Internetvideo der Video:Volles Wuff gegen die Wand

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Ein schlafwandelnder Hund erwacht extrem unsanft, und Menschen spielen diese Szene nach: der neueste tierische YouTube-Spaß in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Manches Mal schon haben wir, wenn wir am späteren Abend am Kamin saßen, von der Lektüre aufgeblickt, weil der Hund mit den Pfoten am Teppich kratzte. Hunde neigen dazu, das am Tag Erlebte im Traum nicht nur wie wir Menschen verzerrt Revue passieren zu lassen, sondern die spektakulärsten Kaninchen-Jagden und interessantesten Schnüffeleien mit angedeuteten Laufbewegungen zu begleiten. Für den Beobachter wirkt das zunächst sinnlos, so wie Menschen, die am Telefon gestikulieren. Doch das Zucken im Schlaf signalisiert intensives Erleben, zumindest sind wir fest entschlossen, dies zu glauben: Der Hund sieht nicht nur Schlafbilder vor sich ablaufen, er befindet sich noch einmal in der geträumten Situation, verloren im Cyber-Köter-Space.

Besonders tief taucht die Hündin Bizkit ab, zu sehen im Clip "Bizkit the Sleep Walking Dog". Radio- oder Fernsehergeräusche im Hintergrund stören sie nicht. Die physische Wirkung des Traums beginnt mit einem Zucken in den Hinterläufen, dann nimmt Bizkit Fahrt auf, um mit allen vier Beinen langgestreckt immer schneller durch das Dickicht der Wälder zu sprinten, mit der Fährte eines Fuchses in der feuchten Nase, oder über blühende Frühlingswiesen, während die Gräser sie am Bauch kitzeln. Mit ihrer Traumperformance, manchmal bellt sie auch im Schlaf, hat sie es im Netz zu Bekanntheit gebracht.

So lebensecht wird der Traum für Bizkit, dass sie den Bewusstseinssprung aus dem Liegen auf die Beine macht und tatsächlich losläuft. Doch als sie die wunderbare Freiheit des Traums auskosten will, wartet nicht etwa ein kühler Bach auf sie, an dem sie ihren Durst stillen kann, sondern eine harte Wand, die sie aus dem Hunde-Idyll in die Realität einer spartanischen und unaufgeräumten Wohnung zurückwirft.

Uns Menschen bereiten Träume ja ein paar Probleme: Sind sie schlecht, will man sie schnell vergessen. Sind sie schön, ist man traurig, dass man nicht in die Traumwelt zurückkehren kann, oder man erinnert sich gar nicht daran. So bleibt einem nur, den Traum in dem Moment, in dem man ihn träumt, auszukosten - ein Talent, das Bizkit zweifelsfrei gegeben ist. Deshalb ist es kein Wunder, dass Menschen auf die intensiven Träumereien der Hündin neidisch sind. Es war jedoch nicht damit zu rechnen, dass Fans den Clip "Bizkit the Sleep Walking Dog" sogar nachspielen und das Ergebnis ins Netz stellen.

Sie fügen der Kulturtechnik der Cover-Version eine überraschende Variante hinzu: In zahlreichen Videos liegen ausschließlich Männer auf diversen Fußböden in meist ähnlich schmucklosen Räumen - manchmal sind sogar die Steckdosenbestöpselung und die seltsam instabile längliche Holzkiste an der Wand der Originalszenerie nachempfunden - und imitieren den verträumtesten Hund des Netzes.

Schlafende Menschen schlagen zwar gelegentlich um sich oder brabbeln unverständliches Zeug, doch selten sind ihre Traumgesten so eindeutig einer realen Tätigkeit zuordenbar wie die Laufbewegungen des Hundes. Das pantomimisch nachzustellen, ist eine Herausforderung, die der Hauptdarsteller im Clip "Biscuit, the Sleepwalking Geek" bravourös bewältigt.

Mit einer Körperkontrolle, wie man sie sonst nur vom Delphinschwimmen kennt, windet sich der "Schlafwandelnde Streber" auf dem Boden, noch raumgreifender ist die Spannweite seiner Gliedmaßen als die von Bizkit im Original. Als er schließlich irritiert jaulend aufspringt, nimmt er allen Traum-Elan mit, um voller Inbrunst gegen die Wand zu rennen.

Dieser Moment des weniger schmerzvollen denn schreckerfüllten Zusammenpralls mit der Wirklichkeit wird von allen Hunde-Imitatoren leidenschaftlich interpretiert, weil es solch ein starkes Zeichen ist: Hat man je nach einem Bild gesucht, um "unsanftes Erwachen" zu illustrieren, hier hat man es gefunden.

In der Variante "Buzkit the Sleep Walking Man" wird dem Traummotiv ein sehr reines Element von Nacktheit hinzugefügt: Der Schlafwandler scheint aus der embryohaft gekrümmten Position eine Wiedergeburt in eine neue Morgenröte hinein zu erleben. Für ihn ist die Kollision mit der Wand ein notwendiger Schock, weil man in der Realität nur mit hellwachen Sinnen bestehen kann.

Die Leidenschaft, mit der ein träumender Hund gewissermaßen zum Leben erwacht, zeigt, wie intensiv und gleichberechtigt die Schlaf-Realität gegenüber der Wirklichkeit ist. Diesen Glauben teilen manche Naturvölker, nur sind diese weit von uns entfernt. Hunde aber demonstrieren uns diese Philosophie in unmittelbarer Nähe, jeden Abend vorm Kamin oder in ihrem Körbchen. Und doch, das belegt die Nähe zwischen Mensch und Hund in den Bizkit-Coverversionen; und doch weiß man, dass man die gleiche Realität teilt und aus allen Träumen stets neu vor ein und dieselbe Wand rennt.

PS: Wer jetzt denkt, och nö, wie öde, träumende Hunde spiele ich doch selbst jeden Abend nach, für den kommt hier noch eine Portion audiovisuelles LSD: "Bizkit the Sleep Walking GMO" - was genmanipulierte Maiskolben eben so anstellen, wenn man nicht auf sie aufpasst.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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