Internetvideo der Woche:Was zuckst du?

Wahnsinn, auf den wir gewartet haben: Ein Mann klebt sich Elektroden ins Gesicht. Dann schaltet er den Strom ein und wird zur Grimassenmaschine. Die vibrierende Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Wer in der umkämpften Aufmerksamkeitsökonomie von YouTube unbedingt auffallen will, dem stehen die in der Avantgarde von Kunst und Theater seit Jahrzehnten erprobten drastischen Darstellungsmittel - Blut, Sperma und Fäkalien - nicht zur Verfügung. Denn Videos mit solch aufgesetzt provokanten Inhalten werden von den Usern sofort geflagt, das heißt an den YouTube-Hausmeister gepetzt, der sie dann vom Netz nimmt.

Man muss vielmehr originelle Filme drehen, die innerhalb der vom familientauglichen Konsens gebildeten Grenzen liegen und den müden Augen vor den Bildschirmen trotzdem neue Impulse liefern. Die Eskalation sollte wie in den Clips des Japaners Daito Manabe aus der Tiefe kommen, Forscherlust, die ihren konsequenten Weg geht, Wahnsinn, der einfach raus muss.

Menschlicher Equalizer

Der 32-jährige Tokioter widmet seinen YouTube-Kanal diversen Experimenten an der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Für "electric stimulus to face -test3", seinen populärsten Clip, hat er sich Elektroden ins Gesicht geklebt, die mit schwachen, nicht schmerzhaften Stromstößen Muskelbewegungen auslösen. Manabe bedient den Computer und atmet noch einmal tief durch. Dann läuft der von ihm selbst komponierte Song ab, und das Impuls-Programm macht sein Gesicht zum Display einer fremden Kraft.

Zuerst zucken die Augenlider im Takt, dann virbriert das Gesicht wie eine Lautsprechermembran. Manabe scheint selbst überrascht vom digitalen Puppenspiel, das nun sein Gesicht beherrscht. Auf natürliche Weise wäre diese Gesichtsakrobatik wohl nicht möglich.

Die Elektroimpulse sorgen für Grimassen, die man von Menschen nicht kennt, so leicht wird unsere Wahrnehmung irritiert: Mit Hilfe von acht Elektroden tanzt sein Gesicht einen roboterhaften Breakdance und wird zum grafischen Equalizer. Doch unter der elektronisch aufgesetzen Mimik blitzt zwischenzeitlich die menschliche auf. Daito Manabe staunt und lächelt über das, was mit ihm geschieht.

Sicherlich kokettiert Manabe trotz der unschuldigen tanzmusikalischen Oberfläche mit dunkleren Assoziationen. Denn man kann diese Bilder nicht betrachten, ohne an die schreckliche Geschichte der Menschen- und Tierversuche zu denken.

Spätestens mit den Folterszenen in Kafkas "Strafkolonie" oder Burgess' "Clockwork Orange" ist der maschinelle Zugriff auf Körper und Gehirn zum Sinnbild für die erzwungene Veräußerung des eigenen Willens in totalitären Regimen geworden. Doch die Maschinisierung des Körpers hat auch positive Aspekte: Ohne die Herzschrittmacher- und Intensivmedizin wäre die Lebenserwartung heute geringer.

In diesem Spannungsfeld bewegt sich Manabe, wenn er für Unterhaltungszwecke zum Maschinenmenschen mutiert und sein stärkstes Ausdrucksmittel zur Anzeigetafel macht. Das Gesicht, das mit einer luxuriösen Vielzahl von Nerven und Muskeln alle Stimmungen wiedergeben kann, steht wie kein anderer Körperteil für die menschliche Individualität. Wird die Mimik fremdgesteuert, wird der Mensch zur Marionette und der Spiegel seines Selbst zur Maske.

Im Clip "myoelectric sensor" geht Manabe den umgekehrten Weg. Nicht Elektrogeräusche steuern den Körper, sondern die Bewegungen erzeugen Geräusche. Der Künstler verwandelt sich in einen musizierenden Automatenmenschen, einen Androiden, dessen Körper Signale an Sensoren in den Armbeugen abgibt.

Körper als Gerümpel

Mit solchen myolektrischen Impulsen aus Muskelkontraktionen werden sonst Prothesen gesteuert, hier wird jede Zuckung zum Sound, jedes Körperkrümmen zu kreischendem Schmerz. Mit seinen zerhackten Bewegungen erinnert Manabe retrofuturistisch an eine Figur aus Fritz Langs "Metropolis" oder an den Gießkannenmann im "Wizard of Oz".

Doch, auch das zeigt der Clip, vor der Performance steht die mühsame Verwandlung, das Sich-Umbauen, das Druckstellen an den Armen zurücklassen wird, und das Kaschieren der Verwandlung mit Mantel und Mütze. In seinem Labor handhabt Manabe seinen Körper wie das andere Gerümpel, das hier herumsteht, als Material, als ein Ding, von dem er jetzt noch nicht weiß, was er irgendwann damit anstellen wird.

Daito Manabe ist ein Pantomime, der nicht mehr die Körpersprache zwischenmenschlicher Kommunikation untersucht, sondern die Zukunft des Körpers zum Thema macht. Er ist der Samy Molcho des 21. Jahrhunderts.

Ein Dankeschön für dieses Fundstück an Paul Kleber und Samuel Schrott.

"Das Leben der Anderen" zu Gast in Hamburg: Am Donnerstag, dem 13. November 2008, um 20 Uhr präsentiert Christian Kortmann die besten Internetvideos und Kolumnen im Hamburger Literaturhaus (Schwanenwik 38).

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