und Monate an einem Song zu feilen. Sie müssen eine Perfektionistin sein.

Enya: Ja, ich glaube schon. Es dauert lange, bis ich finde, dass ein Song den emotionalen Ausdruck hat, den er braucht.

SZ: Wenn Sie eine Platte aufnehmen, dann können Sie gar nichts anderes machen als Musik, las ich. Also schon wieder nichts mit gemütlichen Pub-Abenden.

Enya: Ich kann absolut keine Zerstreuung vertragen, wenn ich arbeite. Die einzigen Menschen, die ich in solchen Zeiten sehe, sind Nicky Ryan und Roma - meinen Produzenten und seine Frau.

SZ: Ist denn diese Ausschließlichkeit für Sie notwendig?

Enya: In den letzten Wochen vor der Deadline ja. Aber sonst führe ich schon ein normales Leben, arbeite nur von Montag bis Donnerstag und habe lange Wochenenden.

SZ: Sie leben bekanntlich sehr zurückgezogen auf einem Schloss.

Enya: Ja.

SZ: In der Vergangenheit haben Sie kaum Interviews gegeben. Sie umweht die Aura des Geheimnisvollen.

Enya: Ich war immer zurückhaltend, und allein die Vorstellung, ich müsste mich jeden Morgen glamourös anziehen und, wie heute, Tee vor dem Kaminfeuer mit einer Journalistin trinken, macht mich fertig. Also tue ich es nur sehr selten.

SZ: Dann verraten Sie uns hier, heute, schnell: Wie sieht denn so ein langes faules Enya-Wochenende auf dem Schloss aus?

Enya: Wissen Sie, wenn ich zurückgezogen lebe, heißt das nicht, dass ich an langen Wochenenden nichts mit mir anfangen kann. Ich hänge es nicht an die große Glocke, aber ich lebe wie jeder normale Mensch: Ich lade Leute ein, ich gehe spazieren, ich lese.

SZ: Und Sie leben wirklich ganz allein auf Ihrem Schloss?

Für ihren Song "Only Time" wurde Enya international ausgezeichnet (Foto: Foto: AP)

Enya: Nun, ich habe Personal.

SZ: Und zig Zimmer.

Enya: Ja.

SZ: Und in einem davon haben Sie nicht doch irgendwo heimlich einen Partner versteckt?

Enya: Im Moment nicht. Das verträgt sich nicht mit meiner Arbeit. Es ist unheimlich schwer, jemanden zu finden, der mein Engagement für die Musik versteht.

SZ: Aber Sie haben doch die langen Wochenenden, an denen Sie nach ihm suchen könnten!

Enya: In manchen Phasen meines Lebens gab es ja auch Partner. Aber ich finde lange Beziehungen... nun, wie kann ich das am besten sagen, ohne wunderlich zu wirken? Ich habe mich meiner Musik zu sehr verschrieben. Ich weiß, manche Leute finden, dass sich das traurig anhört, aber glauben Sie mir, ich bin guter Dinge.

SZ: Sie sind eine fidele Einzelgängerin?

Enya: Wenn das bedeutet, dass ich gern allein bin - ja.

SZ: Dabei stammen Sie aus einer irischen Großfamilie, acht Geschwister haben Sie.

Enya: Es war auf jeden Fall immer viel los bei uns zu Hause. Ich hatte schon ganz früh das Bedürfnis nach Abgrenzung. Ich brauchte meinen eigenen Raum, und es ist ja nicht leicht, diesen Raum für sich zu finden zwischen all diesen Leuten. Innerlich hat man in so einer Familie, unter so vielen Menschen wiederum sehr viel Platz, es ist eine Art luftleerer Raum, der dadurch entsteht, dass man nicht immer Beachtung findet.

SZ: Hm. Und ich hatte mir das immer so lustig vorgestellt in einer großen Familie.

Enya: Das höre ich immer wieder, allerdings nur von Leuten aus kleinen Familien. Neun Kinder sind schon eine Menge, und Tatsache ist: In so einer großen Gruppe ist man niemandem richtig nahe. Stille wird da zum Luxus. Für mich war es ein großer Tag, als ich ins Internat kam. Da war ich endlich unabhängig, ich konnte entscheiden, was ich an diesem und an jenem Tag machen würde. Man entscheidet nichts allein in einer großen Familie. Es antwortet auch immer einer für dich. Es ist ein großes "Wir". Ich war froh, als ich nicht mehr Teil dieses "Wir" war.

SZ: Sie waren also ganz schön einsam in Ihrer großen Familie?

Enya: Ich war anders, sagen wir es so. Ich war noch sehr jung, als ich mit meinen Schwestern in einem Nonnenkloster Klavierunterricht bekam. Klassische Musik. Meine Schwestern empfanden es als eine Pflicht. Ich dagegen habe mich mit aller Energie und Leidenschaft auf das Klavier und die klassische Musik gestürzt. Und manchmal denke ich, das war meine Chance, meinen Raum für mich, Abstand von der Familie zu haben: Indem ich etwas fand, was ich allein machen konnte, weil kein anderer sich so richtig dafür interessiert hat.

SZ: Verstehe. Für Sie ist Einsamkeit gleichbedeutend mit Verschnaufpause.

Enya: Ich habe gleich nach dem Internat angefangen, Musik zu machen, und damals habe ich einfach nicht darüber nachgedacht, ob und wann es Zeit sein könnte, zu heiraten und Kinder zu kriegen.

SZ: Manchen Leuten passiert das ja auch einfach so.

Enya: Natürlich, es hätte sich schon ergeben können, aber es hat sich nicht ergeben. In meiner Familie haben übrigens alle sehr spät geheiratet. Es scheint nie eine Priorität bei uns gewesen zu sein. Heute bin ich mein eigener Herr, und darüber bin ich sehr glücklich. Ich mag Gesellschaft, aber dann möchte ich auch wieder eine Pause: Zeit für mich.

SZ: Ist alles so gekommen, wie Sie es sich als Kind erträumt haben?

Enya: Oh ja. Ich bin glücklich, etwas gefunden zu haben, das ich so gerne mache wie meine Musik.

SZ: Und sind Sie selber so geworden, wie Sie damals dachten?

Enya: Ich habe das Gefühl, mir einigermaßen treu geblieben zu sein.

SZ: Waren Sie immer schon so mit sich im Reinen?

Enya: Wie meinen Sie das?

SZ: Sie hatten nie den Wunsch, anders zu sein? Irgendwas besser zu können? Witziger oder schöner oder kontaktfreudiger zu sein? Geht einem doch manchmal so.

Enya: Ich war immer schüchtern. Das fand ich früher nicht so toll, aber heute akzeptiere ich das und richte mein Leben danach aus. Und immerhin traue ich mich, etwas so Privates wie meine Emotionen in der Musik auszudrücken und der Öffentlichkeit zu offenbaren. Ich male auch gern, aber es fällt mir schwer, weil es zu viel von mir zeigt. Wenn das eingefasst ist in einem Song, dann habe ich damit weniger Probleme.

SZ: Und nun wollte ich Sie gerade von der Sängerin Enya wegleiten und auf die Privatperson kommen.

Enya: Sie meinen, ob ich mir manchmal gewünscht habe, auf den Tischen zu tanzen? Ein ganz anderer Mensch zu sein? Gärtnerin vielleicht, hier draußen im Park? Nein, wenn man seine Arbeit so gerne macht wie ich, möchte man keine Gärtnerin sein, auch nicht in diesem wunderbaren Park. Wenn ich verheiratet wäre und Kinder hätte, wäre ich heute nicht an diesem Punkt. Und ich habe nie das Gefühl, die Musik ist schuld, dass es so ist.

SZ: Dabei wirken Sie gar nicht wie eine Frau, die nur Ihre Karriere im Kopf hat.

Enya: Darum geht es mir ja auch nicht! Sehen Sie, ich bin meine Musik. Auch wenn ich es wichtig finde, mein Zuhause vom Arbeitsplatz zu trennen. Sicher, es gab Zeiten, in denen ich sehr einsam war, und da habe ich mich zurückgelehnt und gedacht: wolltest du das? Es kostet so viel Kraft, immer weiter zu machen, es immer besser zu machen, nichts anderes zu machen. Aber es läuft immer auf dasselbe hinaus: Ich würde nichts lieber tun, nirgendwo lieber sein als hier, mit mir.

SZ: Das war ja alles auch mal anders bei Ihnen. Früher sind Sie live aufgetreten, zusammen mit der Familien-Band Clannad. Da gab es Stimmung, ein Publikum, ein Feedback. Fehlt Ihnen das denn heute nicht manchmal?

Enya: Nein, gar nicht. Ich habe ja ein enormes Feedback, wenn auch nicht live. Die Leute, die hier in Irland in den Pubs singen und spielen oder sich Bands anhören, sind begeistert von der traditionellen irischen Musik. Das ist ihre Welt. Ich mag diese fröhlichen Volkslieder auch, aber noch mehr mag ich ruhige Musik. Als ich in den achtziger Jahren anfing, meine eigenen Melodien zu komponieren, war das sogar ein ziemliches Risiko. Solche Musik, wie ich sie machte, gab es damals ja gar nicht. Niemand hätte sagen können, daraus wird etwas. Meine Songs waren nie modern oder auch nur zeitgemäß.

SZ: Zur gleichen Zeit wie Sie hat eine andere, fast gleichaltrige Frau Weltkarriere gemacht, nur dass ihr Stilmittel Exhibitionismus war. Heute haben Sie beide fast gleich viele Platten verkauft. Wollten Sie niemals so cool, tough oder sexy sein wie diese Frau - wie Madonna?

Enya: Ich habe in den achtziger Jahren lieber ,The Police' gehört.

SZ: Hatten Sie damals nicht auch mal grüne Haare? Oder rote, gestreifte? Oder vielleicht zu kurze Röcke?

Enya: Nein, meine Haare waren immer schwarz. Ich bin nicht der Typ, der so herumexperimentiert. Ich habe nur einmal eine große Veränderung vorgenommen, mit achtzehn. Da habe ich mir die langen Haare abgeschnitten, die ich meine ganze Kindheit hindurch hatte. Und das war's für mich mit langen Haaren.

SZ: Sie müssen als Kind wie eine schwarzhaarige Prinzessin ausgesehen haben. So wie die Prinzessin Enya, nach der Sie benannt worden sind?

Enya: Leider weiß man nicht, wie sie ausgesehen hat. Man kennt nur ihre Geschichte.

SZ: Und wie geht die?

Enya: Sie ist tragisch. Falls sie je heiraten sollte, wurde der Prinzessin prophezeit, so würde ihr Mann ihren Vater umbringen. Der König verfrachtete seine Tochter daraufhin auf eine einsame Insel, wo es keine Männer gab. Aber eines Tages kenterte ein Boot vor der Insel, und einer der Schiffbrüchigen wurde, an ein Wrackteil geklammert, auf die Insel gespült.

SZ: Und zufällig war er jung, ledig und gut aussehend.

Enya: Jedenfalls heiratete sie ihn. Und ihr Vater war sogar einverstanden, weil sie sich unter so ungewöhnlichen Bedingungen kennen gelernt hatten und die Prophezeiung so etwas nicht gemeint haben konnte.

SZ: Ist doch eine nette kleine Geschichte!

Enya: Ja, wenn das Ende nicht wäre. Denn natürlich bringt der Bräutigam den Vater dann doch noch um. Es passiert, glaube ich, beim Jagen, oder war es in irgendeinem Krieg? Jedenfalls erschießt der Ehemann seinen Schwiegervater aus Versehen. In Irland sind viele Menschen nach solchen mythologischen Figuren benannt, deren Geschichten mitunter ganz schön dramatisch enden. Die Iren lieben nun mal Geschichten, die sie durchschütteln, das Geschichtenerzählen ist eine große Sache hier.

SZ: Aber Sie wollen mir jetzt nicht weismachen, dass der Enya-Mythos Sie bisher vom Heiraten abgebracht hat.

Enya: Nein. Mein Großvater hat damals meiner Mutter meinen Namen vorgeschlagen, er kannte das Märchen, wusste aber gar nicht so genau, wie es ausging. Roma hat das später dann herausgefunden.

SZ: Das Ehepaar Nick und Roma Ryan steht Ihnen sehr nahe. Nick ist Ihr Produzent, Roma schreibt Ihre Texte. Wie kommt es eigentlich, dass jemand wie Sie nicht eigene Texte schreibt?

Enya: Es hat so angefangen, und so ist es immer geblieben. Als wir die erste Platte machten, habe ich Melodien komponiert und dabei nur an instrumentale Musik gedacht. Ich wusste damals gar nicht, dass ich richtige, geschlossene Songs schreiben sollte.

SZ: Aber wer sagte Ihnen denn, dass Sie geschlossene Songs schreiben sollten?

Enya: Nicky Ryan. Nicky war damals der Toningenieur von 'Clannad', derjenige, der mein Talent erkannte. Wir haben die Band gemeinsam verlassen.

SZ: Und vorher gab es Streit, oder?

Enya: Ja, Nicky und die Band hatten unterschiedliche musikalische Vorstellungen.

SZ: Die Band mochte seinen Hang zum Elegischen nicht, heißt es. War es nicht schwer, die Clannad-Familie in Feindschaft zu verlassen?

Enya: Nein, die Band ließ mir ja keine andere Wahl. Ich war Backgroundsängerin, eine von vielen, nur ein weiteres, unwichtiges Mitglied. Niemand dort hat sich für meine anderen Fähigkeiten interessiert, ich durfte auch keine Stücke schreiben. Da kam Nicky und hatte gleich eine Vorstellung davon, was wir zusammen machen könnten.

SZ: Und mit Ihnen hat er dann endlich seinen Hang zum Elegischen ausleben können.

Enya: Nun, der Sound, mit dem wir seit Jahren so erfolgreich sind, war tatsächlich seine Vision. Und es ist heute noch so, dass er mir sagt, wann ein Song fertig ist. Es war eine seiner ersten Ideen, dass ich alle Stimmen singen sollte, und weil seine Frau gerne dichtete, schrieb sie eben die Texte dazu. Von Anfang an hat sie genau die richtigen Worte für das gefunden, was ich ausdrücken wollte. Heute kennen wir uns viel besser, und Roma weiß so gut, was in mir vorgeht und wie ich bin, dass ich gar kein Bedürfnis mehr habe, eigene Texte zu schreiben.

SZ: Klingt sehr symbiotisch. Sind Nicky und Roma für Sie eine Art Familienersatz?

Enya: Nein, sie sind meine Geschäftpartner und meine besten Freunde. Sie wohnen ganz nah bei mir, und es gibt niemanden, mit dem ich mehr Zeit verbringe.

SZ: Und Freunde sind ja die, die man sich selbst aussuchen darf.

Enya: Genau. Das willkommene Gegenstück zur Familie.

© SZ vom 5.11.05 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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