Internetvideo der Woche:Ganz dreckige Nummer

Lesezeit: 3 min

"Sie sind so hässlich, Sie könnten ein modernes Kunstwerk sein!" Wenn Psychopathen bei Microsoft und der Bundeswehr anrufen: Die besten Telefonstreiche in der Clip-Kritik.

C. Kortmann

Es waren die größten Momente eines jeden Kindergeburtstages bis in die Teenagerzeit hinein: Durch die geschickte Ablenkung der Aufsichtsperson erschlich man sich freien Zugang zum Telefon, um superlustige Streiche durchzuführen. Wir riefen etwa bei den Eltern eines Mitschülers an und gaben uns als Baubehörde aus (was mit Prä-Stimmbruch-Stimme sehr überzeugend war), die plante, einen Strommasten im Vorgarten zu errichten.

Die Krönung allen Quatschtelefonierens bestand im Wählen der Nummer von Frau Fick (man staunt dann doch, wie viele Ficks es gibt). Nur wenige Sekunden konnte man sich beherrschen, bevor der wilde Haufen in Lachen ausbrach, und die akustische Kostümierung aufflog.

Die Attraktivität von Telefonstreichen liegt in der kinderleichten Herstellbarkeit: Mit einer Idee, einem Telefon und der Nummer des Klassenlehrers sind ein paar Minuten Spaß garantiert. Durch den Kniff, sich als jemand anderes auszugeben, lassen sich wirkungsvolle satirische Effekte erzielen, wie jüngst Andrea Ypsilanti erfuhr, als "Franz Müntefering" bei ihr anrief. Neben dem Imitieren einer Stimme ist das Unterdrücken des eigenen Lachens die größte handwerkliche Hürde. Beides spart man sich, indem man mittels Soundboard andere für sich reden lässt.

Ein Soundboard ist ein Computerprogramm, mit dem die Stimmen von Prominenten oder Filmfiguren in Einzelteile zerlegt werden, so dass sie der User neu zusammensetzen und mit fremder Zunge "sprechen" kann. Das populärste und größte Soundboard im Netz ist das von Jack Nicholson, dem Schauspieler mit der aufregend abgeklärten Stimme.

Es enthält 11.000 Schnipsel aus Nicholsons langer Karriere und ist damit in allen Tonlagen flexibel. Wie eine Marionette führt der Benutzer die fremden Worte in Situationen, für die sie nie bestimmt waren.

Standardisierte Gespräche können am Soundboard vorbereitet werden; man weiß, welche Worte man brauchen wird. "Pfannkuchen und zwei Würstchen" möchte die deutsche Synchronstimme von Jack Nicholson aus dem Film "About Schmidt" beim Pizza-Bringdienst bestellen. Nur weil das Falsche auf der Karte steht, kommt es zur überraschenden Eskalation. "Sie haben mir den ganzen Tag versaut, ich habe noch nichts gegessen!" Doch trotz schlechter Laune hat Schmidt verblüffende Einsichten: "Um die Ecke ist eine Bäckerei, und das Gute daran ist: Sie macht gleich auf." Wenn der Anrufer nicht lacht, endet ein Telefonstreich mit dem Auflegen des Angerufenen.

In einem der populärsten Telefonstreich-Clips ruft ein Filmbösewicht, der berühmt dafür ist, auf Widerspruch mit einem telekinetischen Würgegriff zu reagieren, bei der Kunden-Hotline von Microsoft an: Darth Vader erkundigt sich, was mit den Plänen passiert ist, die er geschickt habe. Auf Nachfrage stellt er die selbe Frage erneut mit gleicher Betonung, was äußerste Entschlossenheit vermittelt. Als er seinen Namen nennen soll, hört man nur asthmatisch-metallisches Keuchen. Dann spricht er den Hotline-Mitarbeiter unvermittelt als "my master" an.

Der besondere Witz von Soundboards besteht in dieser schematischen Härte, darin, dass die Sätze semantisch nicht genau passen, jedoch so entschieden vorgetragen werden, dass an der Ernsthaftigkeit des Anrufers nicht gezweifelt werden kann. Er liegt mit seinen Meinungen zwar neben der Spur, aber zweifellos meint er das, was er sagt. Wer Darth Vader nicht versteht, bekommt zu hören: "Ihr fehlender Glaube stört mich." "Sorry, Sir." "Entschuldigung akzeptiert." Schließlich konfrontiert Vader den Microsoft-Mitarbeiter mit der Offenbarung, dass er sein Vater sei. Doch die Hotline bleibt ihrem Schema treu, ein menschliches Soundboard: "Hm, okay, Sir."

Besonders eindrucksvoll prallen filmischer Wahnsinn und Realität aufeinander, als der cholerische Gunnery Sergeant Hartman aus Stanley Kubricks Kriegsfilm "Full Metal Jacket" in einer Bundeswehrkaserne anruft (wie der Nicholson-Streich ursprünglich eine Aktion des Berliner Radiosenders RTL 104,6). In der gesampelten Szene staucht er verängstigt schweigende Rekruten zusammen. Nun schlagen seine Kommandos in den höheren Rängen ein und erfahren ein Echo. Wer lässt sich schon gerne am Telefon von einem Fremden sagen: "Sie sind so hässlich, Sie könnten glatt ein modernes Kunstwerk sein!"

Hartmans leicht gereizter Anruf in einer gemächliche Friedenszeiten gewöhnten Bundeswehrkaserne lockt den Telefondienst habenden Oberfeldwebel rasch aus der Reserve: "Das 'Saftsack' lassen wir mal. Sie reden mich nicht mit 'ner 'Made' an!" Als Hartman darauf repliziert: "Wen haben wir denn hier, einen verkannten Komiker?", eskaliert der Dialog zu einem von beiden Parteien mit gleich lauter Aggression geführten Dominanzwettstreit. Doch gegen die längst präparierten und deshalb verblüffend geschliffenen Soundboard-Repliken hat der Angerufene keine Chance.

Wen nun stimmliche Imperatorstimmung oder Telefonstreichlaune packt: Im Netz finden sich hübsche Dittsche- und Borat-Soundboards. Aus den Reaktionen der Angerufenen lassen sich übrigens neue Soundboards anfertigen, mit denen dann wieder telefoniert werden kann ... Kommunikation ist immer eine Kette der Verwirrung.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

© sueddeutsche.de/rus - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: