Internationale Beispiele:Ekelfernsehen in der ganzen Welt erfolgreich

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Lebende Würmer, glitschige Kuhaugen, trinkende japanische Mädchen - Sendungen, in denen Menschen ihre Grenzen testen und freiwillig eklige Dinge tun, erzielen rund um den Globus Rekordquoten. Vier Beispiele von SZ-Korrespondenten.

1. Japan: Phallisch

Jahr für Jahr wird das Niveau kräftig weiter gesenkt. Für "Variety"-Fernsehshows in Japan ist kein Scherz tabu - egal wie sexistisch, rassistisch oder geschmacklos er in anderen Kulturen erschiene. Der Schwarzafrikaner Ousmane Sankhoun kann ein Lied davon singen: Der ehemalige Diplomat hat sich in Japan als "tarento", als ausländisches TV-Talent mit regelmäßigen Auftritten in Fernsehshows, eine zweite Karriere aufgebaut. Einmal ging der Moderator plötzlich der Frage nach, ob "Schwarze auch ins Sonnenstudio gehen".

Sankhoun musste sich ausziehen, bekam herzförmige Aufkleber auf den Körper geklebt und wurde eine Stunde lang auf die Sonnenbank gelegt. "Dann zogen sie die Aufkleber ab und riefen "Oh, Schwarze werden auch braun", erinnert er sich. "Ehrlich gesagt, finde ich sowas ziemlich bescheuert", sagte er kürzlich der Japan Times.

In solchen Shows werden Frauen herumgeworfen, bis die Kamera dem Publikum einen Blick unter den Rock erlaubt; Männer lassen die Hosen herunter. Und der unbestrittene Star dieser Unterhaltungssparte, Beat Takeshi, schnallt sich schon mal ein Phallus-Symbol vor den Hosenlatz.

Angeschlagene Geschäftsleute werden nachts auf dem Bahnhof abgepasst und mit seltsamen Spielfragen konfrontiert. Die Japaner scheinen es lustig zu finden - das suggerieren jedenfalls die Einschaltquoten. Nur die Reality-Show Nippons Töchter saufen um die Wette musste abgesetzt werden, nachdem die Damen mit Alkoholvergiftungen ins Hospital gebracht wurden.

Japanischer Humor - kein Exportschlager

In anderen Ländern Asiens kommt diese Form von Humor nur bedingt an. So wurde kürzlich in Japan die Frage diskutiert, ob diese nächtlichen Tiefschläge auf der Mattscheibe für einen Fauxpas japanischer Studenten in China verantwortlich zu machen sind.

Die Austauschstudenten an der Universität von Xian in Westchina hatten sich für eine Theateraufführung Brust- und Genitalattrappen umgeschnallt und wollten sich am Ende der Show umdrehen - und dem chinesischen Publikum den Schriftzug "Japan liebt China" auf ihren Rücken zeigen. Soweit kam es nicht mehr. Die Chinesen unterbrachen die Show empört. Noch Tage später zogen Demonstranten gegen die "Obszönitäten" durch die Straßen.

Auch gab die südkoreanische Regierung Ende Dezember bekannt, dass trotz vieler Importlockerungen für japanische Produkte die "Variety"-Shows weiterhin verboten bleiben.

2. USA: Erwürgt

In den USA testet Fear Factor Geschmacks- und Belastungsgrenzen. Mit der Show katapultierte sich das Network NBC seit Sommer 2001 montags auf Platz eins der Einschaltquoten. In jeder Angstfaktor-Sendung müssen sich sechs Teilnehmer bei drei Mutproben beweisen; der Gewinner erhält 50.000 Dollar. Dabei mobilisieren die Produzenten ein Höchstmaß an Urängsten und Ekel.

Auf der Speisekarte: Ungeziefer und verfaulter Fisch

Zum Beispiel Höhenangst: So müssen die Kandidaten mit einem Fahrrad in 30 Meter Höhe einen Stahlträger entlang balancieren. Da hilft kein Sicherheitsharnisch. Manchmal werden die Gäste unter dem süffisanten Lächeln des Moderators Joe Rogan in Wassertanks voller Blutegel oder in geschlossenen Autos in Schwimmbecken versenkt. Am beliebtesten sind jedoch die Ekelsegmente, bei denen lebendes Ungeziefer, gegarte Geschlechtsteile von Nutztieren oder verfaulte Fischprodukte verspeist werden müssen.

Was gibt es Schöneres, als einer drallen Blonden dabei zuzusehen, wie sie das seidige Haar zurückstreift, um sich über einen Teller voll blutiger Kuhaugen herzumachen? Scheitern die Kandidaten bei den Ekelproben, blendet die Kamera nach dem ersten Würgreiz dezent aus - schließlich ist Fear Factor etwas für die ganze Familie, glaubt NBC, das dem Trashsender Fox den Rang ablief.

Angst-Produzent ist Endemol aus Hilversum. Es ist bei ihnen in einer Sonderausgabe auch zu sehen, wie glückliche Pärchen mitspielen und unter der Belastung zerbrechen. Da feuert eine Melissa ihren Jim an, der einen Teller lebender Würmer aufessen soll, doch er muss brechen. Sie rastet aus. Klar - für die Paare geht es um eine Million Dollar Preisgeld. Da wird schon mal vor dem feixenden Publikum nicht nur gezittert, gelitten und gekotzt - sondern auch geschimpft, gekeift und geohrfeigt. ANDRIAN KREYE

3. Spanien: Streng

Wer sich den Appetit verderben wollte, der war im spanischen Fernsehen früher immer bei der Sendung mit dem leicht irreführenden Titel Gente con Chispa richtig, "Leute mit Geistesblitz". In dem bizarren Wettbewerb durften mehr oder weniger prominente Männer und Frauen ihre Sinne einem Härtetest unterziehen: So wurden den Studiogästen beispielsweise blutige Innereien oder lebende Spinnen vorgesetzt, die sie schmecken, riechen oder ertasten sollten. Manche liefen heulend davon. Überdauert hat das Format nur im Regionalfernsehen, dem Vernehmen nach gibt es aber bald Ersatz.

Der Privatkanal Antena 3 bemüht sich angeblich seit Monaten um die Reality-Show Fear Factor, die bereits in anderen Ländern die Zuschauer zur Ekstase treibt. Dabei haben die Kandidaten absurdeste Mutproben zu meistern, etwa ein Bad zwischen Krokodilen, ein Nickerchen zwischen Ratten oder den Verzehr von Rentierhoden.

Neologismus: Fernsehmüll

Erfolg haben jenseits der Pyrenäen allerdings eher Gesang und Gequatsche. Millionen schalten zum Staatssender TVE, wenn er in Operacion Triunfo monatelang den nationalen Vertreter beim Grand Prix d'Eurovision ermitteln lässt. Außerdem erfreuen sich Klatschgeschichten großer Beliebtheit. Nächtlicher Höhepunkt auf Tele sind die Cronicas Marcianas, wo sich Busenwunder und Proleten beleidigen und notfalls prügeln.

Wer besonders unangenehm auffällt, wird manchmal ins Hotel Glamour aufgenommen, die Luxusversion des Containers von Big Brother, in Spanien bekannt als Gran Hermano. Alternativ lädt Antena 3 in seinen Urwald der Berühmten im Dschungel des Amazonas. Die konservative Regierung plant nun Regeln gegen den Schwachsinn, für den es ein beliebtes Neuwort gibt: "Telebasura" - Fernsehmüll.

4. England: Verkokst

Als ITV im August 2002 mit I'm a Celebrity, get me out of here auf Sendung ging, hatte der Privatsender wenig Hoffnung: Reality-Shows galten als passé. Doch die täglichen Erniedrigungen von mehr oder minder bekannten Persönlichkeiten im australischen Outback wurden zum großen TV-Event.

Das hatte viel mit der gewitzten Moderation von Ant und Dec zu tun, am meisten natürlich mit Schadenfreude. Der eigentliche Witz der Show liegt in der Besetzung: Ganz Großbritannien wusste, dass die im Busch gefangen gehaltenen Komiker, Ex-Sportler und Seifenoperköniginnen erst eingeladen wurden, als alle 5000 genuinen Celebrities des Landes abgesagt hatten.

Sex-Model Nell Andrews, Löffelbieger Uri Geller oder Politikerfrau Christine Hamilton machten die Tortur aus purer Verzweiflung mit; endlich konnten sie - statt bei Supermarkteröffnungen - mal vor Millionenpublikum auftreten. Am Ende gewann DJ Tony Blackburn, 60, vor der adligen Göre Tara Palmer-Tomkinson. Tara war fast direkt von der Drogenklinik in den Dschungel übergesiedelt, und ihre Allüren machten sich gut. Einmal büxte sie mehrere Stunden aus, wurde aber vom Sicherheitstrupp eingefangen.

46 Prozent Marktanteil

Die zweite Staffel im April 2003 brachte sogar noch mehr Quote: Unglaubliche 12,3 Millionen (Marktanteil: 46 Prozent) sahen den Sieg des Ex-Cricketspielers Phil Tuffnel. Schauspielerin Danniella Westbrook, die wegen übermäßigem Kokaingenuss eine künstliche Nase im Gesicht trägt, war chancenlos. Am 26. Januar startet der Dschungel-Trash zum dritten Mal, der Boulevard hofft auf Anna Kournikova und Katie Price.

Die vormaligen Sieger Blackburn und Tuffnell moderieren heute Radiosendungen. Das haben sie auch einer britischen Eigenart zu verdanken: Man liebt Verlierertypen. RAPHAEL HONIGSTEIN

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