Internetvideo der Woche:Comeback der Dauerwelle

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Könnt ihr mal ein Stück perücken? Matt Harding tanzt sich wieder um die Welt und ist vor lauter Fans kaum noch zu sehen. Die erste Blockbuster-Fortsetzung des YouTube-Zeitalters in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Es erinnert an die Wiedersehens-Party eines alten Bekannten, der lange auf Reisen war und jetzt zurück in der Stadt ist: Matt Harding hat ein neues Video hochgeladen, und ziemlich viele Menschen (in den ersten drei Wochen mehr als sieben Millionen) wollen es sehen. "Where the hell is Matt?", fragt Harding seit fünf Jahren, um die Frage in mittlerweile drei Videoclips zu beantworten, in denen er einen eigenartigen Stepptanz auf der Stelle aufführt und dabei doch weit rumkommt. Denn er tanzt stets vor dem Hintergund weltbekannter Sehenswürdigkeiten oder an entlegenen Orten.

Matt Harding hat die wohl erste Premium-Marke bei YouTube erschaffen, die Fortsetzungen seines Projektes werden erwartet wie Blockbuster-Sequels im Kino. Er bleibt seinem Konzept treu und wirkt wie ein Tüftler, der von seiner Idee besessen ist, sich eine Zeitlang zurückzieht, um dann mit einem Produkt zurückzukommen, das eine Verbesserung der Vorgängerversion darstellt. Seit ihn 2006 eine Kaugummifirma unter Vertrag nahm, ist das Um-die-Welt-Tanzen der Job des 31-Jährigen aus Connecticut. Kein Zufall, dass er seine Website im Layout von "Indiana Jones" gestaltet hat, erinnert seine Arbeitsweise doch an die der Blockbuster-Pioniere Steven Spielberg und George Lucas zwischen "Der weiße Hai" und "Das Imperium schlägt zurück".

Wie bei Lucas werden auch bei Harding Aufwand und Spezialeffekte immer größer: In "Where the hell is Matt? (2008)" tanzt er etwa im Nasa-Forschungszentrum in Nevada in der Schwerelosigkeit. Nicht weniger erstaunlich sind die Felsformationen des Giant's Causeway in Nordirland. Matts Erfolg ist neben solch gelungenen Bilderfindungen sicherlich auch einer guten Seeding-Strategie, also dem Verteilen des Videos an den wichtigsten Stellen im Netz, zu verdanken: Ein Blockbuster muss eben auf allen Leinwänden gleichzeitig laufen.

So knapp und präzise wie in Matts Filmen wurde die Buntheit der Welt selten dargestellt. Es ist eine naive Sicht, eine Multikulti-Utopie ohne ethnische Konflikte, Migrations- und Umweltprobleme. Die Ausnahmen bestätigen tatsächlich nur die Regel: Der Panamakanal liefert einen Eindruck vom Wahnsinn des Container-Frachtverkehrs; wenn Matt in Koreas entmilitarisierter Zone tanzt, will sich dieser Ort nicht in den United-Colors-of-YouTube-Kosmos einfügen, sondern der Zuschauer vermutet eine Inszenierung.

Matt zeigt die Welt und bietet zugleich eine Möglichkeit zur Weltflucht. Sein Clip steht als zeitgenössische Grand-Tour-Erzählung in Nachfolge der Berichte der jungen Gentlemen, die im 18. Jahrhundert Europa bereisten. Doch die elitäre Bildungsreise nimmt im Filmverlauf den Charakter eines Volksfestes an. Am Anfang tanzt Matt noch alleine, dann setzt der Forrest-Gump-Effekt ein, schließlich hatte Matt seine Fans auf seiner Website aufgefordert, sich mit ihm zum Tanz zu treffen.

Und die weltweite Internet-Fangemeinde ist seinem Ruf gefolgt, sie kommt wie ein Musical-Ensemble in Brisbane, München, Buenos Aires oder am Pier in Los Angeles zusammen. Seine Anhänger stürzen von allen Seiten herbei, und man fragt sich, wann Matt vor lauter Fans nicht mehr zu sehen sein wird. Zwischen Affen, Fischen und Menschen verschwindet der Schöpfer hinter seiner Idee. Matts einfacher Tanz ist ein Basismodul, an das alle Völker ihre traditionellen Tanzstile ornamental anhängen können. So verändert sich der Tanz in einer globalisierten Choreographie.

Sensationell ist deshalb Matts Making-of-Video "Dancing with the Huli Wigmen", in dem er zeigt, wie aufwändig die Herstellung einer einzigen Tanz-Episode ist, die im fertigen Produkt nur wenige Sekunden dauert. Er tanzt mit den Huli in Papua-Neuguinea, die ihre Perücken aus jahrelang gezüchtetem Eigenhaar fertigen. Das Grünzeug am Gürtel heißt im lokalen Dialekt so einfach wie treffend "Arschgras".

Matt will zwar keine Huli-Perücke tragen, stiehlt aber unfreiwillig die Trommel des zweiten Tänzers von links, der daraufhin den Rhythmus einfach auf einem imaginären Instrument schlägt. Im entscheidenden Moment des Steppens auf der Stelle setzt der Regisseur Matt wie ein Schauspieler das lustige Gesicht von Matt, dem Tänzer, auf. Die Szene ist im Kasten, doch seine Partner haben noch nicht genug. Also tanzt Matt noch eine Runde mit ihnen, bis die Federn vom Kopfschmuck fliegen.

In diesem Making-of erkennt man, dass Harding weiß, was er will, und wie er es bekommt. Hier arbeitet ein Internetvideo-Regisseur an seiner wichtigsten Szene und findet Bilder für elementare menschliche Kommunikation.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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