Internetoffensive:ZDF macht auf YouTube

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Öffentlich-Rechtliches kommt jetzt auch aus dem Netz. Das ZDF stellt in seiner "Mediathek" TV-Produktionen wie die Hitlerpersiflage ein und hofft so Jüngere an den Sender zu binden.

Ingo Salmen

Eine Brille mit schlichtem Metallgestell, blaues Oberhemd, schwarzes Sakko, Geheimratsecken. Der Mann, der dem ZDF den Weg in die digitale Zukunft weisen soll, sieht nicht aus wie ein Vertreter der Internet-Avantgarde. Und was er sagt, klingt zunächst keineswegs visionär. Er wolle die Marken ZDF und heute stärken, es gehe um "Auffindbarkeit" - das ZDF müsse seine "Inhalte dorthin bringen, wo der Nutzer ist".

Sobald Robert Amlung, seit August Leiter der Hauptredaktion Neue Medien des Mainzer Senders, aber konkret wird, klingt es wegweisend für die Vereinigung von öffentlich-rechtlichem Fernsehen und Internet: Amlung will die Kontrolle über die Urheberrechte fürs ZDF-Programm in begrenztem Maße aufgeben und jedem Zuschauer die weit gehend freie Verwertung von online verfügbaren Videos gestatten. Das wäre eine kleine Revolution.

Ungeliebte Juristen stören das Vorhaben

Vorbild ist die britische BBC, die als Teil ihrer Digitalisierungsstrategie unter Senderchef Mark Thompson derzeit ein "Creative Archive" aufbaut. Dazu bedient sie sich so genannter Creative-Commons-Lizenzen, einer Erfindung des Stanford-Juristen Lawrence Lessig im Geiste frei verfügbarer Software ("Open Source").

BBC-Zuschauer können Beiträge aus dem Archiv auf den eigenen Computer herunterladen und in ihre eigene Homepage oder ihr Weblog einbetten - in voller Länge oder nach Belieben zerschnippelt und neu montiert. Bedingung ist lediglich, dass auch in der neuen Version die BBC als Urheberin erkennbar bleibt, die Nutzung nicht kommerziell ist und keine Kampagnenzwecken verfolgt werden.

So etwas hat auch der neue Chef von ZDF-Online im Sinn. "Der mündige Bürger soll Inhalte, für die er schon bezahlt hat, auch weiterverwenden dürfen", sagt Amlung. Er will Portale wie YouTube "für das ZDF nutzbar machen". Erhoffter Effekt: Die Beiträge sollen durchs Internet wandern und so neue Zuschauer, vor allem jüngere, zum Mainzer Fernsehsender locken.

Freilich kommen die meisten Videos für die Weitergabe bislang nicht in Frage: Sie sind fremdproduziert, das ZDF besitzt dafür keine Rechte. Den Anfang könnten daher eigene Sendungen wie heute machen - doch selbst dort ist die Lage vertrackt: Auch die Nachrichten setzen so genannte "Klammerteile" ein, etwa Agenturmaterial.

"Rechtlich schwierig" sei das alles, sagt Amlung. Er sitzt in seinem Büro im dritten Stock des Redaktionsgebäudes auf dem Lerchenberg. Wenn er so erzählt, muss er immer wieder über "die Juristen" reden. Dann windet er seinen Kopf hin und her.

Die passende Plattform für Amlungs Pläne ist schon vorhanden: Es ist die ZDF-Mediathek (www.mediathek.zdf.de), ein Portal mit Videostream, Bilderserien und Flash-Animationen, das im Sommer mit dem Deutschen Multimedia Award ausgezeichnet wurde. Derzeit umfasst sie rund 50.000 Ausschnitte aus dem ZDF-Programm, vom Promi-Interview hinter den Kulissen der Show "Wetten, dass...?" bis zur letzten Sendung von "Berlin Mitte".

Jeden Monat werden die Videos rund 4,4 Millionen Mal abgerufen. Online-Dauerbrenner ist die Telenovela Julia - Wege zum Glück, von der sämtliche Folgen, bislang weit über 200, verfügbar sind. Rund 730.000 Mal breiten sich Monat für Monat Seelenschmerz und Liebesträume auch übers Internet aus.

Aber nicht nur dort: Dank eigentlich illegaler Downloads war der Ausschnitt bei YouTube und anderswo zu sehen. ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender sieht einen "Zirkel": Er prangert nicht den Diebstahl an, sondern jubiliert über den Online-Erfolg, der - alle Portale zusammengenommen - die Einschaltquote im Fernsehen (810.000 Zuschauer) übertrifft.

Bald soll sich die Mediathek ganz offiziell zum Download-Portal weiterentwickeln. Mittelfristig strebt Amlung ein möglichst komplettes, frei zugängliches Sieben-Tage-Archiv an. Und dann?

Geburt der Mediathek

ZDF-Intendant Markus Schächter hatte ein kostenpflichtiges Herunterladen ("Download") von älteren Sendungen, zum Beispiel Dokumentationen, ins Gespräch gebracht - der Kulturkanal Arte bietet das in Frankreich für ein paar Euro pro Sendung an. Bis zu 30 Tage hat der Zuschauer Zugriff auf die Datei.

Vorerst steht allerdings erst einmal die Aufnahme von Dokumentationen in die Mediathek oben auf der Liste. Spielfilme dagegen haben nicht oberste Priorität - anders als bei Pro Sieben Sat1 mit seinem Portal Maxdome und dem ehemaligen ZDF-Partner Telekom mit T-Online Vision. Amlung: "Wir wollen nicht den Videotheken Konkurrenz machen."

Dass ein Fernsehsender auch im Internet auf bewegte Bilder setzen muss, hat Amlung, 41, früh erkannt. Vor zehn Jahren - wer ein Modem hatte, war damals ein König - entwickelte er in der ARD den ersten Online-Auftritt der Tagesschau, der bereits eine Videokomponente vorsah. Zur Dotcom-Euphorie der Jahrtausendwende, während die ganze Welt Luftschlösser baute, erlebte der Diplom-Journalist seine "journalistisch spannendste Zeit" - als Nachrichtenchef bei Arte.

2001 kamen die ersten Breitband-Verbindungen auf. Als viele noch den Schutt ihrer Träume zusammenkehrten, sah Amlung die Chance, seine Wünsche wahr werden zu lassen und heuerte in der Neue-Medien-Redaktion des ZDF an, zunächst als zweiter Chef: Die Mediathek, seine Idee, war geboren.

Die zweite Chance: Die neuen Möglichkeiten sind längst eine Herausforderung für Juristen. Schon jetzt lässt sich die ZDF-Mediathek auf dem Fernseher, dem Computer und dem Mobiltelefon nutzen - nach dem Rundfunkstaatsvertrag dürfen die Öffentlich-Rechtlichen nur "programmbegleitend" im Internet tätig werden. Die Sender selbst haben sich verpflichtet, ihre Online-Ausgaben auf 0,75 Prozent des Budgets zu beschränken.

Daran halte sich das ZDF natürlich, versichert Amlung, die Mediathek in ihrer derzeitigen Form sei "eindeutig programmbegleitend". Er sagt jedoch auch: "Natürlich entsteht etwas von neuer Qualität, aber das ist unvermeidlich." Integrierte Redaktionen werden dereinst die Inhalte für alle Verbreitungswege liefern. "Wir sehen ganz klar das Abruffernsehen als Teil des Fernsehens", sagt Amlung, "und dazu brauchen wir das Internet."

© SZ vom 17.10.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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