Internetaktion zum Weltwissen:Ich frag' ja nur

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Das Internet-Forum "Dropping Knowledge" verspricht Aktivität statt Apathie und 11.200 weltbewegende Antworten.

Christoph Kappes

Es gibt keine dummen Fragen. Auch das Internet lässt seine Nutzer in diesem Glauben: Was immer sie anfragen, sie werden mit Suchergebnissen überschüttet. Nur bedeutet Quantität eben nicht Qualität und nicht jede Frage - ob gut oder schlecht - erhält die Antwort, die sie verdient. Es sei daher an der Zeit, den wirklich wichtigen Fragen eine neue Plattform zu geben, befand der Werbeunternehmer Ralf Schmerberg und gründete vor drei Jahren den Verein "Dropping Knowledge". Seither schreiben Menschen auf www.droppingkonwledge.org nieder, was sie für fragwürdig halten. Für den 9.September sind 112 Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler nach Berlin eingeladen, damit sie auf eine Auswahl von 100 Fragen Antworten geben. Motto der ganzen Aktion: "Aktivität statt Apathie".

Seit die letzte Utopie ausgeträumt, das gesellschaftspolitische Interesse aber wieder erwacht ist, grassiert die Fragerei. Ob von Plakaten oder aus Popsongs, es springen einen Fragezeichen an, mal humanistisch, mal aufmüpfig. "In was für einer Gesellschaft wollen wir leben?" fragte im Frühjahr die "Aktion Mensch" und setzte ihr 2002 gestartetes "1000-Fragen''-Projekt fort. Die diesjährige Plakataktion brachte es in zwei Monaten auf einen Bekanntheitsgrad von 20 Prozent. Populär ist auch die Wer-Wie-Was-Warum-Rebellion: "Ist das so?", meldete sich die Band Wir sind Helden in ihrem ersten Song zu Wort. Wie es ist, verraten die Helden freilich nicht, nur dass es anders ist, als es scheint. Zeigefingerfragen könnte man das nennen. Weniger böswillig: offenes Engagement.

Wer schnelle Antworten parat hat, liegt meist falsch, war schon Sokrates überzeugt. Er hakte so lange nach, bis er seine Gesprächspartner zu besserer Einsicht brachte. Dem antiken Philosophen ging es ums große Ganze: Was ist gut? Was ist böse? Wie muss sich der Mensch idealiter verhalten? Ähnlich fundamental geht es auf droppingknowledge.org zu. "Macht uns die Existenz a priori schuldig?", rätselt ein 26-jähriger Anonymus aus Erfurt. "Was kann ich persönlich tun, um der Welt zu helfen?", will die 39-jährige Leisa aus Sardinien wissen. "Brauchen wir Religion?", fragt sich der 40-jährige Nils aus Köln.

Inszeniertes Gutmenschentum

Sokrates wandte sich an jene, die in Athen als Wissende galten, an Priester, Dichter, Pädagogen oder Staatsmänner. Zu den von Dropping Knowledge um Antwort Gebetenen zählen ebenfalls viele, die im Ruf stehen, Antworten geben zu können: Avi Primor, Hafsat Abiola, Wim Wenders, Roland Berger, Eliot Weinberger, Jonathan Meese oder Hans Peter Dürr etwa. Ein Dialog wird bei 112 Befragten allerdings kaum zustande kommen.

Sokrates war sich einer Wahrheit gewiss, die der Fragende im Gespräch gleich einer Hebamme ans Licht der Welt zu bringen habe. Das war vor dem proklamierten Tod Gottes und der Dekonstruktion. Wer heute fragt, ist sich seiner Sache nicht so sicher. So kommt es, dass sich die Fragen verselbstständigen, Antworten nachrangig werden können. Der ästhetische wie technische Aufwand auf droppingknowledge.org ist immens. Ein Werber würde von ausgezeichneter Verkaufe sprechen. Dass manche der Fragen naiv und nicht sehr weit gedacht sind, fällt weniger ins Gewicht, wenn sie, wie hier, mit schicken Videoclips unterlegt sind. Nahezu minütlich wird die Top-Ten-Liste der Fragen aktualisiert. Professionell inszeniertes und unterhaltsames Gutmenschentum, das ja nur fragt, nichts behauptet.

Den vorläufigen Höhepunkt von Dropping Knowledge liefert der runde Tisch am 9. September. Die 112 Geladenen werden die 100 Fragen jeder für sich vor einer Kamera und einem Mikrofon beantworten. Das verspricht am Ende mehr als 700 Stunden Videomaterial. Noch am selben Tag sollen mit Unterstützung des Saarbrücker Forschungsinstituts für künstliche Intelligenz die 11200 Antworten im Netz zu einer "Living Library" zusammengestellt werden. Dank finanzieller Unterstützung von Unternehmen wie Allianz oder Volkswagen werden die Antworten frei zugänglich sein. "Copyleft" ist die griffige Formel dafür. Im Internet soll die Diskussion fortgesetzt werden.

Sie fände auch dort keinen Abschluss, ginge es nach Sokrates. Alle seine Dialoge enden mit der Feststellung, dass die aufgeworfenen Probleme noch nicht abschließend erörtert seien und alle Antworten noch einer weiteren Prüfung bedürften. Heute würde man sagen: The show must go on. Denn es gibt keine dummen Fragen, nur schlecht verpackte.

© SZ vom 30.08.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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