Internetvideo der Woche:Wann lassen sie endlich die Sau raus?

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Neue "Muppet Show"-Episoden im Netz: Beaker "miept" Beethoven, Statler & Waldorf beschimpfen das Internet, und alles wartet auf Miss Piggy.

Christian Kortmann

Nur fünf Jahre und 120 Episoden lang wurde die "Muppet Show" fürs Fernsehen produziert. 1981 war Schluss, doch die Erinnerung an Figuren wie Fozzie-Bär, den Hundepianisten Rowlf oder den dänischen Koch, damals schon eine Parodie auf die heute erst recht unerträgliche Kochshowinflation, ist sehr lebendig. Jetzt stehen die Muppets plötzlich wieder auf der Bühne, und zwar auf der internationalsten, die es momentan gibt: So virtuos wie früher die Puppen mit Gaststars wie Harry Belafonte oder Diana Ross agierten, liefern sie ihre Nummern nun bei YouTube ab.

Alterslose Superstars: Kermit der Frosch und Miss Piggy im Jahre 1999 bei der Premiere des Films "Muppets From Space". (Foto: Foto: Reuters)

Wie sie dort gelandet sind, das kann oder will beim Muppet-Rechteinhaber Walt Disney niemand sagen. Die Clips wirken jedenfalls zu professionell, als dass es sich um Produktionen aus den Heimstudios von Fans handeln könnte. Ist dies vielleicht der Beginn einer Netzinvasion durch die nächste Generation der Muppets?

Gonzo der Große etwa dirigiert seine dressierten Hühner in den geteilten Fenstern des Siebziger-Jahre-Retro-Splitscreens durch den Klassiker "An der schönen blauen Donau". Solistin seines "Pitch Perfect Poultry" (Geflügel mit absolutem Gehör) ist die anbetungswürdige Camilla. Doch trotz künstlerischer Klasse und maximalem Einsatz muss sich das Orchester am Ende das Urteil von Statler & Waldorf, den beiden chronisch grantelnden Abonnenten, gefallen lassen: "Wie viele Hits hatte dieser Clip?" - "Leider nicht genug, um ihn umzubringen."

Blogger avant la lettre

Mindestens eins haben diese Puppen den Menschen voraus: Sie sehen nicht nur immer noch genau so aus wie früher, auch ihre Charaktere trotzen der Zeit wie mächtige Felsen im rauschenden Wildbach. Statler & Waldorf haben ihre angestammte Loge verlassen und sich dem FC-Bayern-Manager Uli Hoeneß gleich auf ihre alten Tage einen Computer zugelegt. Nun surfen sie vor einer Bücherwand eifrig im Netz.

Ihre Nasen beulen sich groß in die Kamera, als fixierten sie uns durch den Monitor, um einiges, was wir falsch verstanden haben, richtigzustellen: Die im Internet gebräuchliche Abkürzung "lol" heißt doch nicht etwa "laughing out loud"? Nein, "lose our lunch" wäre treffender. Und dann lachen sie ihr vertrautes unwohlmeinend-heiseres Lachen.

Im Clip "Meh" erkennen Statler & Waldorf, dass sie im Internet genau am richtigen Ort sind, weil Kommentatoren und Blogger im Netz ja auch nichts anderes machten als sie selbst, nämlich auf dem Balkon zu sitzen, und zu allem und jedem sofort so sarkastische wie unproduktive Meinungen abzusondern.

Auch Piepsstimme Beaker, im Hauptberuf Assistent von Prof. Dr. Honigtau Bunsenbrenner, ist zurück, um Beethovens "Ode an die Freude" zu summen. Das ist bis in die Details liebevoll umgesetzt, man achte darauf, wie Beakers Knollennase beim Trinken aus dem Wasserglas eingedellt wird. Beaker musiziert so intensiv, dass die Hardware den Geist aufgibt. Da zerspringt ein Glas ob der unerhörten Frequenzen, und die Geigensaiten qualmen. Es endet im Zusammenbruch der Show und der digitalen Apokalypse.

In "Ode To Joy" wird die kulturgeschichtliche Verwandtschaft von "Muppet Show" und YouTube besonders deutlich. Denn der musizierende Beaker erinnert in seinem Forscher-Kittel an Internetvideo-Figuren wie die Cola-Mentos-Fontänen-Wissenschaftler oder an die Ein-Mann-Kapelle Lasse "Amateur" Gjertsen.

YouTube ist als Bühne für die überdrehten Muppet-Figuren wie geschaffen, weil Jim Henson mit seiner "Muppet Show" vor Jahrzehnten Pionierarbeit für familientaugliche und gleichzeitig subversive Unterhaltung geleistet hat. Die parodistische Nummernrevue "Muppet Show" hat die heutige Clip-Kultur mit erschaffen, auch wenn sich in einem weiteren Clip Sam, der patriotische Adler, dem "World Wide Web" gegenüber skeptisch zeigt und die Videos nur im "amerikanischen Bereich" ausstrahlen möchte.

Puppentheater für Erwachsene ist ein Genre voller Potential, das auch mangels eines Genies wie Jim Henson viel zu lange brachlag: Deshalb findet nun wohl zum ersten Mal eine Generation traditioneller Fernsehzuschauer Gefallen an der Fortsetzung einer TV-Serie im Netz. In diesen Tagen schicken sich Menschen Links zu Videos hin und her, für die der sonstige Internetquatsch vielleicht ganz nett, aber nur The Great Gonzo und seine Classical Chicken der wahre Stoff sind.

Es gäbe noch sehr viele Möglichkeiten für Muppet-Figuren, sich in Internetvideos auszutoben: Klavier-Schlappohr Rowlf könnte aktuelle Popsongs covern, die Schweine im Weltall haben einige "Star Wars"- und "Star Trek"-Folgen aufzuarbeiten, und der dänische Koch sollte endlich mal bei Johannes B. Kerner "Smörebröd, Smörebröd, römmpömmpömmpömm ..." in die Töpfe werfen. Zudem gibt es bis jetzt noch keine neuen Clips der beiden Topstars der "Muppet Show": Das Netz wartet auf die Ankunft von König Kermit und seiner schweinischen Herzensdame.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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